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Post-Apartheid-Demokratie am Abgrund

Artikel-Nr.: DE20210814-Art.21.07-2021

Post-Apartheid-Demokratie am Abgrund

Schatten der Gewalt über Südafrika

27 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika zerbricht sich das Land den Kopf darüber, was zu den Plünderungen und Zerstörungen von Eigentum geführt hat, die in einer Woche mehr als 200 Tote und Sachschäden in Höhe von 1,3 Mrd. Dollar gebracht haben. Präsident Cyril Ramaphosa beschrieb die eine Woche anhaltenden Unruhen Ende Juli als gescheiterten Aufstand. Kevin Humphrey berichtet.

Unmittelbar vor dem Gewaltausbruch stellte sich Ex-Präsident Jacob Zuma den Gefängnisbehörden, um eine 15-monatige Haftstrafe anzutreten, die ein Gericht wegen der Weigerung, vor der State Capture Commission zu erscheinen, verhängt hatte. Die Kommission untersucht die weit verbreitete Korruption im Land.

● Hintergründe eines ’perfekten Sturms’

Während es einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Inhaftnahme des früheren Präsidenten und den Plünderungen gibt, stimmen die meisten Analysten darin überein, dass verschiedene Faktoren zu dem geführt haben, was als ‚perfekter Sturm‘ beschrieben wurde. Unter diesen vielen Erklärungen hoben Analysten hervor, dass dies ein Land sei, das von der Covid-19-Pandemie schwer verwüstet wurde, die zu einem Wachstum der Arbeitslosigkeit und endemischer Armut beigetragen habe, welches aber seit 1994 angehalten habe, weil der regierende African National Congress (ANC) unfähig war, seine Fraktionen und die weitreichenden rassischen und ethnischen Spaltungen zu vereinen und zu überwinden.

Die Südafrikanische Menschenrechtskommission (SAHRC) hat Hearings zu den Vorgängen geplant. Sie sagt, sie schätze die „Ereignisse, die zu den gewaltsamen Vorfällen in verschiedenen Provinzen und den daraus resultierenden Konsequenzen geführt haben, als komplex und facettenreich ein“. Die SAHRC hat auch Spannungen festgestellt, die innerhalb und zwischen besonderen Gemeinschaften aufgebrochen sind – von Phoenix in Durban, KwaZulu Natal, wo Gemeinschaften Waffen gegen Plünderer erhoben, bis nach Alexandra (kurz Alex genannt) in Johannesburg/Gauteng.

Alex ist eine Gegend, wo Spannungen und Unzufriedenheit viele Jahre zurückreichen. Die Gegend, die schon vor dem berüchtigten Landgesetz von 1913, das allen Schwarzen im Land das Recht auf Eigentum an Grund und Boden nahm, besiedelt war, war während der Apartheid ein Hauptschauplatz des Widerstands. Seine Post-Apartheid-Geschichte war durch viele unerfüllte Versprechen gekennzeichnet, durch schludrige Dienstleistungen und angeblich korrupte Praktiken in dem Alexandra-Erneuerungsprojekt.

● Soziales Pulverfass

Masego Mafata, der für ‘GroundUp’ schreibt, sagt, laut Aktivisten hat sich die Lage nach Protesten im Jahre 2019 in der Gegend nicht verändert. „Da Alexandra jüngst wieder von Massenprotesten und Protesten erfasst wurde, hat ein Bericht des ‚Public Protector‘ und der SAHRC das fortgesetzte Scheitern der Stadt Johannesburg und der Provinzregierung von Gauteng im Gefolge der verheerenden Proteste von 2019 enthüllt. Während die jüngsten Proteste Berichten zufolge mit dem Gefängnis für den früheren Präsidenten Jacob Zuma verbunden waren, vermutet der gemeinsame Bericht, dass die Gemeinde von Alexandra ein Pulverfass für öffentliche Unruhe ist.“

Wirtschaftliche Not und Einkommensungleichheit verstärkten die Effekte der Covid-19-Pandemie, die als eine Hauptursache der Unzufriedenheit im Land gesehen werden. Im jüngst veröffentlichten ‚International Journal for Equity in Health‘ schreiben Chijioke O Nwosu und Adeola Oyenubi, „landesweite Lockdowns hatten Einkommensverluste für Individuen und Firmen zur Folge, wobei verwundbare Bevölkerungsteile (Niedrigverdiener, informell und prekär Beschäftigte usw.) eher stärker betroffen sind.“

Der Sprecher des Südafrikanischen Gewerkschaftskongresses (COSATU) Sizwe Pamla stellt ebenfalls die vielfältigen Gründe für Randale und Plünderungen heraus. „Während die aktuellen Ereignisse durch politische Rastlosigkeit und Frustration im Gefolge der Gefangennahme von Ex-Präsident Jacob Zuma ausgelöst wurden, ist inzwischen klar, dass kriminelle Elemente das Problem auf opportunistische Weise gehijacked haben und es für Plünderungen nutzen,“ so Pamla. „Das ist auch eine Erinnerung daran, dass das Problem von Arbeitslosigkeit in Südafrika real ist. COSATU hat lange argumentiert, dass Arbeitslosigkeit eine tickende Zeitbombe ist, die unter den Blicken der Politiker und Entscheidungsträger explodieren wird.“

Für Individuen wie Georgio da Silva, den Besitzer eine Autoreparaturwerkstatt in Jeppestown, Johannesburg, spielt auch Xenophobie eine große Rolle in dem Mix aus Faktoren, die zu den Unruhen beitragen. Er und andere in der Gegend haben Erfahrungen der Selbstverteidigung ihrer Geschäfte gegen xenophobische Angriffe. Unmittelbar nachdem Zuma in das Estcourt-Gefängnis gebracht wurde und die Angriffe begannen, schaffte es Da Silva noch, seine Werkstatt zu schließen, doch sein Eigentum wurde beschädigt. Erst später realisierte er, dass Xenophobie nur einer der motivierenden Faktoren war.

● Erbitterte politische Spannungen im ANC

Es ist unbedingt notwendig, dass der komplexe Mix von Faktoren, die zu diesem ‘perfekten Sturm’ der Anarchie und Erhebung beitrugen, untersucht werden, um künftig solche Vorkommnisse zu vermeiden – die politischen Spannungen innerhalb der herrschenden Partei müssen dabei auch einbezogen werden. Der erbitterte Fraktionskampf innerhalb des ANC führte zu Ramaphosas Bild von schwacher Führung. Kaum erholt von einer Woche der Gewalt blieben die Südafrikaner verwirrt zurück, da sogar Kabinettsmitglieder sich nicht auf die Ursache der Unruhen einigen konnten.

Polizeiminister Bheki Cele sagt, er habe keine Geheimdienstberichte zu den Unruhen von der für die Agentur für Staatssicherheit zuständigen Ministerin Ayanda Dlodlo erhalten, was diese bestreitet. Die für Verteidigung und Kriegsveteranen zuständige Ministerin Nosiviwe Mapisa-Nqakula widersprach Ramaphosa und sagte, die Unruhen waren nicht Teil eines gescheiterten Aufstands. Seither ist sie von diesem Statement abgerückt.

Die politische Analystin, Autorin, Forschungsdirektorin am ‚Mapungubwe Institute for Strategic Reflection‘ und emeritierte Professorin Susan Booysen sagte gegenüber IPS, „sämtliche Unruhen der jüngsten Zeit tragen den Stempel des Fraktionismus im ANC. Während er nicht die einzige Ursache der Unruhen ist, kann der Fraktionismus als der grundlegende Auslöser gesehen werden, der eine Serie von Ereignissen in Bewegung setzte. Es ist klar, dass eine Fraktion der herrschenden Partei bereit war, an der Anstachelung der Art von Verhalten teilzunehmen als ein Weg, für sich selbst die Oberhand in der politisierten Atmosphäre zu gewinnen, die gegenwärtig das Land bestimmt.“

Prof. Steven Friedman, Forschungsprofessor an der ‚Faculty of Humanities, Politics Department at the University Johannesburg’, sagt, seine “Sicht der Gewalt ist, dass Fraktionspolitik wichtig war, aber nicht notwendigerweise in der sichtbar gewordenen Weise.“ Während die Gewalt in Reaktion auf die Festnahme Zumas ausgelöst wurde, erklärt dies nicht die Brutalität der Gewalt in KwaZulu Natal; da sei es um mehr gegangen, als ihn als Führer einer ANC-Fraktion zu unterstützen.

● Zumas Netzwerke

„Meine Sicht ist, dass Menschen in politischen und ökonomischen Netzwerken, die Teil der Zuma-Fraktion sind, zu der Überzeugung kamen, dass sich das Kräfteverhältnis verändert hatte und ihre Netzwerke in der Gefahr waren, aufgelöst zu werden. Das hätte ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss beendet und so reagierten sie mit einem Ausbruch von Gewalt, um ihre Netzwerke zu schützen,” so Friedman.

Was im Gefolge dieser Katastrophe getan werden muss: Südafrika muss die unübersehbaren Probleme angehen, die diese Situation möglich gemacht haben. Dazu gehören die offensichtlichen ökonomischen Ungleichheiten und eine Gesellschaft, die die von endemischer Gewalt geplagt wird, welche das Erbe von Apartheid und Kolonialismus ist. Das Land verfügt über demokratische Grundlagen, darunter eine weithin gelobte Verfassung, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Die Südafrikaner haben die Fähigkeit, diese Herausforderungen zu bekämpfen und ein Land aufzubauen, das sein volles Potential als eine treibende Nation liefert, in der es gleiche Chancen für alle gibt.

Kevin Humphrey war ein Aktivist während des Kampfes gegen die Apartheid und ist freier Autor und Redakteur. Der Beitrag (© IPS) ist eine deutschsprachige Erstveröffentlichung.