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Ökonomie-Nobelpreis für Arbeitsmarktforscher

Artikel-Nr.: DE20211131-Art.11.11-2021

Ökonomie-Nobelpreis für Arbeitsmarktforscher

Nachweis: Mindestlöhne sind keine Jobkiller

Mit dem diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreis ehrt das Komitee drei Spezialisten auf dem Gebiet der experimentellen Ökonomik für ihre Forschungen zum Arbeitsmarkt. Es sind die drei Ökonomen David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens. Der aus dem US-Staat Ohio stammende Angrist und der in Eindhoven geborene niederländisch-amerikanische Wissenschaftler Imbens teilen sich die eine Hälfte für ihre methodischen Beiträge zur Analyse von Kausalbeziehungen. Der Kanadier David Card erhält die andere Hälfte des Preises. Rudolf Hickel würdigt die Preisträger.

Was eint die Drei? Das Trio hat gezeigt, dass ihre „natürlichen Experimente dabei helfen, wichtige Fragen für die Gesellschaft zu beantworten“, sagte der Vorsitzende des zuständigen Nobelpreis-Komitees Fredriksson. Er fügte hinzu: „Die kombinierten Beiträge der Preisträger haben die empirische Arbeit in den Wirtschaftswissenschaften komplett neu gestaltet. Deshalb hat sich unsere Fähigkeit, kausale Fragen von großer Bedeutung für uns alle zu beantworten, enorm verbessert.“

● Neoklassisches Mantra widerliegt

Dabei haben die Ergebnisse der Arbeitsmarktforschung von David Card auch in Deutschland großen Einfluss auf die Durchsetzung von Mindestlöhnen. Inhalt ist eine radikale Kritik an der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie, die die Lohnpreisbildung nach dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage modelliert. Dagegen steht im Mittelpunkt der Status abhängig Beschäftigter, deren Arbeits- und insbesondere Lohnbedingungen durch die Unternehmer mit Monopolmacht definiert werden.

Gegen dieses neoklassische Arbeitsmarktversagen richtet sich die ordnungspolitisch unvermeidbare Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns mit dem Ziel, die Bedingungen für faire Löhne verbessern. Das neoklassische Mantra von Mindestlöhnen als Jobkiller wird widerlegt. In späteren Untersuchungen hat Card an Beispielen der Einwanderung nach den USA auch gezeigt, dass Arbeitsmigration nicht, wie durch den Neoliberalismus behauptet, zur Destabilisierung der Arbeitsmärkte führt.

Der Ökonomie-Nobel für David Card ist eine späte Anerkennung für die epochale Studie, die Card zusammen mit Allen B. Krueger bereits 1994 erstellt und darin belegt hat: Gesetzliche Mindestlöhne sind keine Jobkiller. Im Gegenteil, sie tragen durch das Ausbremsen schmutzigen Wettbewerbs mit Niedriglöhnern zur Produktivität der Wirtschaft bei. Entdeckt haben die Autoren den Missbrauch von Marktmacht durch Unternehmen, die auch die Wettbewerbsbedingungen anderer Unternehmen untergräbt. Und der lässt sich nur durch ordnungspolitisch gewollte Mindestlöhne eindämmen.

● Pionierstudie New Jersey-Pennsylvania

Den Ausgangspunkt dieser Rechtfertigung von Mindestlöhnen bildet das New-Jersey-Experiment von Card und Krueger: Die Mindestlöhne für einfache Arbeit in den Schnellrestaurants der Fastfood-Branche lagen in New Jersey deutlich über der nationalen Mindestvorgabe im Nachbarstaat Pennsylvania. Im diametralen Widerspruch zur neoklassischen Arbeitsmarkttheorie blieb jedoch die Jobkiller-Wirkung im Bundesstaat mit den höheren Mindestlöhnen aus. Die theoretische Erklärung: Die vorherrschende Marktmacht der Unternehmen bei der willkürlichen Lohnfindung wurde erfolgreich behindert. Und wegen der höheren Löhne stieg die Motivation zur Arbeit, die die steigenden Lohnkosten kompensierte.

Diese Pionierstudie löste eine Flut von Contra- und Pro-Studien aus. Die Methoden sind verbessert worden. Heute besteht – von wenigen Außenseitern abgesehen – auch in der Wirtschaftswissenschaft ein breiter Konsens über notwendige Mindestlöhne zur Stabilisierung der Arbeitsmärkte. Dieser Nobelpreis kommt zwar spät, aber nicht zu spät.

Zumindest in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion haben die Forschungsergebnisse auch bei der Einführung und Ausgestaltung der Mindestlöhne in Deutschland Einfluss gehabt. Die marktliberalen Protagonisten sollten die Ehrung von Card zum Anlass nehmen, ihre Vorschläge auf die Gestaltung von guter Arbeit zu konzentrieren.

● Bestätigung für „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“

Die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ darf sich mit ihrem frühen wirtschaftswissenschaftlichen Engagement für einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland bestätigt fühlen. Denn dessen Einsatz gegen die Ausbreitung prekärer Erwerbsarbeit im Niedriglohnsektor hat früh Eingang in die „Memoranden“ gefunden. Dazu sind explizit die Studien vor allem David Card, die von den neoliberal beeinflussten Wirtschaftsforschungsinstituten angezweifelt wurden, verarbeitet worden. Bei dieser Ehrung einer undogmatischen Beschreibung der Funktionsweise von Arbeitsmärkten, die die (missbrauchte) Unternehmensmacht gegenüber der systemischen Abhängigkeit der Beschäftigten betont, sind wir mit unserer Alternativökonomik immer gern dabei.

Dr. Rudolf Hickel war Hochschullehrer für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen, Mitbegründer der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ (Memo-Gruppe) und von November 2001 bis Oktober 2009 Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft.