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Das war Rio+20: Mau, mager, minimal

Artikel-Nr.: DE20120626-Art.33-2012

Das war Rio+20: Mau, mager, minimal

Doch zum Katzenjammer besteht kein Grund

Vorab im Web - Die Minimalkompromisse der Rio+20-Konferenz hatten sich schon in den Vorverhandlungen abgezeichnet. Wer angesichts der mauen Ergebnisse von einem „kolossalen Scheitern“ des Gipfels spricht oder gar den Multilateralismus gleich gänzlich für tot erklärt, wie es in deutschen NGO-Kreisen gelegentlich zu hören war, verkennt die Logik globaler Verhandlungsprozesse. Eine differenziertere Einschätzung aus Rio liefert Jens Martens.

Seinem ambitionierten Titel „Die Zukunft, die wir wollen“ („The Future We Want“) wird das Abschlussdokument des Rio+20-Gipfels zweifellos nicht gerecht. Auf 49 Seiten bekräftigt es die Nachhaltigkeitsprinzipien des ersten Erdgipfels von Rio 1992, setzt sich mit dem kontroversen Konzept der Green Economy auseinander, formuliert halbherzige Reformen der UN-Institutionen im Bereich nachhaltiger Entwicklung und skizziert den Prozess hin zu universellen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs: „Sustainable Development Goals“). Daneben enthält es Abschnitte zu 26 Themenbereichen, von der Armutsbekämpfung über die Reduzierung von Katastrophenrisiken bis zum Meeresschutz, sowie ein Schlusskapitel zu den unvermeidlichen „Mitteln für die Umsetzung“, insbesondere Finanzen und Technologietransfer.

Der Text enthält viel Verhandlungslyrik und wenig konkrete Beschlüsse, die mit politischen oder gar finanziellen Verpflichtungen verbunden sind. Das ist die Zukunft, die wir nicht wollen“, kommentierten NGO-VertreterInnen das Verhandlungsergebnis zum Abschluss der Konferenz.

* Rio-Prinzipien bestätigt

Heftige Kontroversen gab es um das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Dieses Prinzip bildete einen der Meilensteine der Rio-Deklaration von 1992. Zum ersten Mal in der Geschichte hatten die Regierungen damals ihren unterschiedlichen gegenwärtigen und historischen Beitrag zur Umweltzerstörung anerkannt – und damit auch ihre unterschiedliche Verantwortung, für die Wiederherstellung des Ökosystems und die Anpassung an Umweltschäden zu bezahlen. Nach Ansicht der USA und der EU sei dieses Prinzip angesichts der veränderten weltpolitischen Kräfteverhältnisse nicht mehr zeitgemäß. Dies trieb die Regierungen der G77 gemeinsam auf die Barrikaden. Am Ende setzten sie sich durch, die Rio-Prinzipien wurden durchweg bestätigt. Die entscheidende Frage blieb allerdings unbeantwortet: Wie kann die unterschiedliche Verantwortung jenseits der platten und in der Tat anachronistischen Aufteilung der Welt in Industrie- und Entwicklungsländer bemessen und in monetäre Größen übersetzt werden.

* Green Economy-Ansatz neutralisiert

In den Verhandlungen über Schritte zur „Begrünung“ der Wirtschaft neutralisierten sich Gegner und Befürworter des Konzepts weitgehend. Auf der einen Seite gelang es der EU nicht, ihren Vorschlag einer Green Economy Roadmap mit konkreten Zielen und Maßnahmen, etwa zur Steigerung der Ressourceneffizienz, durchzusetzen. Auf der anderen Seite konnten Länder wie Bolivien und Ecuador nicht verhindern, dass der Begriff überhaupt im Abschlussdokument auftaucht. Die Regierungen beschränkten sich jedoch vor allem auf einige unverbindliche Maßnahmen zur Förderung umweltgerechten Wirtschaftens. Unter anderem sollen „Instrumentenkästen“ (tool boxes) mit guten Beispielen für grünes Wirtschaften eingerichtet werden.

* Halbherzige UNEP-Reform

Auch bei ihrem zweiten politischen Ziel für die Rio-Konferenz konnte sich die EU nicht durchsetzen: Die Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP) zu einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen scheiterte am Ende u.a. am Widerstand der USA. Aber auch zahlreiche Länder des globalen Südens haben sich gegen eine derartige Stärkung von UNEP ausgesprochen, weil sie eine Verlagerung von Finanzmitteln innerhalb des UN-Systems vom Entwicklungs- zum Umweltbereich befürchteten. Diese Sorge war nicht unbegründet, denn zum einen plädierte die EU für eine finanzielle Stärkung von UNEP, zum anderen war sie nicht bereit, zusätzliche Finanzverpflichtungen einzugehen. Am Ende blieb der laue Kompromiss, das Budget von UNEP durch zusätzliche reguläre Haushaltsmittel der UN und freiwillige Beitragsleistungen der Mitglieder zu steigern. Außerdem sollen dem Verwaltungsrat von UNEP künftig alle 193 Mitgliedsstaaten der UN angehören. Ob dies seine politische Handlungsfähigkeit erhöht ist fraglich.

* Neues Politisches Forum der UN

Um die gemeinsame Bearbeitung ökologischer, entwicklungs- und wirtschaftspolitischer Fragen unter dem Dach der UN zu verbessern, wurde im Vorfeld von Rio vorgeschlagen, die schwache Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) durch einen UN-Rat für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Council“) nach dem Vorbild des UN-Menschenrechtsrates zu ersetzen. Dieser Vorschlag wurde u.a. von der Bundesregierung unterstützt. Als Gegenkonzept brachte Mexiko die Idee eines hochrangigen Politischen Forums für nachhaltige Entwicklung („High Level Political Forum“) in die Diskussion.

Diese Idee wurde von der G77 unterstützt und setze sich am Ende durch. Denn gerade viele kleinere Länder des Südens sind grundsätzlich misstrauisch gegenüber neuen Gremien mit begrenzter Mitgliedschaft, in denen sie nicht vertreten sind. Dem neuen Forum gehören anders als dem anvisierten Nachhaltigkeitsrat alle 193 Mitglieder der UN an. Ob es mehr als ein weiteres Forum zum Austausch diplomatischer Gemeinplätze sein wird, hängt von seinem politischen Mandat und den Modalitäten seiner Arbeit ab. Über diese Details wird die UN-Generalversammlung im Herbst 2012 entscheiden.

* Globale Nachhaltigkeitsziele nach 2015

Breite Unterstützung erhielt der Vorschlag, globale Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu vereinbaren, die nach dem Jahr 2015 die bisherigen Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) ergänzen oder sogar ersetzen sollen. Viele sehen in diesem Beschluss den größten Erfolg von Rio. Allerdings besteht auch hier noch erheblicher Verhandlungsbedarf über die Details (s. auch ???042ae6a064093550e???).

In Rio vereinbarten die Regierungen lediglich, eine 30-köpfige Arbeitsgruppe aus RegierungsvertreterInnen einzusetzen, die bis zum Herbst 2013 Vorschläge für ein Set künftiger SDGs vorlegen soll. Diese Ziele sollten für alle Länder der Erde Gültigkeit besitzen und zugleich in ihren Unterzielen und Indikatoren genügend Flexibilität ermöglichen, um die ökonomische, ökologische und soziale Situation der einzelnen Länder berücksichtigen zu können. Noch ungeklärt ist, wie dieser Prozess mit den Diskussionen über die Zukunft der MDGs und die Post-2015 Entwicklungsagenda verschränkt wird. Im Abschlussdokument von Rio heißt es lediglich, die Prozesse sollen „koordiniert und kohärent“ erfolgen.

* Strategie zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung

Jede Entscheidung über ein Set zukünftiger Entwicklungsziele wird wirkungslos bleiben, wenn die Regierungen nicht gleichzeitig verbindlich vereinbaren, welche Mittel sie zur Verwirklichung der Ziele bereitstellen. Aus diesem Grund kann eine Entscheidung von Rio an Bedeutung gewinnen, die bislang kaum beachtet wurde. Die Regierungen vereinbarten, eine 30-köpfige Expertengruppe einzusetzen, die Optionen für eine zukünftige Strategie zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung („Sustainable Development Financing Strategy“) formulieren soll. Bis 2014 soll sie einen Bericht vorlegen, in dem sie den künftigen Finanzbedarf abschätzt, die gegenwärtigen Finanzierungsinstrumente bewertet und potentielle neue Initiativen prüft. Dies bietet die Gelegenheit, das System der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung in einem Gremium auf den Prüfstand zu stellen, das nicht von den klassischen Geberländern dominiert wird.

* Alternative Fortschrittsmaße jenseits des BIP

Im Rio-Abschlussdokument haben die Regierungen ohne wenn und aber die Notwendigkeit anerkannt, umfassendere Maße für gesellschaftlichen Fortschritt zu entwickeln, die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergänzen sollen. Die Vereinten Nationen und ihre Statistikkommission erhielten den Auftrag, dazu ein Arbeitsprogramm zu entwickeln. Damit bietet sich erstmals die Chance, die diversen Initiativen über alternative Modelle und Indikatorensysteme zur Messung von Wohlergehen und gesellschaftlichem Fortschritt – von Bhutan bis zur OECD – auf globaler Ebene zusammenzuführen. In den kommenden Jahren sind verschärfte Auseinandersetzungen über die Definitionsmacht in diesem Bereich zu erwarten.

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Die vereinzelten positiven Aspekte unter den 283 Punkten des Abschlussdokuments von Rio dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beschlüsse insgesamt eine völlig unzureichende Antwort auf die globalen Krisen liefern. Sie setzen aber eine Reihe von Prozessen in Gang, in denen der Diskurs über neue Wohlstandsmodelle, Entwicklungskonzepte und Finanzierungsalternativen auf globaler Ebene fortgesetzt und intensiviert werden kann. Ihr Ausgang ist mehr als ungewiss. Sich aber von vorneherein jammernd aus diesen multilateralen Prozessen zurückzuziehen, wäre in jedem Fall die falsche Antwort.

Hinweis:
* Mehr im Blog www.baustellen-der-globalisierung.blogspot.com und auf der Rio+20-Konferenz: Die Zukunft, die wir wollen?.

Veröffentlicht: 26.6.2012

Empfohlene Zitierweise:
Jens Martens, Das war Rio+20: Mau, mager, minimal. Doch zum Katzenjammer besteht kein Grund, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 26. Juni 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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