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Covid-19: Rettungspakete für den Süden?

Artikel-Nr.: DE20210531-Art.13.05-2021

Covid-19: Rettungspakete für den Süden?

Wie Corona-Hilfe in die Kassen großer Konzerne fließt

Während sich die Armut und die Einkommensungleichheit vertiefen, werden Covod-19-Hilfsgelder an große Konzerne transferiert, statt an soziale Sicherungsprogramme in Entwicklungsländern. Das sagen Gruppen, die in eine neue Studie über Covid-19-Rettungspakete involviert sind, die das Problem im Auftrag der Financial Transparency Coalition (FTC) an Hand von neun Entwicklungsländern untersucht hat. Ed Holt hat die Studie ausgewertet.

Die Art und Weise, wie die Covid-19-Hilfe umgesetzt wurde, hat die Marginalisierung, die Armut und die Ungleichheit verstärkt, darunter in manchen Ländern die Einkommens-, Geschlechter- und andere Ungleichheiten“, sagte FTC-Direktor Matti Kohonen der Nachrichtenagentur IPS. „Das Gros dieser Hilfsfonds fließt an große Konzerne, doch die Menschen, die wahrscheinlich am meisten von der Pandemie im Globalen Süden betroffen wurden, bleiben außen vor.“

● Menschen im informellen Sektor gehen leer aus

In der nach Angaben der Verfasser ersten größeren Analyse öffentlicher Rettungsfonds, die in Entwicklungsländern während der Pandemie ausgezahlt wurden, nahmen die FTC-Mitglieder vor allem Kenia, Südafrika, Sierra Leone, Bangladesch, Nepal, Honduras, Guatemala, El Salvador und Indien in den Blick.

Die Studie stellte fest, das in acht Ländern durchschnittlich 63% der pandemiebezogenen staatlichen Hilfe an das Big Business gingen, während nur ein Viertel für soziale Sicherungsprogramme ausgegeben wurde. Nur 2% ging an Arbeiter*innen im informellen Sektor, obwohl dieser Sektor in vielen armen Nationen einen großen Teil der Gesamtökonomie ausmacht. Unterdessen erreichte viel von dem, was an kleine und mittlere Unternehmen gehen sollte, niemals diese Zielgruppe und wurde anderswohin umgelenkt. Indien wurde separat untersucht, weil die Regierung während der Pandemie die Definition von Kleinunternehmen geändert hat.

Gleichwohl glaubt die FTC, dass die gesamten finanziellen Vorteile für die Konzerne sogar höher sind wegen der Steuersenkungen, wie in Bangladesch und Indien, oder wegen der Kosten von steuerlichen Amnestieprogrammen, wie in Bangladesch und Honduras. Zivilgesellschaftliche Gruppen, die in einigen im FTC-Bericht untersuchten Ländern operieren, sagen, dass die Erkenntnisse nicht völlig neu seien, doch unterstreichen sie das Ausmaß, in dem arme und marginalisierte Gruppen während der Pandemie offenkundig vernachlässigt wurden.

● Restriktionen ohne Hilfsmaßnahmen

Bezüglich der Erkenntnis, dass in Kenia 92% der Rettungsfonds an große Konzerne gegangen sind, sagt Chenai Mukumba vom Tax Justice Network Africa: „Das ist nicht erstaunlich, denn der private Sektor hat eine große Lobbymacht, um die Politik zu beeinflussen. Dennoch ist überraschend, dass so wenig bei den Menschen ankam, die es brauchten – die Verwundbaren und Marginalisierten, vor allem diejenigen im informellen Sektor.“

In vielen armen Ländern bildet der informelle ökonomische Sektor einen großen Teil der Gesamtwirtschaft mit Millionen Menschen, die oft allein von informeller Arbeit abhängig sind, um ein Auskommen zu haben. In Bangladesch z.B. machen Gelegenheitsarbeiter*innen bis zu 85% der Arbeitskraft des Landes aus. In Kenia sind die Zahlen ähnlich.

Die Covid-19-Restriktionen, wie Lockdowns und Reiseverbote, hatten eine massive Bedeutung für solcherlei Arbeit, da Leute nicht länger in der Lage waren, zur Arbeit zu fahren oder Produkte auf Märkten bzw. außerhalb ihrer Viertel zu verkaufen. Für etliche Familien hatte dies drastische Auswirkungen.

„Wegen der Bewegungsrestriktionen mussten Mitglieder der verwundbarsten Bevölkerungsteile einen harschen Rückgang ihrer Lebensqualität hinnehmen. Die Leute, die an der Basis mit diesen Gemeinschaften arbeiten, berichten dass schon akzeptiert wird, dass die Regierungen Restriktionen verhängen müssen, um die Ausbreitung von Covid-19 zu stoppen, doch dass diese Restriktionen von Hilfsmaßnahmen begleitet werden müssen, was aber nicht geschah“, sagt Mukumba.

Die FTC-Studie konzentrierte sich auf die Frage, wohin die Covid-19-Rettungsfonds flossen, ging aber nicht ins Detail, was die exakten Gründe dafür waren. Doch Kohonen und Mukumba berichten über eine Reihe von Gründen, warum die Ressourcen nicht an soziale Sicherungsdienste flossen, darunter das Lobbying des privaten Sektors und die unangemessenen Regierungskapazitäten, die verwundbaren Bevölkerungsgruppen zu identifizieren. Der Bericht enthält auch eine Warnung vor einem Mangel an Transparenz bei der Verteilung der Fonds. Er zitiert, wie beispielsweise in Kenia die Weltbank 50 Mio. Dollar an Sofortmitteln zur Verfügung stellte, um das Land bei der Antwort auf den Notstand zu unterstützen – Fonds, die jetzt nicht mehr auffindbar sind,

● Konzentration auf die Städte

Was immer die Gründe für die Allokation der Fonds waren, Tatsache ist, dass so wenig für sozialen Schutz verwendet wurde – ein ernstes Problem, das korrigiert werden muss, sagt Kohonen. „Viel mehr Mittel hätten für sozialen Schutz verwendet werden sollen und zu viel ging an große Konzerne, die einen so hohen Anteil an Hilfsmitteln nicht brauchen.“ Und selbst in einigen Staaten, in denen angeblich große Teile der Hilfsfonds für sozialen Schutz ausgegeben wurden, gingen die verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft leer aus.

Zur Erklärung der Situation in Guatemala, wo knapp über die Hälfte der Covid-19-Hilfe an soziale Schutzmaßnahmen ging, berichtet Ricardo Barrientos vom Central American Institute of Fiscal Studies (ICEFI), das an dem Report mitarbeitete: „Obwohl hauptsächlich für sozialen Schutz verwendet, so die Regierung, waren die Fonds zu gering und kamen zu spät und waren letztlich unzureichend, um eine nennenswerte Bedeutung für die meisten Guatemalteken zu haben.“

Er erklärte, das die Hilfe sich auf 3,07% des BIP belief – nur El Savador und Sierra Leone haben niedriger Werte – und während das Gros des Geldes für ein Cash-Transfer-Programm verwendet wurde, war dieses konzentriert auf Städte und urbane Regionen und erreichte nicht die Leute, die es am meisten gebraucht hätten, vor allem die indigene Maya-Bevölkerung, die in ländlichen Regionen in Armut und entsetzlichen Bedingungen lebt.

● Lieber an Covid sterben als an Hunger

“Während mehr als 70% der Haushalte im informellen Sektor überleben, der für rund 24% des BIP aufkommt, waren die Hilfspakete für diesen wichtigen ökonomisch aktiven Teil der guatemaltekischen Bevölkerung lächerlich klein. Viele Guatemalteken fanden sich in einer so dramatischen Situation wieder, dass sie entscheiden mussten, ob sie ihre Heimat verlassen, irgendwas verkaufen oder vor Hunger sterben sollten. Das Wort machte die Runde: ‚Ich ziehe es vor, an Covid-19 zu sterben statt an Hunger‘“, sagt Barrientos.

Die FTC bereitet gegenwärtig Studien zum Einsatz von Covid-19-Rettungspaketen in anderen Ländern vor, sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern. Es ist FTC-Mitgliedern zufolge aber wahrscheinlich, dass die Fonds zumindest in den Entwicklungsländern zu einem ähnlich hohen Anteil an große Konzerne gingen. „In Sierra Leone gingen die meisten Finanzhilfe an Konzerne, und wir erwarten ein ähnliches Ergebnis in anderen afrikanischen Ländern, die wir noch untersuchen“, sagt Mukumba.

Die FTC hat ihren Bericht an Regierungen und hauptsächliche Geber von Covid-19-Rettungsfonds wie die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds überreicht, wartet aber noch auf eine unmittelbare Antwort. Sie hat Regierungen und internationale Finanzinstitutionen auch aufgerufen, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, um das, wie sie es nennt, „gefährliche Ungleichgewicht bei den existierenden Covid-19-Hilfsgeldern“ zu beseitigen. Diese schließen die Umsetzung einer Mindestunternehmenssteuer von wenigstens 25% für Wohlhabende, Konzerne und Leute mit hohem Einkommen ein, die Einrichtung öffentlicher Eigentümerregister, um zu sehen, wer von den Konjunkturspritzen profitiert und wer welche Profite während der Pandemie gemacht hat. Gefordert wird auch die Einführung strengerer Rechenschaftspflichten und Transparenz in Bezug auf die Bedingungen, die mit der Auszahlung von Covid-19-Fonds verknüpft sind, darunter bei der Weltbank.

Hinweis:
* Financial Transparency Coalition: Towards a People's Recovery. Tracking Fiscal and Social Protection Responses to Covid-19 in the Global South, 30 pp, Boston, April 2021. Bezug: über financialtransparency.org (deutschsprachige Erstveröffentlichung © IPS)

Empfohlene Zitierweise:
* Ed Holt: Covid-19: Rettungspakete für den Süden? Wie Corona-Hilfe in die Kassen großer Konzerne fließt, in: Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung (W&E 05/2021) und online unter: weltwirtschaft-und-entwicklung.org, Luxemburg, 31.5.2021