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Ai Weiweis egozentrischer Aktivismus vor Glasgow

Artikel-Nr.: DE20211025-Art.29.10-2021

Ai Weiweis egozentrischer Aktivismus vor Glasgow

„Intertwine“: Botschaft oder Gigantonomie?

Ai Weiwei, einer der profiliertesten und kontroversesten lebenden Künstler, braucht kaum eine Einführung. Vor der 26. Vertragsstaatenkonferenz (COP26) der Klimarahmenkonvention vom 31. Oktober-12. November in Glasgow/Schottland hinterfragt Sarah Messerschmidt das Engagement eines Künstlers, der allgemein als Apostel der Menschenrechte und des Klima- und Umweltschutzes gilt.

Einige sehen seine Freimütigkeit als lebendige Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen, während andere ihn anklagen, zeitgenössische politische Fragen zu benutzen, um sich selbst ins Zentrum zu rücken, wobei seine jüngsten Werke zur mediterranen Flüchtlingskrise besonders in die Kritik gerieten. Ais Aktivismus ist sicherlich schwer einzuordnen. Sein künstlerischer Output umspannt viele Genres, was seine Identität als Künstler gleichermaßen komplex macht. Zu seinem vielfältigen Repertoire muss jetzt die Ausstellung „Ai Weiwei: Intertwine“ hinzugefügt werden, die vom 23. Juli 2021 bis 9. Juli in der Fundacão de Serralves in Porto stattfindet und die wachsende Beteiligung des Künstlers am Klimaaktivismus bezeugt.

● Über allem thront der “Pequi Tree”

“Intertwine” ist in drei Teile untergliedert. Die spektakulärste Komponente ist „Pequi Tree“ (2018-2020), eine 32 Meter hohe Replik eines brasilianischen Hartholz-Carvoyar, der im Brasilianischen Wald am Atlantik gefunden wurde. Als Warnung und Zeugnis dafür, was die Menschheit verlieren wird, wenn die Klimakatastrophe weiter eskaliert, thront die Skulptur aus 53,7 Tonnen Corten Stahl über den Hölzern des Casa Serralves Parks.

„Pequi Tree“ ist vor allem eine Referenz an die heutige Abholzung des Brasilianischen Regenwalds für die industrielle Landwirtschaft, doch es will unbestreitbar auch ein poetisches Objekt sein. Ai beschreibt die Herstellung des Werks als eine mythologische Reise: eine Romantisierung eines industriellen Prozesses, der zugleich die Odyssee eines Stückes über geographische Entfernungen hinweg markiert.

Ai arbeitete mit einem Team vor allem chinesischer Handwerker, um durch Fiberfasern verstärkte Plastik-Gussformen des fraglichen Baums herzustellen. Angesichts der unglaublichen Größe war dies nur in Fragmenten möglich. Die Formen, 768 an der Zahl, wurden später in die Tang- und Yi-Region der nordchinesischen Provinz Hebei verschifft, um sie mit Eisen zu füllen und schließlich in Portugal zu einem einzigen Ausstellungsobjekt zusammenzusetzen.

Ebenso im Park verstreut ist die Serie der „Iron Roots“ (Eisenwurzeln; 2019): Sieben individuelle Eisenobjekte von verschiedenen Wurzelbeispielen, deren Vorlagen ebenfalls aus einem Wald in Brasilien stammen. Sie erscheinen als kreative Formen, die im Park wie vermenschlichte Charaktere positioniert sind, mit Namen wie Mr. Painting und Fly, die ihnen Ais kleiner Sohn, Ai Lao, gegeben hat.

Wie „Pequi Tree“, unterstreichen die „Eisenwurzeln“ die Bedeutung technischer Fertig- und Fähigkeiten für die in „Intertwine“ präsentierten Werke, und mit Sicherheit ist ihre Handwerklichkeit beeindruckend. Ungeachtet dessen verweisen sie auf eine prekäre konzeptionelle Verbindung zu der Erkenntnis, dass das Ökosystem Wald gegenüber menschlicher Einmischung anfällig ist.

● Umweltkritik und Werk in Konflikt

Insgesamt befindet sich Ais Analyse der Klimakrise im Konflikt mit seiner Praxis in dieser Schau. Der materialintensive Herstellungsprozess des „Pequi Tree“ und der „Iron Roots“ beispielweise über weite geographische Distanzen und auf der Basis der Ausbeutung von Schwermetallen ist offensichtlich nicht konsistent mit Ais Kritik am Niedergang der Umwelt.

„Intertwine“ erhöht das Poetische, doch beerdigt so eine zentrale und hochkritische Botschaft.

Andernorts innerhalb des Museums befindet sich ein letztes Trio von Werken. An einer Wand hängt „Mutuophagia“ (2018), ein Selbstportrait des Künstlers, wie er nackt und kraftlos in der Position eines Fötus auf einem mit tropischen Früchten überfüllten Bett liegt. An der gegenüber liegenden Wand ist ein Videoauszug von „Tree“ (2021) zu sehen, die Dokumentation eines Abgusses des Pequi-tree-als-sculptur, doch auch von Ais baumähnlichem Körper, was eine Beziehung zwischen dem Künstler und die Objekt herstellen soll, als wäre das eine die Verlängerung des anderen.

Im Zentrum des Raums befindet sich „Two Figures“ (2018), eine Gipsform des Körpers des Künstlers, nackt auf einer Matratze nächst einer Frau, die auf ihrer Seite bleibt. Die Stimmung des Werks ist zwiespältig: es ist weder eine erotische Szene, noch ist es vollkommen friedlich. Rote Ormosia-Früchte und schwarze Samen treten aus Ais Kopf in Erinnerung an seine Haft in China, wo er sich eine ernsthafte Kopfverletzung zuzog, aber auch in Anspielung auf die Samen eines Baums.

Erneut figuriert Ai hier als Objekt eines Abgusses und vergleicht sich selbst mit dem eisernen Pequi, der außenhalb der Museumsmauern steht. Dieser Egozentrismus vernebelt den brasilianischen Regenwald als das Hauptproblem der Ausstellung und verdeckt jegliche erklärte Intention, dass diese Ausstellung eine ernsthafte Reflexion der verheerenden Effekte des ökologischen Wandels darstellt.

● Keine Verbindung zwischen Kolonialgeschichte und Entwaldung

Trotz der eleganten Präsentation von „Intertwine“, seiner Stichhaltigkeit als Alarm für das Klimadesaster hätte die Ausstellung weitergehen können mit ihrem Ruf nach mehr Dringlichkeit in Bezug auf die Entwaldung.

Portugal ist kein neutraler Platz, an dem sich die Korruption in einer ehemaligen Kolonie beklagen lässt; dabei hätte eine explizite Verbindung zwischen der portugiesischen Kolonialgeschichte und der zeitgenössischen Entwaldung in Brasilien dazu dienen können, die zentrale Idee der Ausstellung zu verstärken: dass der Wandel der Umwelt als Ergebnis industriellen Fortschritts geschieht.

Mehr noch: Während wilde Brände in mehreren Teilen des Globus wüten, wundert man sich, was an Wirkung bleibt, wenn ein drückendes Umweltproblem durch einen künstlerischen Prozess angegangen wird, der kein bedeutsames Engagement für die gestellten Fragen demonstriert. Was beispielsweise ist aus den materialintensiven Plastikformen geworden, und wie wurde der Transport von Menschen und Material über Kontinente hinweg verbucht? „Intertwine“ erhöht das Poetische, aber in einer Weise, durch die eine zentrale und hoch kritische Botschaft beerdigt wird.

Sarah Messerschmidt ist Kunstkritikerin und Mitarbeiterin der Zeitschrift „ocula.art“ (©). Der Artikel erscheint erstmals in deutscher Version in W&E 10/2021.