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Mit FDI zur nachhaltigen Erholung?

Artikel-Nr.: DE20210711-Art.17.06-2021

Mit FDI zur nachhaltigen Erholung?

Der World Investment Report (WIR) 2021

Der Fluss ausländischer Direktinvestitionen brach 2020 um 35% ein – auf 1 Billion Dollar gegenüber 1,5 Billionen Dollar im Vorjahr (2019). Lockdowns im Gefolge der Covid-19-Pandemie bremsten existierende Investitionsprojekte aus, und die Aussichten auf eine Rezession führten die Multinationalen Unternehmen (MNEs) dazu, neue Projekte zu überdenken. Dennoch hält die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem jüngsten World Investment Report (WIR 2021; s. Hinweis) FDI – im Gewand nachhaltiger Investitionen – für einen gangbaren Weg zur nachhaltigen Erholung und zur Verwirklichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Von Rainer Falk und Michael Mohnke.

Der Rückgang konzentrierte sich stark auf die Industrieländer, wo FDI um 58% fielen – teilweise infolge der Restrukturierung von Unternehmen und der Finanzflüsse innerhalb der Firmen. FDI-Flüsse in Entwicklungsländer erwiesen sich als relativ widerstandsfähig und gingen nur um 8% zurück – hauptsächlich wegen der robusten Investitionen in Asien. Im Ergebnis entfielen auf die Entwicklungsländer zwei Drittel der globalen FDI. 2019 lag dieser Anteil noch bei unter der Hälfte (s. Schaubild).

● Entwicklungsrelevante Sektoren hart getroffen

Die Muster der FDI standen in scharfem Kontrast zu denen der neuen Projektaktivitäten, wo die Entwicklungsländer den schärfsten Investitionsabschwung verzeichneten. In Entwicklungsländern fiel die Anzahl der neu angekündigten Greenfield-Projekte (Investitionen in Fabriken, Anlagen, Infrastruktur) um 42%, und internationale Finanzprojekte (wie sie bedeutend für die Infrastruktur sind) gingen um 14% zurück. „Diese Investitionstypen sind entscheidend für produktive Kapazitäten und Infrastrukturentwicklung sowie für Projekte der nachhaltigen Erholung“, kommentierte die Amtierende UNCTAD-Generalsekretärin Isabelle Durant.

Die FDI-Trends variierten im Jahre 2020 beträchtlich nach Regionen. In Entwicklungsregionen und Transitionsökonomien waren sie verhältnismäßig stärker betroffen durch die Auswirkungen der Pandemie auf Investitionen in globale Wertschöpfungsketten und ressourcengestützte Aktivitäten. Ungleiche fiskalische Spielräume zur Gewährung ökonomischer Unterstützung hatten ebenfalls regionale Differenzen zur Folge.

Die FDI-Flüsse nach Europa gingen um 80% zurück, während die nach Nordamerika weniger stark fielen (-40%). Der Rückgang der FDI-Flüsse in die Entwicklungsregionen war ungleich, mit -45% in Lateinamerika und der Karibik sowie -16% in Afrika. Im Gegensatz dazu wuchsen die FDI-Flüsse nach Asien, wobei Ostasien mit der Hälfte der globalen FDI-Flüsse 2020 die größte Gastregion war. FDI in Transitionsökonomien fielen um 58%.

Die Pandemie schwächte die FDI desweiteren in schwachen und verwundbaren Ökonomien. Obwohl die Zuflüsse in die am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) stabil blieben, fiel die Ankündigung von Greenfield-Investitionen um die Hälfte und Deals zur internationalen Projektfinanzierung um eine Drittel. FDI-Flüsse in keine Inselstaaten (SIDS) gingen um 40% zurück und die in Länder ohne Meereszugang (LLDCs) um 31%.

● Nach der Talsohle

Licht am Ende des Tunnels sehen die WIR-Autoren in der Erwartung, dass die globalen FDI-Flüsse 2021 wieder aus der Talsohle kommen und mit 10-15% verlorenen Boden zurückgewinnen. „Dies würde die FDI immer noch unter dem Niveau von 2019 lassen. Derzeitige Vorhersagen zeigen einen weiteren Anstieg in 2022, der die FDI im günstigsten Fall auf das Niveau von 2019 zurückbringen könnte“, sagt der Direktor der UNCTAD-Abteilung für Investitionen und Unternehmen, James Zhan.

Die Aussichten sind freilich hochgradig unsicher und hängen – neben anderen Faktoren – davon ab, wie sich das Tempo der wirtschaftlichen Erholung entwickelt und die Pandemie bezwungen wird, sowie von der potentiellen Erholung der Finanzierung von FDI und von politischem Druck.

● FDI als Nachhaltigkeitstool?

Während die globale FDI-Entwicklung eher problematisch-pessimistisch beurteilt wird, klingen die Ausführungen der UNCTAD zum internationalen Nachhaltigkeitsinvestment geradezu hymnisch: „Nachhaltigkeitsorientierte Investitionen in die globalen Kapitalmärkte erlebten 2020 trotz volatiler Märkte ein starkes Wachstum“, heißt es in dem Report. UNCTAD schätzt, dass der Wert nachhaltigkeitsorientierter Investment-Produkte sich 2020 auf 3,2 Billionen Dollar belief, 80% mehr als 2019, was zeige, dass der Kapitalmarkt sich mehr und mehr an den Erfordernissen nachhaltiger Entwicklung, einschließlich der SDGs, orientiere.

Zu den fraglichen Produkten gehören Nachhaltige Fonds (im Wert von über 1,7 Billionen Dollar), Grüne Anleihen (Bonds; mehr als 1 Billion Dollar), Sozialbonds (212 Mrd. Dollar) und Gemischte Nachhaltigkeitsbonds (218 Mrd. Dollar. Gleichwohl sind die meisten Nachhaltigkeitsorientierten Investmentprodukte in Industrieländern angesiedelt. „Um ihre Bedeutung für nachhaltige Entwicklung zu maximieren, sollten mehr Fonds in Entwicklungs- und Transitionsländern investiert werden“, meint James Zhan.

● Die Rolle von institutionellen Investoren, Finanzdienstleistern und Börsen

Institutionelle Investoren können den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit durch die Allokation von Anlagen und aktive Eigentümerschaft stark beeinflussen und sind zu einer wichtigen Finanzierungsquelle für nachhaltige Entwicklung geworden, so der WIR 2021. Mit Anlagen von über 60 Billionen Dollar unter Management haben Pensionsfonds und Staatsfonds einen enormen Einfluss auf die Nachhaltigkeit von Konzernen. Versicherungskonzerne können über ihre Rolle als Risikoabsicherer und als Investoren (mit Anlagen unter Management im Wert von über 30 Billionen Dollar) zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Der Bankensektor kann nachhaltige Entwicklung durch Unternehmenskredite fördern. Bis 2020 hatte der nachhaltige Kreditmarkt rund 200 Mrd. Dollar erreicht.

Auch Börsen können durch ihren Einfluss auf das Umwelt-, Sozial- und Governance-Verhalten von Unternehmen (ESG) eine nachhaltige Bedeutung einnehmen. Die Zahl der Börsen mit ESG-Leitlinien für notierte Firmen ist schnell gewachsen, von 13 in 2015 auf 56 Ende 2020. Laut WIR 2021 haben auch die Berichtspflichten zugenommen. Die Zahl der Börsen mit verbindlichen Regeln zur ESG-Berichterstattung hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt.

● Nachhaltige Entwicklung oder nachhaltiges Greenwashing?

“Unterdessen gibt es anhaltende Sorgen über Greenwashing und die realen Konsequenzen dieser Produkte”, heißt es in dem Bericht (>>> s. auch: Green Finance und der Globale Süden). Ob es allerdings ausreicht, wie die Autoren vorschlagen, den Markt für Nachhaltigkeitsinvestment von einem Nischenmarkt in einen Massenmarkt zu transformieren, der Nachhaltigkeit voll in die Geschäftsmodelle und Unternehmenskultur integriert, ist zweifelhaft. Zu groß ist einstweilen die Kluft zwischen Nachhaltigkeitsrhetorik und –praxis.

Das zeigen auch zwei Studien aus diesem Jahr, die Greenpeace Luxemburg bei jeweils zwei unabhängigen Beratungsfirmen in Auftrag gegeben hat (s. Hinweise). Die erste Studie zeigt, wie Luxemburgs Fondsindustrie, die zweitgrößte der Welt, zur Finanzierung der globalen Klimakrise beiträgt: Die 100 größten Luxemburger Investmentfonds, darunter Fonds von Blackrock, Goldman Sachs und JP Morgan, finanzieren Treibhausgasemissionen, die zu einer globalen Erwärmung von mehr als dem Doppelten der im Pariser Abkommen festgelegten Obergrenze beitragen könnten. Während die Regierung und der Finanzsektor eine große Kommunikationskampagne inszenieren, in der sie ihren Finanzplatz als “führende internationale Plattform für nachhaltige Finanzen” präsentieren, sieht die Realität ganz anders aus: Luxemburger Investmentfonds stecken weiterhin Milliarden von Euro in fossile Brennstoffe und andere umweltverschmutzende Unternehmen, mit katastrophalen Auswirkungen auf Umwelt und Klima.

Eine zweite Studie im Auftrag von Greenpeace Schweiz und Luxemburg zeigt auf, dass nachhaltige Anlagefonds kaum Kapital in eine nachhaltige Wirtschaft lenken. Untersucht wurden 51 sogenannte “nachhaltige” Investmentfonds, welche in Luxemburg und in der Schweiz erhältlich sind. Die Resultate sind ernüchternd. Die untersuchten Fonds schaffen es kaum, mehr Kapital in eine nachhaltige Wirtschaft zu leiten als herkömmliche Fonds. Damit tragen sie kaum zur Bewältigung der Klimakrise bei und täuschen Investoren, die ihr Geld verstärkt in nachhaltige Projekte investieren wollen, so die Autoren. Nachhaltige Anlagefonds haben einen höheren ESG Impact Score als konventionelle Fonds. Allerdings ist der Unterschied so gering, dass er kaum zu einem besseren Rating führt.

Um solchen Missständen beizukommen, will UNCTAD jetzt ein UN Global Sustainable Finance Observatory gründen. Es soll Probleme wie die Fragmentierung von Standards, die Verbreitung des Benchmarkings, die Komplexität der Berichterstattung und die Eigendeklaration der Nachhaltigkeit angehen. Dabei soll auch mit den Standardsetzungsprozessen der Finanzindustrie und der Regulierungsbehörden zusammengearbeitet werden. Von den Kritikern der gegenwärtigen Praxis ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.

Hinweise:
* UNCTAD: World Investment Report (WIR 2021). Investing in sustainable recovery, 280 pp, United Nations: Geneva-New York 2021. Bezug: über unctad.org
* Greenpeace Luxembourg: Investing in Climate Change. A Climate-Related Analysis of the 100 Largest Investment Funds in Luxembourg, 20 pp, Greenpeace: Luxembourg, January 2021. Bezug: über greenpeace.lu
* Regina Schwegler/Beatrice Ehmann/Anik Kohli: Sustainability Funds Hardly Direct Capital Towards Sustainability. A Statistical Evaluation of Sustainability Funds in Switzerland and Luxembourg, 110 pp, Inrate und INFRAS: Zürich-Luxembourg, Juni 2021. Bezug: über greenpeace.lu