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Deglobalisierung: Gespenst oder Gefahr?

Artikel-Nr.: DE20090211-Art.08-2009

Deglobalisierung: Gespenst oder Gefahr?

Die Weltwirtschaft im Rückwärtsgang

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos mangelte es zwar an konkreten Konzepten zur Bewältigung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, nicht jedoch an Warnungen vor einem weiteren Niedergang und seinen möglicherweise dramatischen Konsequenzen. Ein neues Gespenst, das der britische Premierminister Gordon Brown öffentlichkeitswirksam von Davos aus in die Welt setzte, heißt „Deglobalisierung“. Wie gefährlich es ist, analysiert Rainer Falk.

Die Deglobalisierung, von der hier die Rede ist, hat wenig zu tun mit jener idyllischen Vorstellung des Zurück zu regionalen und lokalen Kreisläufen, die durch die Reduzierung externer Abhängigkeiten sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklungsbedingungen im Innern herstellen will. Vielmehr geht es hier um die abrupte Zerstörung weltwirtschaftlicher Verflechtungen zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Kosten. Solche globalen Desintegrationsprozesse sind historisch ebenso wenig neu wie die Globalisierung selbst. Sie drücken sich aus in realen Rückgängen der Produktionszahlen, der Beschäftigung, des Welthandels, der internationalen Investitionen und der grenzüberschreitenden Mobilität – mit allen damit einher gehenden Wohlfahrtsverlusten.

* Die Zeichen des Rückgangs

Die letzte große Deglobalisierung folgte auf die Globalisierungswelle vor dem 1. Weltkrieg und wird in der Regel mit der Großen Depression der 1920er und 1930er Jahre assoziiert. Auch wenn von allzu einfachen Vergleichen abzuraten ist, häufen sich in der aktuellen globalen Finanzkrise doch die Anzeichen, dass sich die Weltwirtschaft erneut im Rückwärtsgang befindet.
* Beispiel Handel: Seit dem zweiten Halbjahr 2008 verlor der Welthandel deutlich an Fahrt; für das Jahr 2009 wird allgemein mit einer Schrumpfung um -2,5 bis -3% gerechnet – der erste reale Rückgang seit den 1970er Jahren. Auch wenn es 2010 wieder zu einer deutlichen konjunkturellen Belebung (und nicht zu einer langgezogenen Rezession à la Japan) kommen sollte, wird sich dies erst mit Verspätung auf den internationalen Handel auswirken.


* Beispiel Investitionen: Nach den jüngsten Schätzungen ausländischer Direktinvestitionen (FDI) durch die UNCTAD markierte das Jahr 2008 das Ende des letzten großen Wachstumszyklus bei grenzüberschreitenden Investitionen. FDI-Zuflüsse sind 2008 wahrscheinlich um 20% gefallen; 2009 dürfte der Rückgang noch einmal so hoch sein.
* Beispiel Finanzflüsse: Der Rückgang der FDI-Zuflüsse ist zum erheblichen Teil auf das tendenzielle Versiegen der Finanzflüsse im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise zurückzuführen. Dies betrifft aber nicht nur FDI, sondern die Kapitalmärkte im Süden überhaupt: Wie das von den Banken getragene Institute for International Finance in Washington schätzt, werden sich die privaten Nettokapitalflüsse in die Emerging Markets 2009 auf gerade mal 165 Mrd. Dollar belaufen – nur die Hälfte bzw. ein Fünftel dessen, was 2008 bzw. 2007 dort hinfloss.
* Globaler Frachtverkehr: Als besonders signifikant für die bereits angelaufene Deglobalisierung wurde gewertet, als die International Air Transport Association kürzlich bekannt gab, das globale Luftfrachtvolumen sei im Dezember 2008 um 22,6% eingebrochen (gegenüber Dezember 2007). Ähnliche Rückgänge werden auch für den internationalen Tourismus und den Personenluftverkehr befürchtet.

Die Beispiele sind keineswegs beliebig – sie betreffen zentrale Stellschrauben des Globalisierungsprozesses. Entscheidend sind jedoch die damit einher gehenden politischen Reaktionen. Die Rückgänge müssen nicht irreversibel sein, sie können jedoch durch politische Faktoren verstärkt und zu dauerhaften Rückschlägen werden. Diese politischen Risiken sind beträchtlich.

* Handelsprotektionismus

Wenn Exporte fallen und externe Ungleichgewichte zunehmen, verstärkt sich die Neigung zu protektionistischer Politik, vor allem in Ländern mit schwacher einheimischer Nachfrage und hoher Arbeitslosigkeit und damit verbundener Tendenzen zu sozialer Instabilität. Zunehmender Protektionismus wiederum verstärkt erneut den Rückgang des Welthandels, der Produktion und der Beschäftigung.

Protektionismus kann verschiedene Formen annehmen: Subventionen für Exporteure, beispielsweise im Rahmen von Konjunkturpaketen, Exportrestriktionen, wie sie 2008 im Gefolge der Nahrungsmittelkrise von Agrarexport-Ländern verhängt wurden, oder Anhebung von Importzöllen. Letzteres wird heute vor allem von Schwellen- und Entwicklungsländern praktiziert. So haben Länder wie Indien, Indonesien, Vietnam, Russland und Brasilien ihre Einfuhrzölle in der aktuellen Krise bereits angehoben. Für viele Schwellenländer ist dies ein gangbarer Weg, nachdem sie ihre Zollsätze in der Vergangenheit so weit unter die in der WTO vereinbarten „gebundenen“ Tarife gesenkt haben, dass jetzt genügend Spielraum nach oben besteht, ohne die WTO-Regeln zu verletzen.

* Ökonomischer Nationalismus

Industrieländer greifen in der gegenwärtigen Krise vor allem zu Maßnahmen, die als wirtschaftsnationalistisch bezeichnet werden können. So ermutigen Länder wie die USA, Spanien und Frankreich im Rahmen ihrer Konjunkturprogramme den Kauf von im Inland produzierten Waren. Versucht wird auch, die Produktion und Beschäftigung im Inland zu fördern, auch wenn das auf Kosten von Firmen in ausländischem Besitz oder der Beschäftigten im Ausland geht. Besonders beliebt ist bei Regierungen die Rettung sog. nationaler Champions. Beredte Beispiele sind die staatlichen Hilfsmaßnahmen für nationale Autokonzerne in den USA, Frankreich, Deutschland und Spanien.

* Finanzprotektionismus

Während Gordon Brown in Davos vor der aktuellen Gefahr des Finanzprotektionismus (die Gepflogenheit der Banken, in der Krise – wenn überhaupt – bevorzugt die heimische Klientel zu bedienen) warnte, rief seine Regierung daheim die Bank of Scotland dazu auf, sich stärker auf ihre britische Kundschaft zu konzentrieren. Diese Praxis ist allerdings ein EU-weites Phänomen. Rettungspläne („bail-outs“) für nationale Banken haben Vorrang vor ausländischen Banken.

Generell dürfte die Finanzmarktkrise mit ihrem Einbruch globaler Liquidität die finanzielle Globalisierung der letzten Jahre wieder auf ein geringeres Maß zurückführen. In den Emerging Marktes hat der Rückgang schon zu einem Zusammenbruch der Kapitalzuflüsse aus dem Ausland geführt. Schon vor der Finanzkrise bekamen vor allem Staatsfonds aus Schwellenländern den zunehmenden Anlageprotektionismus der Industrieländer zu spüren. Jetzt müssen sie weitere Federn lassen.

* Backlash in der Einwanderungspolitik

Die Arbeiterproteste gegen die Einstellung ausländischer Arbeitskräfte in Großbritannien und die Aufrufe in Ländern wie USA, Spanien und GB, ausländische Arbeitskräfte vor einheimischen zu entlassen, in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken und mit den Konjunkturprogrammen nur Arbeitsplätze für Einheimische zu schaffen, zeigen, wie sehr die Globalisierung in Zeiten der Krise bereits unter Stress geraten ist.
Jetzt rächt sich, dass es nicht gelungen ist, in den Hochzeiten der Globalisierung genügend soziale Leitplanken in das internationale Wirtschaftssystem einzuziehen. Vor dem Hintergrund mangelnder oder durchlöcherter sozialer Sicherheitssysteme in vielen Ländern und zunehmender Massenarbeitslosigkeit (die ILO rechnet 2009 weltweit mit bis zu 50 Millionen neuen Arbeitslosen) dürften Ausländerfeindlichkeit zunehmen und die Migrationspolitik weiter unter Druck geraten. Die Heimatüberweisungen von Arbeitskräften in die Entwicklungsländer haben bereits deutlich abgenommen.

* Währungskonkurrenz

Viele Länder vor allem Asiens haben über die Stabilisierung ihrer Währungen auf niedrigem Niveau versucht, ihre Exporte zu stützen bzw. einem globalen Nachfragerückgang entgegenzuwirken. Mehr und mehr Länder versuchen ähnliches, um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Statt die Währungskonkurrenz durch unüberlegte Äußerungen weiter anzuheizen (so warf der neue US-Finanzminister Geithner China die künstliche Manipulation seiner Währung vor), wäre vor allem eine kooperative Währungs- und Wechselkurspolitik im internationalen Rahmen geboten. Aber diese steht bislang nicht auf der Tagesordnung, weder im IWF (den die USA gegen China instrumentalisieren wollen) noch in der G20.

* Fazit

Der Überblick zeigt, dass Prozesse der Deglobalisierung bereits begonnen haben und/oder der Druck in dieser Richtung in letzter Zeit stark angewachsen ist. Die Reaktionen der Regierungen auf die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise waren zwar nicht völlig ohne Momente globaler Kooperation, wie sich an der Koordination von Zinssenkungsschritten, den schnellen Kapitalspritzen durch die Zentralbanken oder den diversen internationalen Gipfelkonferenzen zeigte. Die verschiedenen Konjunkturprogramme selbst konzentrieren sich jedoch deutlich auf antizyklische Maßnahmen im nationalen Rahmen bzw. folgen insgesamt einer nationalstaatlichen Logik und sind international wenig koordiniert. Für die Entwicklungsländer ist dies besonders misslich, da sie weder die Macht noch die finanziellen Mittel haben, auf dieselbe Weise der Krise zu begegnen wie die Industrieländer.

Beklagt wird zu Recht ein eklatanter Mangel an globaler Koordination und Zusammenarbeit. Sollte sich hier nichts ändern, werden sich die Tendenzen zu Protektionismus, Wirtschaftsnationalismus und Xenophobie gegenseitig verstärken und zu einer globalen Abwärtsspirale aufschaukeln. Diese wird dann nur noch schwer zu stoppen sein.

Veröffentlicht: 11.2.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Deglobalisierung? Die Weltwirtschaft im Rückwärtsgang, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Nr. 02 (W&E 02/2009), Luxemburg 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)