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Dekolonisierung der deutschen Museen

Artikel-Nr.: DE20220122-Art.02.01-2022

Dekolonisierung der deutschen Museen

Die Pläne der neuen Kulturministerin

Die neue deutsche Kulturministerin Claudia Roth hat ihr Amt mit dem Versprechen angetreten, die Arbeit ihrer Vorgängerin zur Dekolonisierung der Museen fortzusetzen, ein „grünes Kulturbüro“ zu schaffen, um die Finanzierung der Künste zu fördern und sowohl das Humboldt-Forum als auch ein geplantes neues Deutsches Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin zu überdenken, berichtet Catherine Hickley.

Die erste Grüne Kulturministerin, Roth (66), hat sich während ihrer langen politischen Karriere auf Menschenrechte konzentriert. Doch bevor sie in die Politik ging, hat sie im Theaterwesen gearbeitet und war eine Zeitlang Managerin der linksradikalen Rockband „Ton Steine Scherben“. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk-Radio sagte sie: „Immer waren zwei Herzen in meiner Brust. Eines ist die Liebe zu Kunst und Kultur – daher komme ich. Das andere ist die Leidenschaft für Demokratie.“

● Fortsetzung des ‘Neustarts Kultur’

Traditionell ist die Kultur in Deutschland den 16 Bundesstaaten vorbehalten, und das Kulturministerium ist in das Kanzleramt integriert. Der Posten ist immer noch keine Kabinettsposition und wurde erst 1998 geschaffen. Doch Roths Vorgängerin, Monika Grütters, hat ihn stark aufgewertet und erreichte eine dramatische Steigerung des Bundeskulturbudgets. Für 2022 genehmigte die Regierung 2,1 Mrd. € - eine Steigerung um 73% gegenüber 2013, dem Jahr, als Grütters ihr Amt antrat.

Roth tritt eine harte Nachfolge an, doch bringt sie sowohl ein Netzwerk als auch Gewicht mit; sie hatte mehrere höhere politische Positionen inne, einschließlich die Führung der Grünen Partei und – kürzlich – die Vizepräsidentschaft des Deutschen Bundestags.

Roth hat bereits klar gemacht, dass die Sicherung von mehr Finanzen für die Kunst eine ihrer Topprioritäten sein wird, besonders angesichts der Schläge, die die einschlägigen Institutionen in mehreren Lockdowns erleiden mussten. Der von den Sozialdemokraten, Grünen und Freidemokraten unterzeichnete Koalitionsvertrag schließt ein Bekenntnis zur Ausweitung von Grütters „Neustart Kultur“ zur Erholung von der Pandemie ein. Bislang hat Deutschland zusätzlich 2,5 Mrd. € für das reguläre Bundeskunstbudget bereit gestellt.

In einem Interview in der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte Roth, es seien vor allem „die alternative Szene, die Clubs, die Tonträger- und Comic-Shops, deren Existenz durch die Pandemie bedroht ist. Wir müssen das stoppen.“

● Antikoloniale Reform des Humboldt-Forums?

Doch ihre Aufmerksamkeit gilt ebenso den größeren Institutionen. Das im letzten Jahr eröffnete Humboldt-Forum wurde zu einem Brennpunkt für die Diskussion über die Museumssammlungen der kolonialen Ära. „Für mich ist es eine Frage des Herzens, dass wir auf allen Ebenen darüber nachdenken, wie wir unser Denken entkolonialisieren können,“ sagte Roth in dem „Zeit“-Interview. „Es wird wesentlich sein zu diskutieren, wie wir das Humboldt-Forum reformieren können.”

Unter der Vorgängerregierung hat Deutschland ein Memorandum of Understandig mit Nigeria über den Transfer der Eigentümerschaft von mehr als 1100 Benin-Bronzen unterzeichnet, die von den Briten geraubt wurden und jetzt in deutschen Museumssammlungen sind. Es wird Roths Aufgabe sein, den Vertrag umzusetzen, wobei die ersten Repatriierungen in diesem Jahr erwartet werden. Sie hat bereits für Januar ein Treffen aller deutschen Museen mit Benin-Bronzen anberaumt – bislang waren kleinere Museen mit nur wenigen Stücken nicht an der Diskussion beteiligt.

Doch Roth sagt, dass sie ebenfalls entschlossen ist, eine breitere gesellschaftliche Debatte über Dekolonisierung anzustoßen. „Die Diskussion über Dekolonisierung hat in der breiteren Gesellschaft noch nicht stattgefunden,“ erzählte sie der „Zeit“. Es gibt eine Annahme, dass dies ein Problem für andere ist, dass wir Deutschen da nicht so schlecht sind.“

● Supermuseum im Fadenkreuz

Ein weiteres Grütters-Projekt könnte ebenfalls in die Schusslinie Roths geraten. Berlins geplantes Museum des 20. Jahrhunderts, das von den Baseler Stararchitekten Herzog & de Meuron gebaut werden soll, ist weithin als zu teuer und zu energieintensiv angegriffen worden – Medienberichte schätzten die Gesamtkosten auf 600 Mio. €.

Nach Roth wurden ein paar Fragen bei der Planung des Museums vernachlässigt. „Es kann nicht sein, dass wir neue Museen bauen, ohne Nachhaltigkeitskriterien eine führende Rolle einzuräumen,“ sagt sie. Das neue „Grüne Kulturbüro“ soll als zentraler Koordinationspunkt für Nachhaltigkeitsfragen in Kunststandorten dienen – von Museen bis zu Musikstudios.

● Restrukturierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Andere unvollendete Aufgaben aus Grütters Amtszeit schließen eine geplante Überprüfung des kontroversen Gesetzes zum kulturellen Eigentumsschutz von 2016 und die Restrukturierung der Stiftung Preußisches Kulturerbe, Deutschlands größter Arbeitgeber im Kunstsektors, ein. 2020 fand ein Bericht im Auftrag der Regierung heraus, dass die Stiftung mit 2000 Beschäftigten „strukturell überdimensioniert“ ist – mit einer „vielschichtigen Hierarchie und unklaren Entscheidungsstrukturen, die Verantwortlichkeiten verbergen und Prozesse langgezogen und undurchschaubar machen“.

Die neue Koalition hat auch versprochen, die Rahmenbedingungen für die Restituierung von Naziraubkunst durch die Beseitigung von Begrenzungsbestimmungen, die Schaffung eines zentralen Gerichtshofs zur Behandlung von Fällen und die Kommission zu stärken, die sich mit Ansprüchen auf Stücke in öffentlichen Sammlungen befasst. Die Ankündigung wurde als gutes Zeichen für Ansprüche auf Kunst gelobt, die wegen der Naziverfolgung verloren gingen. Vor allem die Beseitigung von Begrenzungsbestimmungen, die gegenwärtig Ansprüche vor Gericht blockieren, „könnte ein wirklicher Game-Changer sein,“ sagt Ulf Bischop, ein Berliner Kunstanwalt.

Catherine Hickley ist Mitarbeiterin von „The Art Newspaper“, in der ihr Artikel (dt. Version: W&E) zuerst erschien.