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Beendet die globale Impf-Apartheid!

Artikel-Nr.: DE20210326-Art.04.02-2021

Beendet die globale Impf-Apartheid!

Big Pharma und die Corona-Krise im Süden

Mindestens 85 arme Länder werden vor 2023 keinen nennenswerten Zugang zu Impfstoffen gegen Corona haben. Unglücklicherweise wird ein Jahr Verzögerung in Ländern mit niedrigem und unterem mittleren Einkommen schätzungsweise 2,5 Millionen vermeidbare Tote kosten. Wie der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) es ausdrückt, steht die Welt an der Schwelle eines katastrophalen moralischen Scheiterns. Die neue Impf-Apartheid beleuchten Anis Chowdhury und Jomo Kwame Sundaram.

Die EU, die USA, Großbritannien, Kanada und ihre Verbündeten blockieren fortgesetzt den Vorschlag der Entwicklungsländer, die Handelsbezogenen Aspekte der Intelektuellen Eigentumsrechte (TRIPS) in der Welthandelsorganisation (WTO) zeitweise auszusetzen, um einen schnell wachsenden und erschwingbaren Nachschub an Covid-19-Impfstoffen, Medikamenten, Tests und Ausrüstungen zu ermöglichen. Unterdessen sind 6,4 Mrd. von den 12,5 Mrd. Impfdosen, deren Produktion die Hersteller planen, bereits vorbestellt, vor allem durch diese Länder, die 13% der Weltbevölkerung repräsentieren.

● Scheitert COVAX?

32 europäische und andere reiche Länder halten Optionen, mehr zu bestellen, während Australien und Kanada bereits fünfmal mehr Nachschub gesichert haben, als sie für ihre Bevölkerung brauchen. Arme Länder, die oft höhere Preise bezahlen müssen, können da einfach nicht konkurrieren.

Big Pharma hat es ebenfalls abgelehnt, sich dem freiwilligen Wissenteilungs- und Patentpooling („Covid-10 Technolog Access Pool – C-TAP) unter Aufsicht der WTO anzuschließen. Thomas Cueni, der Generaldirektor der Internationalen Föderation der Pharmazeutischen Produzenten und Assoziationen (IFPMA) blieb sogar der Gründungsvesammlung fern mit dem Argument, er sei „zu beschäftigt“.

Der CEO von Pfizer tat C-TAP als „unsinnig“ und „gefährlich“ ab, während der CEO von AstraZeneca darauf bestand, dass „intellektuelles Eigentum ein grundlegender Bestandteil unserer Industrie“ sei. Solche Haltungen tragen dazu bei, einige Probleme alternativer Impfverteilungsarrangements wie COVAX zu erklären. Nach seinem eigenen Vorstand besteht sogar höchste Gefahr, dass COVAX scheitern könnte.

● Unterdrückung des Zugangs zu Impfstoffen

Obwohl er weiß, dass viele Entwicklungsländer viele ungenutzte Kapazitäten haben, behauptet Cueni fälschlicherweise, dass eine teilweise TRIPS-Aussetzung „nichts dazu beitragen würde, den Zugang zu Impfstoffen auszuweiten oder die globale Produktionskapazität zu erweitern,“ und stattdessen die Innovationsfähigkeit und die Impfstoff-Forschung gefährden würde.

Big Pharma behauptet, dass eine Impfstoff-Produktion via Zwangslizensierung oder einen TRIPS-Waiver „die Innovation unterminieren und das Risiko unsicherer Viren erhöhen würde“. Entsprechendes schrieben Vertreter von US Big Pharma Anfang März an Präsident Biden.

Die beiden Pharmaforscher Salk und Sabin stellten dagegen ihre Polio-Impfstoffe patentfrei, während viele zeitgenössische Impfforscher gegen das gierige Verhalten von Big Pharma sind, das nur die Besitzer intellektuellen Eigentums belohnt, ungeachtet der unterschiedlichen, aber wichtigen Beiträge von anderen.

● Big Pharmas Preistreiberei

Impfunternehmen verlangen, dass die Vertragspreise geheim gehalten werden. Im Gegenzug zu Preisnachlässen stimmte die EU zu, die Preise vertraulich zu behandeln. Dennoch wurden einige ausgehandelte Preise durch ein Versehen enthüllt, wobei eine UNICEF-Graphik die Preise verschiedener Quellen auflistete.

Der billigste verfügbare Impfstoff, Oxford-AstraZeneca, wird an EU-Mitglieder angeblich für rund 2 Dollar verkauft. Obwohl in Südafrika getestet, bezahlt das Land zweimal so viel dafür, während das noch ärmere Uganda sogar mehr als viermal so viel bezahlt.

US-Mengenpreise für Moderna- und Pfizer-BioNTech-Impfstoffe sind viel höher und liegen in manchen Verträgen bei 15,25 bis 19,50 Dollar, was eine Profitrate von 60-80% bedeutet. Moderna verlang vom Rest der Welt sogar 25 bis 37 Dollar pro Dose.

● Doppelmoral

Verständlicherweise haben die meisten Industrieländer, die gegen eine zeitweise TRIPS-Aussetzung opponieren, in ihren eigenen Patentgesetzen Vorkehrungen, um den Patentschutz im nationalen Interesse oder bei Notständen im Gesundheitswesen zu suspendieren. Kanada, Deutschland, Frankreich und andere haben kürzlich ihre Patentgesetze gestärkt, um Zwangslizenzen für Covid-19-Impfstoffe und Medikamente vergeben zu können. Der Europäische Ratspräsident Charles Michel kündigte an, dass die EU unter Berufung auf Notstandsvorkehrungen in ihren Verträgen „dringende Maßnahmen“ ergreifen könnte.

Ähnlich erlaubt in den USA 28 US Code sec. 1498 (a) der Regierung, jegliche Erfindung auch ohne die Erlaubnis des Patenthalters zu nutzen. Um Notstandssituationen zu bewältigen, erlaubt der 1977 Patents Act (section 55) der Regierung, ein patentiertes Produkt ohne Zustimmung des Patenthalters zu verkaufen, einschließlich spezielle Medikamente, Arzneimittel oder Medikamente.

Als die Vogelgrippe Anfang dieses Jahrhunderts drohte, waren die USA das einzige Land in der Welt, das Zwangslizenzen an US-Hersteller zur Produktion von Tamiflu ausgab, um ihre Bevölkerung von über 300 Millionen zu schützen. Die Arzneimittel wurden nicht genutzt, da das Virus es weder über den Pazifischen noch über den Atlantischen Ozean schaffte.

● Biden muss handeln

Durch die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Expansion der Impfproduktionskapazität und des Zugangs zur existierenden Kapazität, könnte Präsident Biden über Nacht weltweit eine hohe Wertschätzung gewinnen. Das US-Recht und –Procedere macht eine solche unilaterale Initiative möglich. Der Bayh-Dole-Act gestattet der US-Regierung, einen Besitzer oder exklusiven Halter eines Patents, das mit Bundesunterstützung entwickelt wurde, zu zwingen, einer Drittpartei die Lizenz für eine Erfindung zu gewähren. Moderna erhielt rund 2,5 Mrd. Dollar von der Operation Warp Speed, die insgesamt über 10 Mrd. Dollar ausgab.

Moderna wurde 2010 von Universitätsforschern mit Unterstützung von einem Risikokapital-Anleger gegründet. Die Firma hat sich auf mRNA-Technologie konzentriert und dabei auf früheren Arbeiten von Wissenschaftlern der Universität Pennsylvania aufgebaut, die mit Finanzen der National Institutes for Health (NIH) arbeiteten. Der Impfstoff-Entwickler nutzte auch Technologie für vorherige Corona-Impfstoffe, die durch NIH entwickelt worden waren. Hinzu kommt umfangreiche logistische Unterstützung, die NIH bereitstellte und die zur Aufsicht über klinische Versuchsreihen von Zehntausenden genutzt wurde.

Somit hat der Präsident der Vereinigten Staaten die erforderlichen Möglichkeiten. Der Bayh-Dole-Act kann auf den Moderna-Impfstoff angewendet werden und die Biden-Administration befähigen, unabhängig und entschlossen gegen die Impf-Apartheid zu handeln.

● Entscheidend ist die Teilung des Wissens

Die Entwicklungsländer müssen nicht nur das Recht haben, Impfstoffe zu produzieren, sondern brauchen auch technisches Wissen und Informationen. Deshalb sollte Biden auch C-TAP unterstützen, wie Dr. Anthony Fauci empfohlen hat. Als der Medicines Patent Pool (MPP) in ähnlichen Schwierigkeiten war, kam die Obama-Administration und stellte dem Pool US-Patente zur Verfügung, während Medikamenten-Hersteller ermutigt wurden, den Zugang der Entwicklungsländer zu Arzneimitteln zu verbessern.

Präsident Biden weiß, dass schnelle Unterstützung für den MPP-Erfolg letztlich entscheidend war. Denn sie steigerte die Produktion enorm und senkte die Preise für Medikamente gegen HIV, Tuberkulose, Hepatitis C und andere ansteckende Krankheiten in der Entwicklungswelt.

Jomo Kwame Sundaram war Professor für Wirtschaft und Assistenz-Generaldirektor für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. 2007 erhielt er den Wassily-Leontief-Preis für Verdienste um wirtschaftliches Denken. Anis Chowdhury ist außerordentlicher Professor in Australien und hatte leitende Positionen der Vereinten Nationen in New York und Bangkok (© IPS).

Posted: 26.3.2021