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Arbeitsmigranten in der globalen Wirtschaftskrise

Artikel-Nr.: DE20090905-Art.36-2009

Arbeitsmigranten in der globalen Wirtschaftskrise

Leben unter erhöhtem Risiko

Vorab im Web – Da Arbeitsmigrantinnen und -migranten häufig keinen gesicherten arbeitsrechtlichen Status haben, gehören sie zu den ersten, die aufgrund weltwirtschaftlicher Turbulenzen ihre Jobs verlieren. Aber die gegenwärtige globale Wirtschaftskrise hat die Arbeitsmigranten auf eine sehr differenzierte Weise und bisher nicht so stark getroffen, wie zu vermuten wäre. Das zeigt eine neue ILO-Studie, die sich Frank Kürschner-Pelkmann angesehen hat.

Die Studie trägt den Titel „The global economic crisis and migrant workers: Impact and response“ (s. Hinweis) und kommt zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen einer globalen Krise sehr stark abhängig sind von dem Land und der Branche, wo die Arbeitsmigranten tätig sind. In Ländern wie den USA, Irland und Spanien ist die Baubranche stark von der Krise betroffen, in Ländern wie Malaysia, Japan und Südkorea sind es vor allem die exportorientierten Industriebetriebe. Beides sind Branchen, wo überwiegend Männer beschäftigt sind.

* Ganzes Ausmaß noch nicht absehbar

Demgegenüber sind viele Bereiche, in denen vor allem Migrantinnen tätig sind (u.a. Gesundheitswesen und Haushalte), von der Krise bisher kaum betroffen. Deshalb scheinen mehr Migranten als Migrantinnen arbeitslos zu werden. Ob das so bleibt, ist aber unsicher, vor allem dann, wenn der Hotel- und Tourismussektor noch stärker betroffen sein sollte. Viel hängt davon ab, wie lang die globale Wirtschaftskrise andauern wird.

Top 10: Rücküberweisungen in Entwicklungsländer


Das ganze Ausmaß der Auswirkungen der Krise auf die Zahl der Arbeitsmigrantinnen und -migranten wird sich erst in ein oder zwei Jahren zeigen. Viele legal arbeitende Ausländer haben mehrjährige Kontrakte, und viele „Illegale“ harren auch unter ungünstigsten Bedingungen so lange wie möglich aus, weil die Wiedereinreise schwierig und nicht selten gefährlich ist. Die Migranten wissen um die Wirtschaftskrise in der Heimat und zögern umso mehr, dorthin zurückzukehren. Aus diesem Grunde haben „freiwillige“ Rückkehrprogramme, wie sie z.B. Spanien anbietet, bisher kaum Resonanz gefunden. Laut Studie ist aber bereits zu beobachten, dass die Zahl der neuen Migrantinnen und Migranten deutlich zurückgeht, in Mexiko zwischen August 2007 und August 2008 um 50%.

* Abhängigkeit von Überweisungen der Migranten

Die Länder, aus denen Millionen Migrantinnen und Migranten stammen, sind in mehrfacher Weise von der globalen Wirtschaftskrise betroffen. Sie verlieren Exportmärkte, gewinnen kaum neue Auslandsinvestitionen und sehen sich mit wachsenden Zahlen von Rückkehrern sowie sinkenden Überweisungen von Migranten in die Heimat konfrontiert. Ende 2008 schätzte die Weltbank, dass diese Geldsendungen 2009 weltweit um 5% sinken würden, inzwischen wurde diese Prognose auf etwas mehr als 8% erhöht. Besonders hart betroffen sind zentralasiatische GUS-Staaten, wo der Anteil der Geldzahlungen von Migranten sehr hoch ist, im Falle von Tadschikistan mehr als 40% vom Bruttosozialprodukt. Die Arbeitskräfte aus diesen Ländern sind häufig im russischen Bausektor tätig gewesen, wo die Zahl der Entlassungen sehr hoch ist.

* Ausländerfeindlichkeit in der Krise

In der internationalen Presse ist in den zurückliegenden Monaten häufiger über Angriffe auf Migrantinnen und Migranten berichtet worden, denen von Einheimischen vorgeworfen wird, ihnen Jobs wegzunehmen und an dem ohnehin rudimentären Angebot an staatlichen Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsangeboten zulasten der einheimischen Bevölkerung zu partizipieren. So wurden im Mai 2008 22 Migranten aus Zimbabwe in Südafrika ermordet, und 6.000 verloren ihre Unterkünfte.

Die ILO-Studie macht deutlich, dass solche Übergriffe bisher die Ausnahme geblieben sind: „Es ist wichtig zu betonen, dass Gewalt und Xenophobie gegen Arbeitsmigranten alles andere als weit verbreitet sind.“ Allerdings ist die Entwicklung besonders in Russland Besorgnis erregend. Aus einem kürzlichen Bericht der russischen Organisation „Büro für Menschenrechte“ geht hervor, dass 2008 insgesamt 122 Menschen bei fremdenfeindlichen Übergriffen getötet und 380 verletzt wurden.

Noch gravierender als direkte Angriffe auf Migrantinnen und Migranten wirkt sich aus, dass Regierungen eine latent fremdenfeindliche Stimmung in vielen Ländern dazu nutzen, Restriktionen zu begründen oder zu rechtfertigen, etwa ein hartes Vorgehen gegen ausländische Arbeitskräfte ohne legalen Status oder eine Einschränkung der Zahl neuer Arbeitskontrakte für Ausländer. In der EU sind laut Umfragen sehr viele Bürger dafür, Arbeitsmigranten Rückkehrprogramme anzubieten (z.B. in Italien 79% und in Großbritannien 78%). In manchen Ländern vertreten die Gewerkschaften, so geht aus der Studie hervor, einseitig die Interessen der einheimischen Beschäftigten. So forderte der malaysische Gewerkschaftsverband, dass die Visa für 70.000 Arbeiter aus Bangladesch widerrufen werden sollten. Im März 2009 erklärte ein malaysischer Regierungsvertreter, dass die Zahl der in ihre Heimat zurückgeschickten ausländischen Arbeiter auf etwa 300.000 gestiegen war.

* Migration als Sackgasse

Eine Reihe von Entsendeländern bemüht sich nun, so wird in der Studie berichtet, den Zurückkehrenden bessere berufliche Perspektiven zu eröffnen. So will die philippinische Regierung den Rückkehrern Kredite zur Verfügung stellen, damit sie sich eine eigene Existenz aufbauen können. Ecuador hat ein „Willkommen in der Heimat“-Programm ins Leben gerufen und dafür ein Hilfs- und Integrationspaket unterschiedlicher Behörden und staatlicher Einrichtungen geschnürt. Es bleibt allerdings die Frage, warum solche Initiativen erst jetzt erfolgen, obwohl es z.B. im Falle der Philippinen schon seit vielen Jahren Hunderttausende von Rückkehrern gegeben hat.

Was in der Studie zu kurz kommt: Die Migration von Millionen gut ausgebildeter junger Leute erweist sich für die besonders stark betroffenen Länder als Sackgasse. Dies sind häufig Länder, deren Regierungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten bemerkenswert schlechte Leistungen aufzuweisen haben, z.B. Burma, die Philippinen und verschiedene zentralasiatische Staaten. In Zeiten der Globalisierung werden solche Fehlleistungen gnadenlos „bestraft“, d.h. die betreffenden Länder fallen ökonomisch weit zurück hinter die Nachbarländern – und durch die Migration vieler gut ausgebildeter Fachkräfte wird dies noch verstärkt. Dies wurde bisher durch die Migration jüngerer Leute und deren Zahlungen aus dem Ausland abgemildert und z.T. verdeckt und hat damit indirekt Regime an der Macht gehalten, die völlig abgewirtschaftet haben.

Nun, in der Krise, wird überdeutlich, dass es keine Alternative zu einer eigenständigen, nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung gibt. Das könnte zu einer Chance für viele Entsendeländer werden, auch wenn zu fürchten ist, dass die betreffenden Regime umso brutaler versuchen werden, ihre Macht zu erhalten. Arbeitsmigration, so zeigt sich, beendet in günstigen Fällen individuelle Verarmungsprozesse, aber nicht den wirtschaftlichen Rückstand ihrer Länder. Neue weltwirtschaftliche Strukturen, die bisher benachteiligten Ländern Möglichkeiten einräumen, und die Nutzung solcher Chancen durch verantwortungsbewusste Regierungen und wirtschaftlich Mächtige sind alternativlos.

Hinweis:
* Ibrahim Awad, The global economic crisis and migrant workers: Impact and response, 76 pp, ILO: Geneva 2009. Bezug: über http://www.ilo.org/public/english/protection/migrant/download/global_crisis.pdf

Veröffentlicht: 6.9.2009

Empfohlene Zitierweise: Frank Kirschner-Pelkmann, Arbeitsmigranten in der globalen Wirtschaftskrise. Leben unter erhöhtem Risiko, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 6.9.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).