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Aquakultur auf globalem Expansionskurs

Artikel-Nr.: DE20090513-Art.22-2009

Aquakultur auf globalem Expansionskurs

Neue EU-Strategie als Flankenschutz

Fisch stellt den bei weitem größten Teil des Welthandels mit Agrargütern, und Aquakultur ist der am schnellsten wachsende Bereich der Erzeugung von Nahrungsmitteln. Führend in der Aquakultur ist Asien, mit 80% der Weltproduktion. Nun legt die EU mit ihrer im April 2009 erschienenen Aquakultur-Strategie den europäischen Unternehmen einen roten Teppich aus. Ein Bericht von Susanne Gura.

Der Norden kann sich mit Fisch nicht selbst versorgen und bezieht seine Fischimporte zur Hälfte aus dem Süden. Insbesondere die EU ist auf Importe angewiesen. In der EU-27 werden 12 Mio. t Fischereiprodukte verzehrt, davon stammen ca. 60% aus den Mitgliedsstaaten. Die Fischfänge sind im vergangenen Jahrzehnt um 26% zurückgegangen. Nur 1,3 Mio. t kommen aus der europäischen Aquakultur. Das Defizit ist eines der Hauptargumente der EU-Kommission für ihre Aquakultur-Strategie, die im April 2009 vorgelegt wurde (s. Hinweis).

* Geschäftschancen in Drittländern

Die Fischbestände in den Weltmeeren können nicht weiter geplündert werden, die Fangflotten sind längst zu groß und arbeiten nicht mehr wirtschaftlich. Aquakultur scheint die Lösung. In der EU kommt erst etwa ein Fünftel der Fischproduktion aus Farmen, zumeist Lachs und Forellen. die Aquakultur in Europa stagniert jedoch, im Gegensatz zu Asien.

Die Aquakultur-Strategie der EU-Kommission unterstreicht zum einen, dass eine Analyse der Gründe für die Stagnation erforderlich sei, während man zum anderen den globalen Markt zum Verkauf der eigenen Expertise und Technologien nutzen müsse. Die Aquakultur-Entwicklung in der EU müsse kompatibel mit dem Naturschutz sein. Zudem wolle die Kommission mit Hilfe der Strategie im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik den europäischen Firmen eine Grundlage für neue Geschäftschancen in Drittländern bieten. Zwar ist viel von Nachhaltigkeit in der EU-Strategie die Rede, Ökosystemleistungen kommen jedoch überhaupt nicht vor.

Von den Lobbyisten der industriellen Aquakultur wird ungeniert betont, man sorge auf nachhaltige Weise für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung. Ein Kilo Lachs könne man schon mit 1,2 kg Futtermitteln herstellen, während Geflügelfleisch 3-5 kg und Schweinefleisch etwa 8 kg Futtermittel brauche. Der ökologische Fußabdruck der industriellen Aquakultur ist dabei keineswegs eingerechnet, und den Vergleich mit der traditionellen asiatischen Aquakultur (s. Infobox) scheut man.

Asien: Angepasste Aquakultur unter Druck

In Asien hat die Aquakultur einen völlig anderen ökologischen, sozialen und ökonomischen Stellenwert. In China ist die Aquakulturproduktion seit über 50 Jahren um etwa 10% jährlich gewachsen, so dass die Versorgung von etwa 5 kg auf 25 kg Fisch, Schalen- und Krustentiere pro Person und Jahr angestiegen ist (Deutschland: ca. 17 kg, Weltdurchschnitt ca. 14 kg). 70% der chinesischen Fischproduktion kommt aus der Aquakultur.

* Teichwirtschaft: Unter Mao Zedong wurde eine Teichwirtschaft aufgebaut, die aus mehreren Arten, auch pflanzlichen, in unterschiedlichen Positionen der Nahrungskette besteht (Polykultur). Oft werden Teiche mit Schweine- und Geflügelhaltung und dem Anbau von Gemüse oder der Maulbeerseiden-Produktion kombiniert. Ähnliche integrierte Systeme haben sich in großen Teilen Asiens verbreitet.

Zu den Ökosystemleistungen der asiatischen Aquakultur gehören die Verwertung unterschiedlichster Nährstoffe aus Abfall und Abwasser, und die Kontrolle von Schädlingen. Die asiatischen Nassreisfelder mit ihrem Reichtum an aquatischen Arten sind bekannt für ihren Beitrag zur Schädlingsbekämpfung, den die Grüne Revolution durch ihren Chemieeinsatz jedoch verringert hat - Fische können in den chemisch behandelten Reisfeldern nicht gedeihen.

* Unterschiede zu Europa: Während herbivore und omnivore Arten für die wachsenden Bevölkerungen Asiens die wichtigste Proteinquelle darstellen, wurden in Europa und Nordamerika karnivore Arten für die industrielle Aquakultur entwickelt, insbesondere Lachs, Forellen und Garnelen. Sie werden mit Fertigfutter gefüttert. Die hohen Anteile an Fischmehl und Fischöl machen Garnelen, Lachs und Forellen eben nicht zu Proteinquellen für die Weltbevölkerung, sondern zu Netto-Proteinvernichtern.

Schon lange stand die Aquakultur des Nordens als Nahrungskonkurrenz für Fischer-Gemeinschaften des Südens in der Kritik. Die Fangmengen der Futterfische, vorwiegend aus peruanischen Küstengewässern, können nicht weiter gesteigert werden. Die Nahrungskette ist gestört, die Bestände größerer Fischarten gehen zurück. Nun konkurriert die wachsende industrielle Aquakultur nicht nur verstärkt mit Geflügel, Schweinen, Rindern um deren Futtermittel, sondern auch um die pflanzlichen Grundnahrungsmittel der Menschen wie z.B. Soja. Und trägt zum Abholzen der Regenwälder Südamerikas bei.

* Ausrichtung auf Europas Markt: 80% der Aquakultur-Produktion findet in Asien statt, die ärmeren Bevölkerungsschichten beziehen ihre Eiweißversorgung überwiegend aus kleinen herbivoren Fischarten. Ihre Land- und Wasser-Ressourcen werden jetzt für die Exportproduktion nach Europa und Nordamerika gebraucht.

Immer mehr asiatische und lateinamerikanische kleinbäuerliche Aquakultur-Erzeuger stellen ihre Land- und Wasser-Ressourcen kostenlos und ihre Arbeitskraft zu niedrigsten Preisen für den Export in den Norden zur Verfügung. Viele Jahre lang hat die intensive Garnelenproduktion in Thailand, Indonesien, Vietnam, Ekuador und anderen Ländern die Mangroven zerstört, und Garnelen-Viruskrankheiten haben Kleinbauern in die Verschuldung getrieben. In den Export-Wertschöpfungsketten wurden die Produktionsrisiken auf sie abgewälzt. Derzeit produzieren vietnamesische Kleinbauern Pangasius für den europäischen Markt, wobei sie ein Hundertstel des Konsumentenpreises erlösen und damit knapp am Break-even-point arbeiten.

S.G.

Lachs braucht mehrere Jahre bis zur Schlachtreife und kostet drei- bis viermal soviel wie Schweine- oder Hühnerfleisch. Für eine Verbilligung bestehen keine Aussichten, falls nicht dieselben Subventionen fließen wie bei Fleisch und Milch. Das Produktionsrisiko in der industriellen Aquakultur ist wegen der rascheren Verbreitung von Schädlingen und Krankheiten noch höher als in Schweine- und Geflügelfabriken. In Chile haben innerhalb weniger Jahre ein Parasit und ein Virus die neu aufgebaute Lachsindustrie zu Fall gebracht. Risikofinanzierung ist deshalb in der EU-Strategie fest verankert.

* Technologische Führungsrolle Europas

Die Selektionszüchtung hat den Lachs an die industrielle Aquakultur angepasst, und dabei neue Probleme geschaffen. Millionenfach brechen Zuchttiere aus und verbreiten ihre Gene in den Wildpopulationen. Sie verbreiten ebenfalls Schädlinge und Krankheiten und haben Auswirkungen auf die Nahrungskette. Auch die Fischerei wird davon betroffen. Die Zuchttiere erreichen das Schlachtgewicht in kürzerer Zeit, wenn Futtermittel, Impfungen, und andere Bedingungen stimmen. Pharma-Konzerne wie Schering-Plough verdienen immer mehr an der industriellen Aquakultur.

Die Züchtungsindustrie führt gern ihre Triploidisierungs-Technologien ins Feld, damit könnten aquatische Arten sterilisiert und Wildpopulationen geschützt werden. Damit könnten endlich auch die drei Dutzend gentechnisch veränderten Arten aus der Forschung in die Produktion kommen. Diese in der Öffentlichkeit noch wenig bekannten Terminator-Technologien können jedoch bisher nur eines mit Sicherheit: Sie machen die Nachzucht durch die Konkurrenz unwirtschaftlich. Mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sie trotzdem.

Möglicherweise will die EU tatsächlich unabhängiger von Importen werden. Dazu müssten kapitalintensive Anlagen errichtet werden, an den Küsten – wo andere Wirtschaftszweige und der Umweltschutz starken Widerstand bieten - wie auch in Binnengewässern und an Land, wie es z.B. die Gemeinde Völklingen mit öffentlichen Mitteln macht.

Deutsche Firmen sind führend in der Technologie für geschlossene Kreislauf-Anlagen. Bei hohen Besatzdichten und hohem Energieaufwand können auf kleinem Raum verschiedenen Arten die nötigen Wassertemperaturen und Salzgehalte geboten werden; Nachhaltigkeits-Zertifikate gibt es bereits für Produkte aus solchen Anlagen.

Bei der Entwicklung der Genetik führt ebenfalls Europa. Aquagen verkauft 35% der Weltbedarfes an Lachs-Eiern, und gehört seit 2008 Erich Wesjohann aus Visbek in Niedersachsen, gleichzeitig Weltmarktführer für Geflügelgenetik. Interesse an der neuen Aquakultur-Strategie der Europäischen Kommission dürfte auch der weltgrößte Fischfutterhersteller Skretting (40% des Weltmarktes) haben, der dem niederländischen Futtermittelkonzern Nutreco gehört. Fischfuttermittel werden bereits in Asien gut verkauft; Die Konkurrenten Cargill und Charoen Pokphand bauen große Futtermühlen in Vietnam und anderen Aquakultur-Hotspots.

Erst drei Prozent der Welt-Aquakultur bezieht industrielle Genetik, in Europa sind es allerdings schon 70%. Die Genetik-Firmen hoffen auf neue Märkte durch die Anpassung weiterer Arten an die industrielle Aquakultur (gerne verharmlosend „Domestizierung“ genannt). Biotechnologie-Forschungsförderung der Aquakultur ist Thema im 7. Forschungsrahmenprogramm und wird durch die EU-Strategie bestärkt. Bei der für Asien bestimmten Garnelenzüchtung dominieren US-Firmen. Die Karpfenzüchtung ist chinesisches Terrain. Viele andere Arten sind „candidate species“, und es wird dabei meist an die Wildbestände erinnert, die es zu schützen gilt.

Das Argument zieht in vielen Fällen längst nicht mehr, denn seit man mit Hilfe von Hormonen aus der Hirnanhangdrüse der Fische das Ablaichen steuern kann, ist man bei einer Reihe von Arten unabhängig von Wildbeständen geworden. Viele asiatische Länder setzen strenge Laich- und Larven-Sammelverbote durch. Tausende von spezialisierten Zucht-Betrieben in Asien züchten und vermehren Larven von über hundert Arten. In mehreren Ländern, auch in China, ist die Züchtung in staatlicher Hand. Dennoch haben US-amerikanische Firmen Vermehrungsstationen für Garnelen in mehreren Ländern Asiens eröffnet; das könnte EU-Begehrlichkeiten wecken. Für die unabhängige kleinbäuerliche Fisch-Züchtung und Fisch-Haltung, einem essentiellen Teil der Ernährungssouveränität in Asien, könnte die Förderung der industriellen Aquakultur das Aus bedeuten.

* Lobbyarbeit des Agrobusiness

Selbstverständlich wirkte die Industrie öffentlich an der EU-Strategie-Entwicklung mit. Beispielsweise macht Nutreco keinen Hehl aus seiner Befürwortung nicht nur von GVO-Futtermitteln, sondern auch von GVO-Fischen, sowie seiner Ablehnung des geltenden Tiermehlverbotes. Deregulierung ist ein wichtiger Baustein der Strategie geworden.

Die Finanzierung von Aquakultur-Maßnahmen aus öffentlichen Mitteln ist zentrales Element der Strategie, u.a. durch das Forschungsrahmenprogramm und durch den künftigen Finanzrahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik. Alle Interessensgruppen, öffentliche und private, sind eingeladen, an der Umsetzung mitzuwirken. Auch Image-Werbung ist Teil der Strategie. Gesunde Fischprodukte aus einer gesunden Umwelt – der Werbetext steht praktisch schon fest.

Susanne Gura ist freiberufliche Beraterin in der internationalen Agrarpolitik und arbeitet über Biologische Vielfalt in der Landwirtschaft.

Hinweis:
* Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft für die Aquakultur, Brüssel, 8.4.2009 (KOM(2009) 162 endg). Online unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2009:0162:FIN:DE:PDF

Veröffentlicht: 14.5.2009

Empfohlene Zitierweise: Susanne Gura, Aquakultur auf globalem Expansionskurs: Neue EU-Strategie als Flankenschutz, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 05/Mai 2009.