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Nach dem Horror-Jahr 2020

Artikel-Nr.: DE20210318-Art.02.01-2021

Nach dem Horror-Jahr 2020

Die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) erwartet, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 4,7% wächst, etwas stärker als im letzten September vorhergesagt (4,3%). Dies ist teilweise auf die stärkere Erholung in den USA zurückzuführen, wo die Fortschritte der Impfkampagne und ein neuer fiskalischer Stimulus von 1,9 Billionen Dollar den Konsumausgaben einen Schub geben dürften – so ein Update des Trade & Development Reports (TDR), das sich Rainer Falk angesehen hat.

Doch aus dem TDR-Update mit dem Titel „Out of the frying pan... Into the fire” (etwa: “Aus der Bratpfanne ins Feuer”) geht auch hervor, dass die globale Ökonomie bis Ende 2021 über 10 Billionen Dollar schwächer sein wird als wenn sich der Trend von vor der Pandemie fortgesetzt hätte (s. Abbildung 1; bitte auf das obere Bild rechts oben klicken). Dies hängt auch damit zusammen, dass der globale Output im Vorjahr den schärfsten Rückgang verzeichnete, seit aggregierte Statistiken über die wirtschaftliche Aktivität erhoben werden (seit den frühen 1940er Jahren). Davon war keine Region ausgenommen. Die ILO schätzt, dass die Krise weltweit einen Verlust von 255 Mio. Vollzeit-Arbeitsplätzen verursacht hat. Der internationale Handel ging im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahresquartal um rund 12% zurück, verzeichnete allerdings unmittelbar danach eine V-förmige Erholung. Dennoch nimmt es nicht Wunder, dass die Ängste hinsichtlich der Realität hinter der Rhetorik über eine widerstandsfähigere Zukunft anhalten.

„V“ steht für verwundbar

Den härtesten Schlag gegen die Weltwirtschaft bekamen nach UNCTAD die Entwicklungsländer mit begrenztem fiskalischem Spielraum, sich verschärfenden Zahlungsbilanzzwängen und inadäquater internationaler Unterstützung zu spüren. Und auch wenn alle Regionen in diesem Jahr eine konjunkturelle Wende sehen werden, könnten potentielle Abwärtsrisiken im Gesundheitssektor und der Ökonomie zu neuen Komplikationen führen.

An Zukunftsrisiken sieht das Update vor allem rückwärtsgewandte wirtschaftliche Dogmen, eine schwache multilaterale Zusammenarbeit und weit verbreitetes Zögern bei der Bearbeitung von Problemen der Ungleichheit, der Verschuldung und unzureichende Investitionen, die sich alle dank Covid-19 verschärft haben. Die Autor*innen weisen darauf hin, dass ohne einen Kurswechsel eine unausgewogene Erholung, die Verwundbarkeit für weitere Schocks und fortgesetzte wirtschaftliche Unsicherheit für viele zur neuen Normalität werden wird.

Verheerende Folgen für die ärmsten Länder

Auch wenn UNCTAD das Jahr 2020 als annus horribilis (Horrorjahr) beschreibt, erkennt der UN-Think Tank an, dass die Dinge hätten schlechter laufen können. Eine Kombination aus proaktiver Zentralbankpolitik zur Vermeidung einer finanziellen Kernschmelze, schnelle und angemessen große Hilfspakete in fortgeschrittenen Ländern, eine Gegenbewegung bei Kapitalflüssen und Rohstoffpreisen und die präzedenzlose Schnelligkeit bei der Entwicklung von Impfstoffen – alles dies half bei der Vermeidung einer noch stärkeren deflationären Spirale.

Gleichwohl war die Bedeutung dieser Aktionen ungleich mit K-förmigen, d.h. disparaten Erholungen, innerhalb und zwischen den Ländern. Vor allem die Entwicklungsländer mussten die höchsten persönlichen Einkommensverluste im Verhältnis zum BNP hinnehmen. In Ländern, in denen das Armutsniveau bereits hoch ist und große Teile der Arbeitskräfte im informellen Sektor arbeiten, kann die unmittelbare Bedeutung eines kleinen Abschwungs bereits verheerend sein. Wie die Weltbank schätzt, ist als Folge der Pandemie eine weitere Viertelmilliarde Menschen in die Armut abgerutscht (bei einem Grenzwert von 3,20 Dollar pro Tag).

Internationale Kooperation dringend erforderlich

Trotz des Ausmaßes der globalen Gesundheits- und Wirtschaftskrise ist die internationale Kooperation weit hinter dem zurückgeblieben, was notwendig gewesen wäre. Der Bericht vergleicht den ausgesetzten Schuldendienst (12 Mrd. Dollar für Juni 2020 bis Juni 2021) für 46 Länder im Rahmen der G20-Initiative DSSI (= Debt Service Suspension Initiative) mit den 80 Mrd. Dollar Schuldendienst-Zahlungen in 2019 durch alle 73 DSSI-Länder und über einer Billion durch alle Entwicklungsländer.

Auch die Weigerung der Industrieländer, eine Aussetzung der handelsbezogenen Aspekte der intellektuellen Eigentumsrechte (TRIPS) in der Welthandelsorganisation zu unterstützen, um die Verfügbarkeit von Impfstoff zu beschleunigen, zeigte eine Priorität der Profite vor den Menschen im Kampf gegen die Pandemie.

Die globale Erholung, die im dritten Quartal 2020 begann, wird erwartungsgemäß im Jahr 2021 weitergehen, wenn auch mit viel Ungleichheit und Unvorhersehbarkeit angesichts epidemiologischer, politischer und Koordinierugsunsicherheiten. UNCTAD sieht eine fehlgeleitete Rückkehr zur Austerität nach einer tiefen und zerstörerischen Rezession als Hauptrisiko für ihren globalen Wirtschaftsausblick an, vor allem im Kontext zerrütteter Arbeitsmärkte und deregulierter Finanzmärkte in den Industrieländern.

Doch selbst bei Vermeidung einer unmittelbaren Rückkehr zur Austerität wird es dem Berichte zufolge über ein Jahr dauern, bis Output und Beschäftigung zum Vor-Covid-19-Niveau zurück gekehrt sind. Dabei hängen Beschäftigung, Einkommensungleichheit und öffentliche Vorsorge in den meisten Ländern von der Entwicklung der politischen Entscheidungen ab. Und der Report warnt, dass Covid-19 wahrscheinlich anhaltende wirtschaftliche und gesundheitliche Konsequenzen haben wird, die fortgesetzte Unterstützung durch die Regierungen erfordern.

Alte Gewohnheiten sterben nur langsam

Der Bericht sieht Anzeichen dafür, dass die Post-Covid-Wachstumsstrategien überall auf der Welt zu den Vorkrisen-Normen zurückkehren – mit ungesundem Schwerpunkt auf Exporten in Teilen Ostasiens und Europas, lockerer Geldpolitik und anlagegetriebener Konsumtion in den Vereinigten Staaten sowie privaten Kapitalzuflüssen und Rohstoffexporten in Afrika und Lateinamerika.

Das 1,9-Billionen-Stimulus-Paket in den USA ist ein Grund zur Ermutigung. Gleichwohl sind trotz der großen Cash-Transfers viel weniger direkte Ausgaben für Konsum und Investitionen vorgesehen, welche den sichersten Weg zur Ausweitung aggregierter Nachfrage und zu einer grünen Transformation bieten würden. Noch problematischer ist für den Bericht, dass andere Industrieländer weit hinterher hinken (s. Abbildung 2; bitte auf das untere Bild rechts oben klicken).

Auch gibt es Anzeichen dafür, dass die neue Administration in den Vereinigten Staaten ihre Anstrengung auf multilateraler Ebene verstärkt, indem sie auf dem kommenden G20-Gipfel die Ausgabe neuer Sonderziehungsrechte in Höhe von 500 Mrd. Dollar unterstützen wird, um die globale Liquidität zu unterstützen, was die Trump-Administration blockiert hatte. Für UNCTAD ist das ein willkommener Schritt, doch das Ausmaß der Schuldendrohung, insbesondere für Entwicklungsländer, kann nicht ohne Schuldenerlasse und die Annahme eines funktionierenden Schuldenregulierungsmechanismus‘ gelöst werden.

Das TDR-Update kommt zu dem Schluss, dass die Bearbeitung der sich gegenseitig verstärkenden Trends von wachsender Ungleichheit, zunehmender Schuldenkrisen, abgehobener Finanzmärkte und wachsender Marktmacht von großen Konzernen, die zögern, ihre Profite in den Aufbau produktiver Kapazitäten zu investieren, mehr erfordert als einen einmaligen wirtschaftlichen Stimulus. Deshalb ruft die UNCTAD nach wie vor zu einer umfassenden Neugestaltung der wirtschaftlichen Spielregeln auf, wenn die Fehler der Finanzkrise von 2009 nicht wiederholt werden sollen und das Ziel einer inklusiven, nachhaltigen globalen Ökonomie bis 2030 realisiert werden soll.

Hinweis:
* UNCTAD: Trade and Development Report Update. Out of the frying pan… Into the fire?, 22 pp, United Nations: Geneva, March 2021. Bezug: über unctad.org

Posted: 19.3.2021

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Nach dem Horror-Jahr 2020: Die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht, Luxemburg, Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), 19. März 2021, www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org