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Neue Konfrontation und geopolitische Spaltung

Artikel-Nr.: DE20211210-Art.18.12-2021

Neue Konfrontation und geopolitische Spaltung

Keine gute Idee: Der Demokratiegipfel Bidens

Präsidenten, Premierminister und Könige aus über 100 Nationen trafen sich am 9. und 10. Dezember 2021 zum ‚Gipfel für Demokratie‘. Es war das erste Treffen dieses Ausmaßes, bei dem die Anwendung – oder die vorgebliche Anwendung – des demokratischen Governance-Prinzips in nationalen Angelegenheiten als Kriterium verwendet wurde, um zu einem internationalen Treffen einzuladen. Für Branko Milanovic kann das nur zur Vertiefung der geopolitischen Spaltung führen.

Es gibt drei Möglichkeiten, auf den Gipfel zu blicken. Eine naive Sicht besteht darin, dass es ein Treffen gleichgesinnter Staaten war, deren Interesse darin bestand, voneinander zu lernen, wie die Anwendung demokratischer Prinzipien bei sich zu Hause verbessert werden könne. (Dafür gibt es indessen schon viele andere Gelegenheiten.) Realistischer ist es, den Gipfel als einen Versuch zu sehen, einen losen Zusammenschluss von Staaten zu schaffen, die ihr Governance-Modell im Ausland fördern wollen, weil sie denken, es sei das Einzige, das mit den Bestrebungen der Universellen Deklaration der Menschenrechte vereinbar sei. Die realistischste Sicht besteht jedoch darin, den Gipfel als ein Präludium für die Schaffung einer breiten Assoziation von Staaten anzusehen, die von den USA als Speerspitze ihres ideologischen Kreuzzugs zur Eskalation des geopolitischen Konflikts mit China und Russland genutzt werden kann.

Unvereinbare Lager

Deshalb war der Gipfel aus einer globalen oder kosmopolitischen Perspektive (die er angeblich reflektierte) die falsche Idee. Er zielte darauf, die Welt in zwei unvereinbare Lager zu spalten, zwischen denen es wenig Umgang und noch weniger Verständigung geben könne. Logisch zu Ende gedacht, ist dann der Konflikt unvermeidbar.

Der Zusammenstoß zwischen China und den USA wird von geopolitischen Erwägungen angetrieben – die wachsende relative Macht Chinas und sein Versuch, seine historische Vorrangigkeit in Ostasien wiederzuerlangen. Das hat nichts mit Demokratie zu tun.

Der Zusammenstoß hat eine ideologische Dimension bekommen, weil jede Seite darauf insistiert, dass sein System besser für die Bedürfnisse der Welt ist. China legt den Schwerpunkt auf den technokratischen Charakter seines Systems, das, wie es beansprucht, effektiver auf das was die Leute wollen, reagiert; die USA legen das Schwergewicht auf die demokratische Partizipation ihrer Bürger*innen.

Gefährliches Territorium

Die geopolitischen und ideologischen Zusammenstöße enden in dessen in einem wirklich gefährlichen Territorium, wenn sie in den Bereich der Werte übersetzt werden. Denn ein geopolitischer Konflikt kann durch die eine oder andere Formel zur Sicherung eines Machtgleichgewichts gelöst werden, wie oft in der Geschichte beobachtet werden konnte. Gleiches trifft auf ökonomische oder ideologische Konkurrenz zwischen zwei Systemen zu – es mag sogar vorteilhaft für die Welt sein, wenn jede Seite in dem Versuch, die andere zu überbieten, globalen Fragen, wie Armutsbekämpfung, Migration, Klimawandel und der Pandemie, mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Doch wenn eine Seite glaubt, dass seine Werte im absoluten Gegensatz zu den Werten der anderen stehen, ist es schwierig zu sehen, wie ein Konflikt langfristig vermieden werden kann. Kompromisse zwischen verschiedenen Interessen sind möglich, aber nicht zwischen verschiedenen Werten. Die Schaffung einer Assoziation, die die Unvereinbarkeit der Werte zwischen Systemen amerikanischen Typs und Systemen chinesischen Typs festschreibt oder zementiert, trägt dazu bei, die ursprünglichen Interessengegensätze auf eine Ebene zu heben, wo Kompromisse nahezu unmöglich sind.

Die Formalisierung des Konflikts zwingt alle Länder, ob ihnen das gefällt oder nicht, sich auf eine Seite zu schlagen. Solche Bündnisse projizieren den Zusammenstoß USA-China auf die ganze Welt und verschärfen ihn.

Lehren aus dem ersten Kalten Krieg und dem Kolonialismus

Die Lektion, die wir aus dem Abbau des ersten Kalten Krieges gelernt haben sollten, besteht darin, dass die Weigerung, die Welt in zwei unversöhnliche Lager zu spalten, die Konfliktintensität zwischen den USA und der Sowjetunion verringerte und wahrscheinlich eine Anzahl lokaler Kriege verhinderte. Dies war auch der Beitrag der Zwischenstaaten wie Indien, Ägypten, Algerien und Ghana. Doch dies wird jetzt unmöglich sein: es gibt keinen dritten Welt mehr. Gemäß der Logik des Gipfels bist du entweder mit uns oder gegen uns.

Die manichäische Logik des Kampfes zwischen Gut und Böse durchsetzt viele westliche Medien und den politischen Diskurs. Viele mögen wirklich glauben, sie seien auf der Seite der Engel oder mögen sich selbst davon überzeugt haben, doch sie realisieren nicht, dass sie an einer sehr eigenorientierten Sicht der Geschichte teilnehmen und die Welt näher an einen offenen Konflikt heranbringen. Was sie tun, ist das genauer Gegenteil dessen, was ein friedenssuchender, kompromissorientierter, kosmopolitischer Ansatz erfordern würde – die Suche nach einer gemeinsamen Grundlage zwischen Systemen und Ländern und Ermöglichung eines natürlichen Wegs zu einer besseren Lage der Dinge.

Alle großen Konflikte beginnen mit großen ideologischen Rechtfertigungen. Die Kreuzzüge starteten mit der Idee, den ‚Untreuen‘ die Kontrolle über das Grab von Jesus zu entreißen. Sie wurden zu Plünderungsexpeditionen, die auf ihrem Weg alle Gesellschaften, ob christlich oder moslemisch zerstörten.

Der europäische Kolonialismus wurde mit religiösen (Evangelisierung der ‚Heiden‘) oder zivilisatorischen Kategorien legitimiert. Dies war der Deckmantel für Zwangsarbeit in Lateinamerika, Versklavung in Afrika und die Kontrolle der Innenpolitik anderswo (Indien, Ägypten, China und im größten Teil Afrikas).

Am Ende des Ersten Weltkriegs gab ein ähnlich größenwahnsinniges Projekt von US-Präsident Woodrow Wilson vor, das Prinzip der ‚Selbstbestimmung‘ zu verfolgen. Es degenerierte in eine Absegnung kolonialer Herrschaft, unter dem Etikett von ‚Protektoraten‘ und ‚Mandaten sowie schäbigen territorialen Deals.

Das neue grandiose Projekt würde – so es denn überlebt – genauso enden und als fadenscheiniger Deckmantel für weitere banale Ziele fungieren. Obwohl ein weiteres, physisches Treffen in ungefähr einem Jahr angesetzt ist, sollte der erste Gipfel für Demokratie der letzte gewesen sein.

Branko Milanovic ist ein serbisch-amerikanischer Ökonom. Er ist heute Professor an der City University of New York (CUNY) und war leitender Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank. Sein Text, hier erstmals in deutscher Übersetzung, ist eine gemeinsame Publikation von Social Europe und des IPS-Journals.