Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Der Wettlauf zu einem neuen Bretton Woods

Artikel-Nr.: DE20081109-Art.43-2008

Der Wettlauf zu einem neuen Bretton Woods

Weltfinanzgipfel in Serie

Jahrelang waren es nur eine schmale aufgeklärte Elite und einige, über den Tellerrand ihrer kleinteiligen Projekte hinausblickende NGOs, die nach einem neuen Bretton Woods – einer globalen Konferenz zur Neuordnung der globalen Wirtschafts- und Finanzordnung – riefen. Jetzt soll alles plötzlich ganz schnell gehen. Doch der Weltfinanzgipfel am 15. November in Washington ist bestenfalls der Auftakt zu einem Prozess, an dessen Ende ein Bretton Woods II stehen könnte. Im schlechtesten Fall bleibt es auch diesmal wieder bei kosmetischen Pflichtübungen. Von Rainer Falk.


Vor allem die Europäer drücken derzeit auf das Tempo. Sie haben sich auf ein 5-Punkte-Programm verständigt, das sich im wesentlichen auf den Re-Regulierungsbedarf auf den Finanzmärkten konzentriert: Gefordert werden Regeln für die Ratingagenturen, eine Überarbeitung der Bilanzierungsstandards, die Einbeziehung aller Finanzsegmente, darunter der Hedgefonds, in Kontroll- und Aufsichtsmechanismen, ein Verhaltenskodex für Finanzmanager und die Aufwertung des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei der Überwachung der Finanzmärkte („Frühwarnsystem“) und beim Bailout gefährdeter Volkwirtschaften (was auch eine bessere finanzielle Ausstattung des Fonds einschließt). Geht es nach der EU, sollen schon 100 Tage nach dem Washingtoner Weltfinanzgipfel bei einem weiteren Gipfel konkrete Beschlüsse über eine neue internationale Finanzarchitektur (Bretton Woods II) gefasst werden.

* Schlüsselrolle für IWF?

Die Hektik, in deren Windschatten sogleich Warnrufe vor der Gefahr einer „Überregulierung“ aufgetaucht sind, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Agenda der Europäer inhaltlich eng ist und sie sich auf dem Weg zu einem neuen Bretton Woods in gewisser Weise selbst im Wege stehen. Nichts zeigt dies deutlicher als die Naivität, mit der eine Aufwertung des IWF gefordert wird. Diese wird kaum möglich sein, ohne die neuen Schwergewichte der Weltwirtschaft, die ökonomischen Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien, stärker an den Entscheidungen des Fonds zu beteiligen. Bislang sind es jedoch die Europäer, die in den Governance-Strukturen des IWF am meisten überrepräsentiert sind. Und nichts deutet bislang darauf hin, dass sie bereit wären, zumindest teilweise Platz zu machen für die bis dato Unterprivilegierten.

Hinzu kommt: Der IWF hat sich noch in jüngster Zeit unter dem Stichwort „multilaterale Surveillance“ Funktionen aufdrücken lassen, die direkter Ausfluss der Interessenpolitik der dominierenden USA sind. Die Europäer haben sich dem Aufruf nach einem einseitigen Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte auf Kosten Chinas und anderer Länder der Dritten Welt angeschlossen, so dass die Aufwertung des IWF – von den Erfahrungen mit der direkten Konditionalität ganz abgesehen – nicht gerade nach dem Geschmack der Entwicklungsländer ist. Wer wirklich ernsthaft die Einbeziehung der Devisenreserven der asiatischen Länder in das internationale Finanzsystem fordert, sollte deshalb die Schaffung einer neuen internationalen Finanzorganisation (wie sie Joseph Stiglitz – ???042ae69b4f0a8a909??? – vorgeschlagen hat) nicht von vorneherein ausschließen.

* L20-Format

Es ist zweifellos ein deutlicher Fortschritt, dass für den Weltfinanzgipfel das L20-Format (L=Leaders) gewählt wurde, das auch an dieser Stelle immer wieder als Alternative zu der exklusiven Klubstruktur der G8 vorgeschlagen wurde (Jul-Aug 2006 und Mai-Juni 2007). Mit ihrer breiteren Mitgliedschaft (s. Tabelle) repräsentiert die G20 immerhin 90% des globalen Outputs, 80% des Welthandels und rund zwei Drittel der Weltbevölkerung. Ein Repräsentationsproblem hat sie dennoch, nicht nur, weil es sich um einen rein staatlichen Klub handelt, sondern weil gerade die Mehrheit der Staaten dieser Welt schlicht nicht vertreten ist. Die Einladung des UN-Generalsekretärs allein, wenngleich auch dies ein positiver Schritt, wird diese Unterrepräsentation der internationalen Gemeinschaft nicht lösen können. Es wäre deshalb sowohl falsch, die G20 wie die G8 durch ein Feindbild-Prisma zu sehen, als auch, diese voreilig zum „Steering Committee“ (Zoellick) eines wieder erwachten Multilateralismus zu stilisieren, und sei es auch in (z.B. um extrem arme Länder) erweiterter Form.


Vor diesem Hintergrund ist es überaus wichtig, dass sich im Rahmen der UN-Generalversammlung eine lebhafte Debatte zu diesen Themen entwickelt hat. Vorläufiger Höhepunkt ist die Bildung einer Kommission zur globalen Finanzkrise, deren Leiter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wurde. Diese UN-Kommission könnte Vorschläge ausarbeiten, die jenseits des Streits um die Re-Regulierung des Finanzsystems den Weg zu einem neuen Konsens ebnen. Sie könnte auch dazu beitragen, dass das thematische Spektrum, das auf dem Weg zu einem Bretton Woods II zu bearbeiten wäre, um andere globale Probleme erweitert wird, die mit den weltwirtschaftlichen Krisenprozessen eng verflochten sind (W&E 11/2008).

* Glücksfall FfD-Konferenz in Doha

Es hat zwei Jahre gebraucht, bis die Verhandlungen für das erste Bretton Woods (1944) abgeschlossen waren – nichts deutet darauf hin, dass ein Bretton Woods II als einmaliger Akt zustande kommen könnte. Und so könnte es ein Glücksfall sein, dass schon kurz nach dem Weltfinanzgipfel vom 29. November bis 2. Dezember der 2. Gipfel der Vereinten Nationen über Entwicklungsfinanzierung (FfD) in Doha/Katar stattfindet. Neben entwicklungspolitischen Problemen im engeren Sinne werden dort auch systemische Fragen der internationalen Finanzarchitektur zur Debatte stehen. Der Vorbereitungsprozess stockt derzeit, nicht zuletzt weil alles auf den Weltfinanzgipfel starrt. Doch teilen beide Veranstaltungen dasselbe Handicap, dass ohne den Input der neuen US-Administration unter Barack Obama, der erst am 20. Januar sein Amt antritt, Beschlüsse wenig sinnvoll sind.

* Debatte unter Reformdruck

Ungeachtet dessen ist der Reformdruck im Gefolge der Finanzkrise so hoch wie nie zuvor. Eine grundlegende Reform verlangt jedoch überlegte und ausgearbeitete Konzepte, keine Schnellschüsse. Einige Achsen der notwendigen Debatte zeichnen sich schon ab:

* Soll man sich auf die unmittelbaren Probleme der Stabilisierung des Finanzsystems konzentrieren, weil jede thematische Ausweitung weniger produktiv wäre und mehr Konzessionen (vor allem seitens der USA) erfordern würde? Oder muss ein neuer Ordnungsrahmen für die Weltfinanzen nicht gerade auch auf die Lösung der anderen globalen Probleme (Klima, Welthunger, Entwicklung, Handel) abgestimmt sein?

* Geht es bei einer Verbesserung der Regulierung und Kontrolle der internationalen Kapitalströme um die bloße Überholung der bestehenden institutionellen Strukturen des alten Bretton-Woods-Systems oder werden auch neue Institutionen gebraucht? Klar scheint bislang nur, dass ein wesentlich gestärkter IWF ohne ernsthafte Reformen an Mandat und Entscheidungsstrukturen vor allem aus der Sicht des Südens äußerst problematisch bzw. inakzeptabel wäre.

* Wie kann die multilaterale Koordination und Kooperation in der Wirtschaftspolitik verbessert werden, und welches ist der adäquate Rahmen hierfür. Bislang gilt selbst auf der regionalen Ebene, z.B. in der EU, das Prinzip „Gemeinsam reden, aber separat, jeder für sich, handeln“. Zugleich zeichnen sich im Süden neue Integrationstendenzen ab, so dass sich die Frage ergibt, wie können künftig neue globale Arrangements mit regionalen Initiativen, etwa einem Asiatischen Währungsfonds, verzahnt werden.

* Schließlich: Wie kann der wachsende Finanzierungsbedarf, sei es für die Stabilisierung des Finanzsystems, sei es für die anderen Probleme, künftig gedeckt werden? Welche Rolle kommt dabei innovativen Finanzierungsmechanismen und ersten Formen übernationaler Steuersysteme zu?

Neu sind alle diese Fragen nicht. Aber mit Sicherheit stellen sie sich neu in einem neuen Umfeld, in dem wir fast täglich beobachten können, wie alte Gewissheiten zusammenbrechen.

Veröffentlicht: 8.11.2008

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Der Wettlauf zu einem neuen Bretton Woods. Weltfinanzgipfel in Serie, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 11/November 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)