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Brain Drain aus LDCs: Wie kommt das Wissen zurück?

Artikel-Nr.: DE20130115-Art.02-2013

Brain Drain aus LDCs: Wie kommt das Wissen zurück?

Neuer LDC-Report von UNCTAD

Gebildete und hoch qualifizierte Bürger der ärmsten Länder der Welt, die aus beruflichen Gründen ausgewandert sind, könnten einen Beitrag gegen den Brain-Drain-Effekt leisten, indem sie zum Transfer von Wissen und zur Kanalisierung von Investitionen zurück in ihre Herkunftsländer beitragen. Das schlägt die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in ihrem jüngsten LDC-Report vor. Eine W&E-Zusammenfassung.

Der Bericht mit dem Titel „Harnessing Remittances and Diaspora Knowledge to Build Productive Capacities” wartet mit drastischen Statistiken auf. Die Gesamtzahl der hochqualifizierten MigrantInnen aus den inzwischen 49 am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) schätzt er auf über 2 Millionen. Einer von fünf Menschen aus LDCs mit Universitätsabschluss lebt im Ausland, während es im Falle der Industrieländer nur einer von 25 ist. Mit 18,4% liegt die Brain-Drain-Rate bei den LDCs am höchsten überhaupt, während die anderen Entwicklungsländer lediglich auf etwa 10% kommen. Bei sechs der 48 LDCs leben sogar mehr hochqualifizierte Bürger im Ausland als zu Hause.

* Mehr Nachteile als Vorteile

Im Jahr 2000 lag die Zahl dieser Kategorie von LDC-Emigranten noch bei 1,3 Millionen – 58% höher als ein Jahrzehnt zuvor. Inzwischen wird geschätzt, dass die Zahl bei über 2 Millionen liegt. Bei dieser Zahl, argumentiert der UNCTAD-Bericht, könnten die negativen Effekte auf die LDCs die Vorteile aus den Rücküberweisungen übertreffen, also der Milliarden an Dollars, die diese Arbeitskräfte Jahr für Jahr an ihre Familien zu Hause schicken. Viel spricht deshalb dafür, dass der Brain Drain (wörtlich: Entzug von Gehirnen) die internationale Ungleichheit in Bezug auf die Verfügbarkeit qualifizierten Personals verstärkt und die langfristigen Wachstumsaussichten der LDCs schädigt.

Um diesen negativen Effekten zu begegnen, schlägt UNCTAD einen neuen internationalen Hilfsmechanismus vor, der die hochqualifizierten Mitglieder der LDC-Diaspora befähigt, zu einem spezialisierten Wissenstransfer beizutragen und Investitionsmittel in ihre Heimatländern zu kanalisieren. Das vorgeschlagene Schema für den Wissenstransfer besteht aus einem Finanzierungsinstrument, das sich an LDC-BürgerInnen wenden würde, die im Ausland leben und arbeiten. Es würde Mitglieder dieser Gruppe ausfindig machen, die „willens sind, in den Aufbau von Wissen und Lernprozesse in ihren Heimatländern zu investieren“. Es würde darauf abzielen, die Fähigkeiten von Mitgliedern der Diaspora zu mobilisieren, die „Expertise auf einem besonderen Feld mit hohem Wissensgehalt besitzen, die für die Unternehmensentwicklung und zum Aufbau produktiver Kapazitäten“ in ihrem Heimatländern von Nutzen sein könnte, vor allem in Mittel- und Hochtechnologie-Industrien (z.B. Maschinenbau, IKT, Biotechnologie) und ausbildungsintensiven Aktivitäten (z.B. Ingenieurwesen und Beratung).

Der Begriff „produktive Kapazitäten“ bezieht sich auf die Fähigkeit einer Ökonomie, eine größere Bandbreite wettbewerbsfähiger Güter und Dienstleistungen zu produzieren. UNCTAD hat schon seit Jahren dafür plädiert, die produktiven Kapazitäten der LDCs zu verbessern, da das von zentraler Bedeutung ist, um sie und ihre Bevölkerung für langfristiges Wirtschaftswachstum und die Überwindung der Armut zu befähigen.

* Motivierung der Diaspora

Der von UNCTAD vorgeschlagene internationale Hilfsmechanismus soll u.a. dazu beitragen, die Risiken zu reduzieren, die in der Regel mit Investitionen von Diaspora-Mitgliedern in ihren Heimatländern einher gehen. So könnte man etwa für einen bevorzugten Zugang zu Startkapital sorgen und dieses zu Präferenzzinsen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig könnten von den Regierungen Kreditbürgschaften gewährt werden.

Um die notwendigen Finanzierungsmittel zu mobilisieren, wollen die Autoren des Berichts vielfältige Quellen nutzen. Da qualifizierte Emigranten aus LDCs hauptsächlich in Industrieländern leben, wären die erforderlichen Finanzmittel dort und in anderen finanzstarken Ländern oder von internationalen und regionalen Finanzinstitutionen aufzubringen.

Insgesamt sei klar, dass ein besonderer Plan nötig sei, um qualifizierte Diaspora-Mitglieder aus LDCs zu motivieren, in den Aufbau von Wissen und innovativen Kapazitäten in ihren Heimatländern zu investieren. Institutionell könnte das neue Instrument bei den regionalen Entwicklungsbanken, wie der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Asiatischen Entwicklungsbank und der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank, angesiedelt sein, die dann eng mit den nationalen Entwicklungsbanken zusammenarbeiten müssten. Die Besonderheiten und Details des Schemas bedürften auf der weiteren Ausarbeitung und zusätzlicher Forschung.

* Bislang magere Ergebnisse

Bis heute haben verschiedene LDC-Regierungen versucht, das Potential ihrer Diaspora zur Mobilisierung von Wissen und Technologie für die Heimatländer zu nutzen – mit magerem Erfolg, bilanziert der Report. Eine neue Industriepolitik und –strategie werde gebraucht, bei deren Entwicklung die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Emigranten einbezogen werden sollten. Eine Möglichkeit sei die Entwicklung von Wissensnetzwerken der Diaspora. Diese Netzwerke könnten – zusammen mit Wirtschaftsvereinigungen und akademischen Einrichtungen – genutzt werden, um Einzelpersonen mit relevanten Institutionen in Verbindung zu bringen.

Um den Aspekt der Teilung von Wissen in den durch das neue Schema initiierten Investitionsprojekten zu stärken und Linkage-Effekte zu lokalen Akteuren zu fördern, sollten Joint Ventures mit einheimischen Firmen ermutigt werden. Auf diese Weise würde das Schema als Instrument der Verbreitung von Wissen dienen. Die einheimischen Partner würden ihrerseits ihr Wissen über die lokalen Geschäftsbedingungen beisteuern – ebenso wie ihre Kontakte auf der lokalen Ebene.

* Was dem Brain-Drain-Druck entgegensetzen?

Das Verhältnis von Arbeitskräften mit Universitätsabschluss und einfachen Arbeitern ist in den Industrieländern dreimal höher als in den LDCs, geht aus dem Report hervor. In den ärmsten Ländern der Welt entfallen auf jede Person mit einem tertiären Abschluss 42 Menschen, die einen niedrigeren Abschluss, wenn überhaupt, haben. Diese Ausbildungsungleichheit stellt bereits heute ein Hindernis für die Entwicklungsaussichten der LDCs dar und hat gravierende Auswirkungen auf die Anstrengungen des LDCs zu Diversifizierung ihrer Ökonomien. Die UNCTAD-Autoren warnen davor, dass die LDCs – mit ihren tiefgehenden strukturellen Zwängen – ihre derzeit recht hohen Wachstumsraten nicht aufrecht erhalten könnten, wenn dem gegenwärtigen Trend zum Brain Drain nichts entgegen gesetzt wird.

Am schlimmsten ist der Brain Drain in Sektoren wie Gesundheit und Bildung und in Bereichen, in denen Unternehmen auf die intensive Nutzung von Wissenschaft und Technologie angewiesen sind. Brain Drain verursacht große Schäden und treibt Länder in die Verarmung, indem er ihnen genau die Menschen entzieht, die am meisten zur Stimulierung wirtschaftlicher Entwicklung beitragen könnten. Hinter diesem Phänomen steht ein enormer weltwirtschaftlicher Druck, sei es in Form von Pull-Faktoren (aus dem Norden), sei es in Gestalt von Push-Faktoren (aus dem Süden). Ob in dieser Konstellation eine Initiative, die zum (Re-)Transfer von Wissen ermutigen will, Grundlegendes verändert werden kann, darf bezweifelt werden.

Hinweis:
* UNCTAD: The Least Developed Countries Report 2012: Harnessing Remittances and Diaspora Knowledge to Build Productive Capacities, 190 pp, United Nations: New York and Geneva 2012. Bezug: über www.unctad.org
Veröffentlicht: 15.1.2013

Empfohlene Zitierweise:
W&E-Zusammenfassung, Brain Drain aus LDCs: Wie kommt das Wissen zurück?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Januar 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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