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Global Governance: Von der G20 zur G21?

Artikel-Nr.: DE20210817-Art.23.07-2021

Global Governance: Von der G20 zur G21?

Variationen in G

Die Gruppe der 20 (G20) Hauptwirtschaftsmächte hat sich zu einer Säule des Multilateralismus entwickelt. Obwohl es weltweit viele hochrangige Gesprächsforen gibt, stehen die G20 für die beste Art von allen: Auf globaler Ebene bieten sie aktive Unterstützung für Dialog, Debatten und – am wichtigsten – die Lösung wirtschaftlicher Probleme. Glücklicherweise kann die Ländergruppe ihre größte Schwäche – dass sie 96% der afrikanischen Bevölkerung außen vor lässt – leicht dadurch beheben, dass sie die Afrikanische Union (AU) als Mitglied aufnimmt, schreibt Jeffrey D. Sachs.

Natürlich fand der Multilateralismus seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich im Rahmen der Vereinten Nationen statt. Mit 193 Mitgliedstaaten bieten die UN eine einmalige, unverzichtbare Bühne für die Planung und Verabschiedung internationaler Gesetze. Obwohl die UN immer wieder durch den Unilateralismus der Vereinigten Staaten und anderer Großmächte untergraben werden, bleiben sie für das globale Überleben von entscheidender Bedeutung. Mit etwa drei Milliarden Dollar im Jahr ist ihr armseliger Kernhaushalt chronisch unterfinanziert und liegt bei vielleicht einem Zehntel dessen, was ihm eigentlich zustehen sollte. Trotzdem leisten die UN immer noch enorme und unverzichtbare Beiträge zum Frieden, zu den Menschenrechten und zur nachhaltigen Entwicklung.

● G20 versus G7

Aber auch die G20 spielen eine immer wichtigere Rolle. Da die Staatengruppe die 20 größten Volkswirtschaften der Welt repräsentiert, ermöglicht sie eine flexiblere und schnellere Lösung von Problemen. Gesteht die UN jedem ihrer Mitglieder eine Sprechzeit von zehn Minuten zu, dauert die Diskussion 32 Stunden; wenn innerhalb der G20 alle auf diese Weise berücksichtigt werden, dauert es nur drei Stunden. Und auch wenn hinter den Entscheidungen der G20 nicht die Durchschlagskraft des internationalen Rechts steht, können sie die entsprechenden UN-Prozesse – wie jene zum Klimawandel und zur Entwicklungsfinanzierung – unterstützen, und tun dies auch.

Eine weitere Gesprächsbühne sind die G7, die 1975 ins Leben gerufen wurden, um die reichsten Volkswirtschaften der Welt an einen Tisch zu bringen. 1998 habe ich empfohlen, die Größe der Gruppe (damals waren sie gemeinsam mit Russland die G8) zu verdoppeln, um acht wichtige Entwicklungsländer mit einzubeziehen. Eine G16, so mein Argument, „würde nicht versuchen, die Welt zu dominieren, sondern die Parameter für einen neuen und ehrlichen Dialog“ zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu bestimmen.

Bald danach wurden die G20 eingeführt, um genau diese Rolle zu spielen. Zunächst entstanden sie 1999 als Treffen von Finanzministern, und dann entwickelten sie sich nach der Finanzkrise von 2008 zu einem Treffen von Staats- und Regierungschefs. Seitdem haben die G7 viel von ihrer Vertretungsmacht verloren und wurden immer weniger handlungsfähig (weshalb ich mich dieses Jahr dafür ausgesprochen habe, sie komplett aufzulösen).

Zu den G20 gehören momentan 19 Staatsregierungen und die Europäische Union. (Da Frankreich, Deutschland und Italien G20-Mitglieder sind und gleichzeitig der EU angehören, werden sie gewissermaßen doppelt repräsentiert.) Dass die EU in die Gruppe aufgenommen wurde, war ein Meisterstück: Da sie die Wirtschaftspolitik ihrer 27 Mitglieder koordiniert, kann sie sich durch die Europäische Kommission, ihren exekutiven Arm, hinsichtlich wichtiger globaler Wirtschaftsthemen glaubwürdig vertreten lassen. Darüber hinaus stärkt der G20-Prozess wiederum die internen Koordinierungsbemühungen der EU, was letztlich auch den 27 Unionsmitgliedern nutzt. Die G20 repräsentieren daher 43 Länder (27 EU-Mitglieder und 16 Nicht-EU-Länder), obwohl an ihrem Tisch nur 20 Regierungschefs sitzen.

● Repräsentationsprobleme der G20

Obwohl diese 43 Länder nur etwa 22% der UN-Mitgliedstaaten entsprechen, vereinen sie doch etwa 63% der Weltbevölkerung und 87% der weltweiten Wirtschaftsleistung auf sich. Und obwohl die durch die G20 vertretenen Länder nicht für die anderen 150 UN-Mitglieder sprechen können, repräsentieren sie doch genug Menschen und wirtschaftliche Aktivitäten, um über eine solide Grundlage zur Diskussion über globale Herausforderungen zu verfügen.

Aber weil die Ländergruppe fast ganz Afrika ausschließt, sind dieser Kontinent und die weltweit ärmsten Länder dort erheblich unterrepräsentiert. Die 55 Länder der AU (die über ein Viertel der UN-Mitglieder darstellen) sind die Heimat von 1,4 Milliarden Menschen (17,5% der Weltbevölkerung), und sie vereinen eine jährliche Wirtschaftsleistung in Höhe von 2,6 Billionen Dollar auf sich (was fast 3% des weltweiten BIP entspricht). Also hat Afrika etwa die gleiche Bevölkerungszahl wie China oder Indien, und in wirtschaftlicher Hinsicht steht es insgesamt betrachtet an achter Stelle – kurz hinter Frankreich und noch vor Italien. Und sein Anteil an Weltbevölkerung und Wirtschaftsleistung wird zukünftig noch weiter steigen.

Die Wirtschaft Südafrikas, des einzigen afrikanischen G20-Mitglieds, liegt weltweit an 39. Stelle. Damit ist das Land in dieser Hinsicht das kleinste der Gruppe. Sein BIP liegt tatsächlich hinter denen von Nigeria und Ägypten, aber diese befinden sich weltweit immer noch nicht unter den obersten zwanzig. Daher wurden afrikanische Staatschefs (abgesehen von Südafrika) von den G20 bisher nur als Beobachter eingeladen. Dass Afrika so schwach vertreten ist, begrenzt die Beiträge des Kontinents zu den Diskussionen über große weltweite Wirtschaftsthemen drastisch – nicht nur bei den jährlichen G20-Konferenzen, sondern auch bei den ständigen Treffen auf ministerialer und technischer Ebene.

● Vorteile einer AU-Mitgliedschaft bei G20

Der Schlüssel für die Effektivität der G20 liegt darin, dass sie einen sehr großen und repräsentativen Teil der weltweiten Bevölkerung und Wirtschaft vertritt, obwohl nur relativ wenig Politiker an ihrem Tisch sitzen, was eine schnelle und effektive Diskussion und Entscheidungsfindung ermöglicht. Durch die Aufnahme der AU würde beide Kriterien erfüllt: eine enorm gestiegene Vertretungsmacht durch nur einem zusätzlichen Sitz am Tisch. Plötzlich würde die Gruppe 54 weitere Länder, 1,3 Milliarden zusätzliche Menschen und 2,3 Billionen Dollar mehr Wirtschaftsleistung repräsentieren – und dabei die Diskussion, wenn jeder zehn Minuten reden darf, um nur zehn Minuten verlängern.

Darüber hinaus hätte eine Mitgliedschaft der AU bei den erweiterten G21 innerhalb Afrikas denselben galvanisierenden Effekt wie die jene der EU bei den G20 für Europa: eine Stärkung der politischen Zusammenarbeit und Einheit unter den 55 afrikanischen Ländern.

Außerdem würden die G20 von der sofortigen Mitgliedschaft der AU besonders profitieren, weil in diesem Jahr viele dringende Herausforderungen auf dem Tisch liegen. Zu den wichtigsten Prioritäten gehören eine universale Versorgung mit Impfstoffen, um weitere COVID-19-Todesfälle und die Verbreitung neuer Varianten zu verhindern; die Einführung neuer Maßnahmen zur Linderung langfristiger pandemischer Schäden an der Wirtschaft; und die Sammlung der Versprechen aller Länder und Regionen, ihre Wirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts zu dekarbonisieren, um eine Klimakatastrophe zu verhindern.

Da die G20 ein so wichtiges Forum sind, werden zweifellos weitere Länder an ihre Tür klopfen, die auch Mitglied werden wollen. Die Gruppe wird die Vorteile einer größeren Vertretungsbasis gegenüber jenen einer kleineren, agileren Mitgliederzahl abwägen müssen. Was die AU betrifft, ist die Entscheidung aber offensichtlich. Eine neue G21 könnte andere Bewerber dazu anregen, sich von ähnlichen regionalen Delegationen vertreten zu lassen wie Afrika oder Europa – wie durch die ASEAN in Vertretung der 661 Millionen Menschen ihrer zehn südostasiatischen Mitgliedstaaten, oder eine ähnliche lateinamerikanische Gruppierung.

● Chance für Italiens G20-Präsidentschaft

Dieses Jahr befinden sich die G20 in den enorm tüchtigen Händen des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi. Italien kann seine Präsidentschaft dazu nutzen, ein dauerhaftes Erbe zu hinterlassen. Indem es die AU einlädt, am nächsten Gipfeltreffen in Rom teilzunehmen, könnte das Land einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau einer wohlhabenderen, inklusiveren und nachhaltigeren Welt leisten.

Jeffrey D. Sachs, Professor an der Columbia University, ist Direktor des dortigen Center for Sustainable Development und Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network. Er hat drei UN-Generalsekretäre beraten und dient gegenwärtig als SDG-Anwalt unter UN-Generalsekretär António Guterres (© und dt. Übersetzung: Project Syndicate).