Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Agrarpreise: Die Finanzialisierung der Agrarmärkte

Artikel-Nr.: DE20110208-Art.08-2011

Agrarpreise: Die Finanzialisierung der Agrarmärkte

Marktfaktoren und Rohstoff-Spekulation

Vorab im Web - Anfang dieses Monats teilte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) mit, dass ihr Globaler Preisindex für Nahrungsmittel im Januar erstmals über das Niveau des Jahres 2008 geklettert ist – ein Allzeithoch, seit der Index ermittelt wird. Da die Nahrungsmittelpreise auch weiterhin steigen sollen, könnte 2011 das Jahr einer erneuten Nahrungsmittelkrise werden. Den Anteil der Spekulation an dieser Entwicklung beleuchtet Timothy A. Wise.

FAO-Index für Nahrungsmittelpreise


Wir sind zurück in einer neuen Phase hoher Nahrungsmittelpreise, doch die sog. Fundamentaldaten der Märkte erklären den Preisanstieg nur unzulänglich. Dennoch weist ein breites Spektrum an Analysten und Kommentatoren, von Paul Krugman bis hin zum International Food Policy Research Institut (IFPRI), das Argument von der Hand, dass ein beträchtlicher Teil des Anstiegs der Lebensmittelpreise 2006-2008 auf Spekulation zurückzuführen war. Zwei Jahre nach dem Platzen der Immobilien- und Finanzkrise hat sich die Abwehr des Spekulationsarguments sogar noch verfestigt.

* Preismanipulation versus exzessive Spekulation

Wie Krugman sich in einem seiner letzten Blogeinträge ausdrückte: „Ich war und bleibe skeptisch gegenüber der Spekulationsstory von 2007-2008, weil es an Beweisen für die Hortung von Rohstoffen mangelt.“ Krugman und andere verfehlen das Thema oder übersehen zumindest den Unterschied zwischen Preismanipulation und exzessiver Spekulation. Wenn ein großer Marktakteur auf einem knappen Markt hortet, dann ist das Manipulation. Aber es bedarf keiner Manipulation, damit nicht-kommerzielle Investoren (d.h. Investoren, die am Handel mit physischen Rohstoffen überhaupt nicht interessiert sind; d.Red.) auf den Rohstoffmarkt dringen. Und es fällt schwer, die Fundamentaldaten unserer schönen neuen „finanzialisierten“ – und immer noch deregulierten – Rohstoffmärkte zu leugnen.

Um Fakten zu nennen: Auf einen Betrag von etwa 9 Billionen Dollar beläuft sich der Handel mit Rohstoffderivaten. Davon sind 80-90% außerbörslicher Handel („over-the-counter“: OTC), der außerhalb des öffentlichen Blickfeldes vonstatten geht. Fünf Banken kontrollieren 96% des Derivategeschäfts; somit haben einige wenige Akteure entscheidende Marktmacht. Das Verhältnis von nichtkommerziellen Spekulanten zu kommerziellem Hedging (also diejenigen, die ein kommerzielles Interesse an den gehandelten Rohstoffen haben) liegt schätzungsweise bei 4:1. Das ist annähernd eine Umkehrung des Verhältnisses von vor zehn Jahren, als Spekulanten 20% der Aktivität ausmachten. Damals stellten solche Spekulanten den Märkten in der Tat Liquidität zur Verfügung ohne sie zu überschwemmen. Das ist nicht länger der Fall.

* Die Rolle der Indexfonds

Rohstoff-Indexfonds agieren dort, wo die Grundtatsachen der Spekulation nicht bestritten werden können, insbesondere im Hinblick auf Agrarrohstoffe. Indexfonds sind typischerweise Baskets aus 20 oder mehr Rohstoffen und wurden von Goldman Sachs und anderen Finanzakteuren als Sicherungsgeschäft (Hedging) gegen abnehmende Renditen in anderen Sektoren entwickelt, basierend auf der Beobachtung, dass Rohstoffpreise ihren Wert behalten, wenn andere Anlagen ihren Wert verlieren. Üblicherweise wetten Indexfonds „langfristig“ auf steigende Preise, und sie halten ihre Investments über einen längeren Zeitraum als ein typischer kommerzieller Hedger. In der Tendenz werden damit die Preise nach oben getrieben, was wiederum mehr Spekulationskapital anzieht und die Volatilität verstärkt .

Insgesamt hat sich die Anzahl der Derivatkontrakte zwischen 2002 und Mitte 2008 mehr als versechsfacht, indem diese Investment-Vehikel nach der Subprime- und Finanzkrise zu einem sicheren Hafen wurden. Masters and White zufolge waren Indexfonds-Käufe bereits im Juli 2003 verbreiteter als die Futures-Käufe von kommeziellen Hedgern und traditionellen Spekulanten zusammengenommen. Dann haben sie sich in der ersten Jahreshälfte 2008 verdoppelt.

Es wäre schlimm genug, wenn Spekulationskapital die kommerziellen Hedging-Interessen auf diesen Märkten einfach überschwemmen würde. Aber eigentlich hat sich die Spekulation eher institutionell verfestigt als das. Agrarrohstoffe machen selten mehr als 30% des Werts von Indexfonds aus. Tatsächlich lagen die Anteile im Juli 2008 beim S&P Goldman Sachs Commodity Index, dem bei weitem größten Indexfonds mit 63% Marktanteil, bei 75% Energie- und 10% Getreide-Futures, der Rest waren mineralische Rohstoffe.

* Finanzkapital dominiert kommerzielles Hedging

Damit wird die Bewegung der Indexfonds vom Ölpreis getrieben, der selbst auf einem hochspekulativen Markt entsteht, auf dem etwa 70% der Futures-Investments von nichtkommerziellen Spekulanten stammen. Unter solch institutionalisierten Strukturen treibt der Ölpreis die Bewegung der Indexfonds und damit den Preis für Agrarrohstoffe in die Höhe, ganz gleich, wie es sich mit Angebot und Nachfrage für Soja oder Mais verhält. Schlimmer noch, die Indexfonds sind gehalten, Wert und Menge ihrer Rohstoffe in einem strikten Gleichgewicht zu halten. Demzufolge müssen sie mehr Mais- und Sojafutures kaufen, wenn der Preis und Wert von Energieprodukten steigt, damit sie dass vorgeschriebene Verhältnis einhalten. Dies stellt noch einen weiteren institutionellen Impetus dar, Agrarfutures ohne Rücksicht auf die Fundamentaldaten der Märkte kaufen.

Welchen Teil dieses Bildes sehen die Spekulationsleugner nicht? Inzwischen dominiert das Finanzkapital das kommerzielle Hedging auf den Futuresmärkten, Indexfonds sind zu einem enormen Investment-Vehikel in unsicheren Zeiten der Wirtschaft geworden, und die Indexfonds bewegen sich mit Öl- und Mineralienpreisen – und diese ziehen die Nahrungsmittelpreise mit.

Glücklicherweise hat Frankreich in seiner G20-Präsidentschaft diesem Thema Priorität eingeräumt, und im Mai 2010 treffen sich zum allerersten Mal die G20-Landwirtschaftsminister. Unterdessen ist die US Commodity Futures Trading Commission (CFTC) damit beschäftigt, Regeln zur Re-Regulierung der Derivatemärkte auszuarbeiten und damit einige der vielversprechenderen Maßnahmen des Dodd-Frank-Gesetzes zur Finanzmarktreform zu realisieren. Dazu stellte CFTC-Präsident Gary Gensler fest: „Ich bin der Meinung, dass eine verstärkte Spekulation mit Energie- und Agrarprodukten Bauern und Konsumenten geschadet hat.“

Wir sollten zweifellos prüfen und erörtern, in welchem Ausmass die jüngsten Preisschwankungen exzessiver Spekulation geschuldet sind und was dagegen zu tun ist. Aber wir sollten aufhören darüber zu streiten, ob es überhaupt ein Problem ist. Die Marktfundamentals der Rohstoffspekulation werden jedenfalls schmerzlich deutlich.

Timothy A. Wise ist Direktor des Research and Policy Program am Global Development and Environment Institute der Tufts University/USA. Sein Beitrag erschien zuerst im Triple Crisis Blog. Übertragung aus dem Englischen: Sarah Hellmerichs.

Veröffentlicht: 4.2.2011

Empfohlene Zitierweise: Timothy A. Wise, Agrarpreise: Die Finanzialisierung der Agrarmärkte, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 02/Februar 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

Hinweise/Links: