Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Die aktuelle Volatilität auf den Rohstoffmärkten

Artikel-Nr.: DE20141123-Art.40-2014

Die aktuelle Volatilität auf den Rohstoffmärkten

Ölpreise und Rohstoffzyklus

Seit einigen Monaten sinken die Rohölpreise dramatisch. Es gibt Beobachter, die dies als Anfang vom Ende eines Super-Rohstoffzyklus sehen. Würde sich der seit 2000 aufwärts gerichtete Trend der Rohstoffpreise insgesamt dauerhaft umkehren, so hätte dies einschneidende Folgen vor allem für Afrika und Lateinamerika, aber auch für Russland und einige asiatische Länder. Der ‚Aufstieg des Südens’ basiert in diesen Weltteilen nach wie vor auf hohen Rohstoffpreisen, schreibt Jörg Goldberg.

Es ist noch nicht lange her, da fürchteten viele Beobachter, dass die Weltkonjunktur durch steigende Öl- und Energiepreise abgewürgt werden könnte. Mitte 2008 wurden für ein Barrel (159 Liter) Rohöl der Sorte Brent fast 150 US-Dollar berechnet. Die Krise von 2008 beendete den Höhenflug zwar zunächst, aber seit 2011 lagen die Rohölpreise kontinuierlich zwischen 110 und 120 US-Dollar, trotz des Fracking-Booms in den USA. Auch die Preise der meisten anderen mineralischen und agrarischen Rohstoffe verharrten auf einem hohen Niveau. Seit Juni 2014 aber scheint der Rohölpreis nur noch eine Richtung zu kennen: abwärts. Mitte November war das Barrel schon für knapp 79 US-Dollar zu haben, und zwar ohne dass spezifische Ursachen des Preisverfalls erkennbar wären.

● Erklärungsmuster Super-Rohstoffzyklus

Unterschiedliche politische Erklärungen machen die Runde: Die großen Erdölexporteure des Nahen Ostens, an der Spitze Saudi-Arabien, wollten das US-Fracking stoppen, das bei Preisen unter 80 Dollar nicht mehr richtig rentabel ist; die USA versuchten, im Einvernehmen mit den Saudis, unbotmäßige Ölexportländer wie Iran, Venezuela, Ecuador und Russland zu ruinieren. Ganz aus der Luft gegriffen sind solche Theorien nicht: Immerhin ist bemerkenswert, dass die großen Ölproduzenten, die gewisse Einnahmespielräume haben, die Förderung bislang nicht gesenkt haben, um den Preisverfall zu stoppen. Ob das so bleibt, wird sich möglicherweise auf der OPEC-Tagung Ende November zeigen.

Andere halten dagegen die sinkenden Ölpreise für das Anzeichen eines sich umkehrenden Super-Rohstoffzyklus. Dieser vor allem im Kontext der Rohstoffspekulation diskutierte Ansatz behauptet, dass es einen für alle Rohstoffe gültigen langen Preiszyklus gibt, der von den kürzeren wirtschaftlichen Konjunkturzyklen unabhängig sei und der sich – je nach Analyst – über 20 bis 40 Jahre erstreckt. Begründet wird die Existenz eines solchen Zyklus mit dem Zusammenhang zwischen Preistrends und Rohstoffinvestitionen: Steigende Preise lösten mit einer gewissen Zeitverzögerung Investitionen im Bereich der Rohstoffproduktion (vor allem im Bergbau) aus, die langfristig das Angebot über die Nachfrage hinaus erhöhen, worauf die Preise wieder sinken. Warum das unterschiedslos sowohl für mineralische als auch für agrarische Rohstoffe gelten soll, bleibt aber unklar.

Prebisch-Singer-These

Dagegen stand bis vor 15 Jahren die Prebisch-Singer-These, der zufolge die Rohstoffpreise im säkularen Trend (relativ zu den Industriepreisen) sinken. Diese These hatte im Rahmen dependenztheoretischer Ansätze die Entwicklungsrückstände von auf Rohstoffe spezialisierten Entwicklungsländern erklärt. Einer Weltbankübersicht zufolge (World Development Report 1991) war der relative Preisindex für Rohstoffe (Index 1977/79 = 100) tatsächlich zwischen 1900 und 1990 von 125 auf 75 gesunken. Dieser Trend hat sich zur Jahrtausendwende aber umgekehrt: Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut hält in einem Langfristüberblick fest, „dass mit dem Preisauftrieb in diesem Jahrzehnt (2000-2010; JG) eine lange Phase fallender Rohstoffpreise zu Ende ging.“ (HWWI-Policy-Report 2008)

Getrieben von der Rohstoffnachfrage der neuen asiatischen Industrieländer (vor allem Chinas) einerseits und einer relativen Verknappung des Angebots andererseits hat sich der säkulare Trend seither umgekehrt, d.h. die Rohstoffpreise steigen langfristig stärker als die Industriepreise. Ist der aktuelle Preisverfall bei Rohöl nun ein Anzeichen dafür, dass es diese säkularen Trends nicht gibt, treten wir – entsprechend der These vom Superzyklus – in eine neue Periode relativ sinkender Rohstoffpreise ein?

● Wirtschaftskrise und Rohstoffpreise

Betrachtet man den Gesamtkomplex der Rohstoffpreise genauer, so sieht das Bild weniger dramatisch aus. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass sich die Weltkonjunktur in den letzten Monaten weiter abgeschwächt hat und dass die Industriepreise unter deflationärem Druck stehen. Von einem generellen Rückgang der Rohstoffpreise über diesen konjunkturellen Effekt hinaus kann nicht die Rede sein. Zwar haben sich die Energierohstoffe in der Tat seit Juni, dem Höhepunkt der letzten Jahre, um fast 25% verbilligt. Klammert man diese allerdings aus, so ist der Preisindex der Rohstoffe zwischen Juni und November nur um 6-7% zurückgegangen, was angesichts der Konjunkturabschwächung nicht überraschen kann.


Betrachtet man die einzelnen Rohstoffgruppen, so verschiebt sich das Bild nochmals: Nahrungs- und Genussmittel haben sich zuletzt wieder etwas verteuert, Industrierohstoffe sind nur minimal billiger als zur Jahresmitte, wobei das Preisniveau bei Metallen seit 2013 annähernd unverändert hoch ist, während sich Eisenerz stark verbilligt hat. Der als wichtiger Indikator geltende Kupferpreis liegt derzeit sogar leicht über dem Stand von Anfang 2014. Auf längere Sicht betrachtet spricht derzeit jedenfalls wenig für einen allgemeinen, dauerhaften Rückfall der Rohstoffpreise.

● Rohstoffpreise und Entwicklung: Fragiler Aufstieg

Trotzdem unterstreicht die aktuelle Unsicherheit die Fragilität des Aufstiegsprozesses vieler Länder des Südens. Von den 14 größten Schwellen- und Entwicklungsländern sind neuen in hohem Maße auf Rohstoffexporte angewiesen, meist basieren die Exporteinnahmen zu mehr als zwei Dritteln auf Rohwaren. Dies gilt vor allem für Afrika und Lateinamerika, aber selbst einige große asiatische Länder wie Indonesien hängen von Rohstoffexporten ab, wobei diese jeweils aus wenigen Produkten bestehen.

Während mittelfristig die Reduzierung der Rohstoffabhängigkeit und ein Strukturwandel zugunsten arbeitsintensiver Verarbeitungswirtschaft notwendig sind, erscheint kurzfristig eine Verstetigung der Rohstoffpreise vordringlich, deren Volatilität durch Spekulation erhöht wird. Denn jähe Preiseinbrüche wie sie aktuell bei Erdöl und einigen anderen Rohwaren zu verzeichnen sind, können einzelne Länder rasch in große wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Aktuell sind davon besonders Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Mexiko betroffen. Umgekehrt sind aber auch kurzfristige Höhenflüge nicht unproblematisch, da die damit verbundenen (vorübergehenden) Mittelzuflüsse Verschwendung, Fehlallokation von Ressourcen und Korruption begünstigen.

Notwendig wären Initiativen zur Verstetigung der Preisentwicklung auf den Rohwarenmärkten, verbunden mit einer Einschränkung der Finanzspekulation. Es sei hier an die „Erklärung über die Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung“ der UN-Generalversammlung von 1974 erinnert, in deren Mittelpunkt Maßnahmen zur Stabilisierung der Rohstoffpreise standen. Den Initiativen von 1974 war kein Erfolg beschieden, weil der Süden schwach war. Wenige Jahre später brach die Verschuldungskrise der Dritten Welt aus und verstärkte die Machtposition des Westens. Heute aber haben sich die globalen Kräfteverhältnisse grundlegend geändert, die absolute Hegemonie der ehemals ‚fortgeschrittenen’ Länder ist gebrochen. Es wird Zeit, dass der aufstrebende Süden die globalen Spielregeln ändert.

Dr. Jörg Goldberg ist Wirtschaftswissenschaftler und war lange als Regierungsberater in Afrika tätig.

Posted: 23.11.2014

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, Die aktuelle Volatilität auf den Rohstoffmärkten. Ölpreise und Rohstoffzyklus, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. November 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.