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AEPF9: Trotz Schwächen ein kleines Wunder

Artikel-Nr.: DE20121031-Art.55-2012

AEPF9: Trotz Schwächen ein kleines Wunder

Das jüngste Asia-Europe People's Forum

Nur im Web - AEPF9, das 9. Asia-Europe People's Forum, das Mitte Oktober in Vientiane mit 1000 Teilnehmenden stattfand, stand ganz im Zeichen des Gastlandes Laos und seiner Öffnung für die Zivilgesellschaft, aber auch für den Markt und Investoren. Zwei Krisenvarianten dominierten alle Debatten: für Asien die investitionsgetriebe Land- und Wassernahme, für Europa die Verschuldung. Über das Forum berichtet Christa Wichterich.

Laos, eines der ärmsten Länder der Welt, hatte noch nie eine vergleichbar große Veranstaltung von zivilgesellschaftlichen Organisationen beherbergt und auch kein vergleichbar großes Regierungstreffen wie das Anfang November stattfindende ASEM, das alle zwei Jahre alternierend in Asien und Europa veranstaltete hochrangige Ministertreffen.

* Zwei Krisen im Mittelpunkt der Debatte

Das ASEM hat Vientiane ein von China innerhalb weniger Monate hochgezogenes imposantes Kongresszentrum, Villen für die Regierungsdelegationen und den Import einer stattlichen Limousinenflotte, inklusive 130 Benz und 30 BMWs, beschert. Sie werden sich zu den zahlreichen Vans und SUVs gesellen, mit denen bereits die ortansässigen Banken- und Unternehmensvertreter, Beratungsfirmen und Entwicklungsexperten die Straßen Vientianes verstopfen. Transitionsländer – von Burundi bis Nepal und Laos – haben Hochkonjunktur. Wie Laos das alles bezahlt? Höchstwahrscheinlich mit dem Wertvollsten, das das arme Land hat: mit Holz.

Ein Novum im Vorfeld des AEPF9 war, dass es in einer Reihe asiatischer Länder von Indien bis Indonesien, vor allem aber in den verschiedenen Provinzen Laos Vorbereitungstreffen gab, um die vier thematischen Schwerpunkte einzuführen, die AEPF-Routine sind: universelle soziale Sicherheit, nachhaltige Energieversorgung, Ernährungssouveränität, gerechte Arbeit und nachhaltige Existenzgrundlagen.

Bei den monatelangen Verhandlungen zwischen dem internationalen und dem nationalen Organisationskomittee hatte sich die laotische Regierung zunehmend offen und neugierig gegenüber zivilgesellschaftlichen Kräften gezeigt – anders als die Gastgeber 2004 in Vietnam und 2008 in China. Zwar erforderte es durchgängig den Einsatz reichlich diplomatischen Geschicks, bis sie z.B. darauf verzichtete, die Veranstaltung von 500 Soldaten „schützen“ zu lassen, stattdessen 80 Freiwillige für die Logistik bereitstellte und die Bewachung durch Bewaffnete auf Distanz blieb. Nach heftigen Anfangsproblemen der Registrierung und Zulassung für die mehrheitlich südostasiatischen Teilnehmenden lief die Vor-Ort-Organisation reibungslos.

Informationsaustausch, Vernetzung und Strategieentwicklung sind die Hauptaufgaben des AEPF. Bestimmend für alle Debatten in Vientiane waren die beiden Krisenvarianten, die Asien und Europa derzeit beherrschen, und die Politiken, die diese Krisen lösen wollen. Asien leidet unter einer Krise seiner Existenzgrundlagen aufgrund einer immer räuberischeren und zerstörerischen Investitionspolitik, Europa unter der Verschuldungskrise und der Austeritätspolitik, die das viel gerühmte wohlfahrtsstaatliche Modell demontieren. Während in Europa – auch in den Ländern, die nicht so heftig von der Krise getroffen sind – Entsicherung von Arbeit und sozialem Schutz das dominante Lebensgefühl ist, ist es in Asien – selbst in den Ländern mit enormen Wachstumsraten – immer noch nicht gelungen, die angestrebten sozialen Sicherheiten herzustellen.

* Anknüpfungspunkte zwischen Nord und Süd

Die drei querliegenden, politisch sensiblen Schlüsselthemen für Südostasien sind Land- und Wassergrabbing, Investitionspolitik und Migration innerhalb und zwischen Ländern. Sie sind einerseits Ausdruck kapitalistischen Wachstums, reflektieren andererseits die Enteignung lokaler Bevölkerungen, die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und den Zwang, neue Überlebensstrategien und Sicherheiten aufzubauen. MigrantInnen fordern nachdrücklich bürgerschaftliche Rechte, ein Recht auf eine eigene Identität und Integration und verwahren sich gegen Assimilation.

Viele Anknüpfungspunkte zwischen Norden und Süden ergaben sich, weil die Krise in Europa exemplarisch zeigt, wie der globale Süden in verschiedensten Formen in den globalen Norden kommt: Verschuldung und Lösungskonzepte wie Strukturanpassungen, Konditionalitäten und Austerität bestimmen nun die EU-Politik, während sich auf dem Arbeitsmarkt informelle, prekäre und temporäre Beschäftigung, aber auch Unterauftrags- und Leiharbeit ausbreiten, wie sie in Asien dominieren. Neue Freihandels-, Investitions- und Ressourcenstrategien – Anfang Oktober wurden FTA-Verhandlungen zwischen der EU und Vietnam aufgenommen – werden von der EU als ein Weg aus der Krise verfolgt.

Die EU-Handelsinitiative „Everything but arms“, die den ärmsten Ländern Handelsvorteile verschaffen wollte, wird inzwischen von Investoren aller Länder für ihre Absatz- und Gewinnstrategien instrumentalisiert. So betreibt ein thailändisches Unternehmen Landnahme in Kambodscha und pflanzt Zucker für den Export in die EU an.

Auch die Konzepte, die angesichts der hohen Nahrungsmittelpreise von Regierungen und internationalen Finanz- und Entwicklungsorganisationen verkündet werden, sind nicht geeignet, die Ernährungskrise zu lösen, da sie nur die kommerziellen Interessen der globalen, industrialisierten Nahrungsmittelketten vertreten. Das Konzept der Ernährungssouveränität formuliert dagegen einen Paradigmenwechsel für die Landwirtschaft und eine Agrarreform, die durch soziale Bewegungen wie Via Campesina erkämpft werden (struggle concept).

* Heftiger Widerstand, doch thematische Lücken

Die organisierte Zivilgesellschaft in Asien reagiert häufig mit heftigem Widerstand auf Investitionen und Freihandelsabkommen. Sie fürchtet um ihre Versorgung mit erschwinglichen Medikamenten, protestiert gegen die Verdrängung von Kleinhändlern und Straßenverkäuferinnen durch Handelskonzerne wie Metro und Carrefour und fordert Entscheidungs- und Gestaltungsmacht gegenüber transnationalen Unternehmen und Investoren – ob es sich nun um Tourismus oder Bergbau handelt. Dieser Widerstand zeigt punktuelle Erfolge: die Rekommunalisierungskampagne „Reclaiming public water“ leistete in Jakarta einen wichtigen Beitrag zum Rückzug des französischen Versorgungsunternehmens Suez aus der städtischen Wasserversorgung.

Beim AEPF9 öffnete sich ein Spannungsfeld unterschiedlicher Positionen zwischen fairem Anteil an Entscheidungen über Investitionen und souveräner Selbstbestimmung über die eigenen Ressourcen, zwischen sozialer Unternehmensverantwortung und Paradigmenwechsel. Trotz der Bandbreite an Themen und Informationen fehlten auf der Agenda auch wesentliche aktuelle Brenn- und Streitthemen.

Pablo Solon, der neue Direktor von Focus on the Global South, kritisierte die weitgehende Abwesenheit umweltpolitischer Themen bzw. die Abspaltung der Ökologie aus den dominanten Wirtschaftsdebatten. Während er mit dem Buen-vivir-Ansatz aus Bolivien eine Alternative zu Entwicklung fordert, weil diese immer Wachstum und Ressourcenausbeutung bedeute, halten die Aktivistinnen aus Asien es für sinnvoll, mit einem kritischen Entwicklungskonzept in ihren Ländern weiterzuarbeiten.

Die in Asien wie Europa heftig kritisierte Green Economy blieb unterbelichtet. Die großen Tendenzen der Ökonomisierung und Finanzialisierung von Natur und Ökosystemleistungen rückten nicht ins Zentrum. Ebenso blieben Themen, die derzeit in Europa kritische Diskussionen beeinflussen wie Wachstums- und Konsumkritik, praktische Ansätze einer solidarischen Ökonomie und sozial-ökologische Transformation insgesamt nur marginal.

* Symbolismus statt strategische Zuspitzung

Den meisten Diskussionen fehlte eine strategische Perspektive und offene Räume für eine nach vorn gerichtete Auseinandersetzung über notwendige und mögliche Alternativen. Streitpunkte wurden nicht zugespitzt: Welche Verbesserungen müssen innerhalb des Systems erkämpft werden und welche erfordern Transformationen? Reicht die Forderung nach Umsetzung von Rechten und Regeln oder was ist nötig auf dem Weg in eine solidarische Ökonomie? In Bezug auf Arbeit fiel es wieder einmal schwer, über konventionelle lohnzentrierte Gewerkschaftsansätze hinauszudenken, obwohl sich in Asien und in Europa zunehmend informell und prekär Arbeitende organisieren, wie die Hausangestellten, deren Konvention die ILO 2011 angenommen hat.

Wie immer verabschiedete auch dieses AEPF – im Unterschied zu den ergebnisoffenen Sozialforen - eine Abschlussdeklaration. Deren Bedeutung liegt weniger in den Inhalten, die in der Kürze der Zeit nicht demokratisch zwischen 1000 Teilnehmenden ausgehandelt werden können. Vielmehr geht es – symbolische Politik – um ein Arbeitsergebnis, das gegenüber dem ASEM vorzeigbar ist.

Trotzdem: Das Zustandekommen der Abschlussdeklaration war wie das AEPF in Laos insgesamt ein kleines Wunder. Erst vor Ort war klar, wer die Finanzierung für die Anreise hatte auftreiben können, wer auf den Panels sitzt, in welchem Workshop in Lao übersetzt wird. Wer hier welche Zivilgesellschaft oder People repräsentiert, bleibt letztlich einigermaßen zufällig. Linke Kräfte gaben den Ton an, aber nicht die Richtung.

Die laotische Regierung bekam inhaltlich zunehmend kalte Füße, platzierte in Workshops, in denen Kritik an Laos geübt wurde, AdvokatInnen ihrer Politik, während die regierungseigene Presse in Leitartikeln phantasierte, das AEPF hätte die Regierungspolitik in Bezug auf Land, Investitionen und Dämme voll unterstützt. Kritisches wurde einfach nicht ins Laotische übersetzt, die laotischen Kopien der Abschlusserklärungen waren seltsamerweise verschwunden. Die LaotInnen lächelten, der stellvertretende Premierminister stellte das Land in eine Reihe mit Bhutan und nannte Laos ein Land der Glücklichen. Das AEPF hat ihnen einen anderen Markt der Möglichkeiten geboten.

Veröffentlicht: 30.10.2012

Empfohlene Zitierweise:
Christa Wichterich, AEPF9: Trotz Schwächen ein kleines Wunder. Das 9. Asia-Europe People's Forum, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 30. Oktober 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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