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Die Entwicklungshilfe gerät unter Druck

Artikel-Nr.: DE20090208-Art.07-2009

Die Entwicklungshilfe gerät unter Druck

Zahlen die Armen wieder einmal die Zeche?

Vorab im Web – Während die Regierungen das G20-Treffen im April vorbereiten, ist eines absolut sicher: Die Agenda wird durch die globale Finanzkrise dominiert sein. Die Finanzkrise drückt inzwischen auch auf die Entwicklungshilfe-Etats. In dieser Situation brauchen wir ein Rettungspaket für die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) und nicht Gebermüdigkeit oder entwicklungspolitischen Lehnstuhl-Zynismus, schreibt Kevin Watkins.

Ja, die Frage muss gestellt werden, während sich die Finanzkrise fortsetzt, vom US-Immobilienmarkt über das Bankensystem und die Realökonomie der reichen Länder, und jetzt auch die Lebensverhältnisse der Ärmsten auf der Welt erreicht: Wann bekommen wir ein Rettungspaket für die Millennium-Entwicklungsziele? Die Zielmarke zur Erreichung der MDGs ist das Jahr 2015. Bei den derzeitigen Trends werden die Ziele in den meisten Ländern verfehlt werden. Die menschlichen Konsequenzen dieser einfachen Tatsache werden oft vergessen. Gegenwärtig ist damit zu rechnen, dass zwischen dem MDG-Ziel „Verringerung der Kindersterblichkeit“ und den projektierten Ergebnissen eine Kluft von zwei Millionen toter Kinder klaffen wird. Bei der Reduzierung der Müttersterblichkeit gibt es null Fortschritt. Und das Ziel „Grundschulbildung für alle“ wird weit verfehlt werden: Auch 2015 werden noch weit mehr als 30 Millionen Kinder keine Schule besuchen.

Um dieses Bild zu ändern, muss an mehreren Fronten gehandelt werden. Von zentraler Bedeutung sind politische Reformen auf nationaler Ebene und ein stärkeres Engagement in der Bekämpfung der Chancenungleichheit. Doch auch der Entwicklungshilfe kommt eine Rolle zu bei der Finanzierung der Bildungs- und Gesundheitssysteme – und bei der Unterstützung wirtschaftlichen Wachstums. Wenn eine deutliche Anhebung der Entwicklungshilfe unterbleibt, sind auch die beste nationale Politik und die engagiertesten Regierungen zum Scheitern verurteilt. Und auf dieses Scheitern läuft derzeit alles zu.

* Eskalierende Finanzierungslücke

Selbst vor der Finanzkrise haben die Geber ihre Zusagen bei weiten nicht eingehalten. Erinnern wir uns an die G7-Versprechen von Gleneagles, ihre Entwicklungshilfe bis 2010 um 50 Mrd. Dollar zu steigern. Ende letzten Jahres fehlten davon noch 30 Mrd. Dollar, wobei das Gros der Ausfälle Subsahara-Afrika betraf. Die Geber hätten ihre Auszahlungen an die Region um 17% steigern müssen, um ihren Gleneagles-Verpflichtungen nachzukommen.

Im Zuge der Finanzkrise droht eine ohnehin große Finanzierungslücke jetzt noch größer zu werden. Teilweise besteht das Problem darin, dass viele Geber ihre Zusagen an die Entwicklung des Bruttonationaleinkommens (BNE) gekoppelt haben. Die EU-Mitgliedsstaaten beispielsweise haben versprochen, ihre Entwicklungshilfe bis 2010 auf 0,56% des BNEs zu erhöhen. Einige von ihnen sind so weit von diesem Ziel entfernt, dass seine Erreichung völlig unwahrscheinlich ist, z.B. Italien. Hinzu kommt, dass die Entwicklungshilfe in dem Maße langsamer steigen oder fallen wird, in dem das BNE-Wachstum zurückgeht. Was für die Haushalte der Entwicklungsländer und die Finanzierung der MDGs zählt, sind die real verfügbaren Ressourcen, aber nicht die abstrakten Maßzahlen. Auch Wechselkursveränderungen können eine Verringerung der Entwicklungshilfe bewirken. Beispielsweise fällt der reale Wert der britischen Entwicklungshilfe mit der Abwertung des Pfundes.

Während die internationale Medienaufmerksamkeit auf die Bankensysteme gerichtet ist, wird auch die Realwirtschaft der ärmsten Länder und Haushalte der Welt getroffen. Der IWF hat seine Wachstumsprognose für Subsahara-Afrika um fast 2% reduziert – mit den entsprechenden Implikationen für die Staatseinkünfte und damit für die Finanzierung von Gesundheits- und Bildungssystemen. Dazu kommen erschreckende Anzeichen dafür, dass die afrikanischen Exporte unter der Austrocknung von Handelskrediten und der Schrumpfung der Märkte in den reichen Ländern leiden werden, vom Rückgang der Rohstoffpreise nicht zu reden.

Doch der schlechten Nachrichten nicht genug: Die Nahrungsmittelkrise mag als eine Nachricht von gestern erscheinen, doch sie ließ wahrscheinlich weitere 30 Millionen Menschen zurück, die jetzt unter einer Armutsgrenze von 1,25 Dollar leben, während sich gleichzeitig die Armut vertieft hat. Es gibt keine verlässlichen Schätzungen dazu, wie sich der weltweite Wachstumsrückgang auf das MDG-Ziel, die Armut um die Hälfte zu reduzieren, auswirken wird. Gleichwohl verweisen grobe Überschlagsrechnungen darauf, dass jedes Prozent weniger Wachstum in den Entwicklungsländern weitere 20 Millionen Menschen in Armut bedeutet.

* MDGs real in Gefahr

Alles dies summiert sich zu einer realen und aktuellen Gefahr für die international vereinbarten Entwicklungsziele. Schon vor der Kreditkrise gab es klare Anzeichen dafür, dass der politische Schwung hinter den MDGs abnahm. Die Doha-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im letzten Dezember (s. W&E 12/2008) war weniger ein Gipfel denn ein unbedeutender Nebenschauplatz, an dem nur wenige führende G8-Politiker teilnahmen. Seither haben sich die Dinge nicht zum Besseren gewendet.

Man muss Weltbank-Präsident Robert Zoellick zugute halten, dass er zumindest öffentlich die Industrieländer zum Handeln aufgefordert hat. Er hat vorgeschlagen, dass 0,7% ihrer Konjunkturprogramme verwendet werden sollten, um einen Nothilfefonds für Entwicklungsländer zu finanzieren (eine gute Idee), wobei die Bank selbst die Verteilung des Geldes managen sollte (keine so gute Idee). Doch bislang gibt es niemanden, der das aufgegriffen hätte.

Was derzeit am meisten auffällt ist, dass koordinierte Antworten auf das Problem fehlen. Man muss sich doch fragen: Wie viele hochrangige Gipfel-Kommuniqués haben versprochen, die MDGs finanziell zu unterfüttern? Und wie viele Geberregierungen, die diese Kommuniqués unterschrieben haben, haben ihre finanziellen Verpflichtungen im Lichte der Finanzkrise revidiert? Allein für die Erreichung der Bildungsziele gibt es derzeit eine Finanzierungslücke von schätzungsweise 7 Mrd. Dollar.

Wir erleben dies alles nicht zum ersten Mal. Aus den wirtschaftlichen Krisenepisoden der Vergangenheit lassen sich wichtige Lehren ziehen. Während der 1990er Jahre haben die Finanzkrisen in Lateinamerika und Ostasien nicht nur Anzahl der einzelnen Armen nach oben getrieben. Sie stießen Millionen anfälliger Haushalte in langfristige Armut, erzwangen den Verkauf produktiver Anlagen, verunmöglichten den Schulbesuch von Kindern und hatten bittere Konsequenzen in gesundheitlicher Hinsicht. In ähnlicher Weise hat der Rückgang der Entwicklungshilfe in den 1990er Jahren die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Afrika verschärft – mit desaströsen Konsequenzen.

* Entwicklungspolitischer Lehnstuhl-Zynismus fehl am Platze

Angesichts des in Mode gekommenen Entwicklungshilfe-Zynismus mögen einige entwicklungspolitische Kommentatoren die derzeitigen Trends mit einem gewissen Enthusiasmus betrachten: Wenn die Hilfe schon nicht funktioniert, dann lasst uns weniger davon geben, und zwar schleunigst. In den letzten Wochen haben alte Entwicklungshilfe-Pessimisten wie Bill Easterly neuen Zulauf bekommen, darunter Niall Ferguson („Der Aufstieg des Geldes“) und Dambisa Moyo, die Autorin von „Dead Aid“. Letztere spricht sich in puncto Afrika für einen schnellen Entzug der „Droge Entwicklungshilfe“ aus. In einem denkbar schlechten Augenblick ruft sie die afrikanischen Regierungen dazu auf, sich zur Finanzierung der Entwicklung von den Gebern abzuwenden und den privaten Schuldenmärkten zuzuwenden!

Wenn die Sprache auf das Thema Entwicklungshilfe kommt, gibt es stets eine Menge Anlass für Zynismus. Ja, eine Menge von Hilfe wird verschwendet. Zuviel Gewicht kommt in der Regel den Prioritäten der Geber zu. Und so manche Art der Hilfe verschärft auch Probleme der Regierungsführung und des wirtschaftlichen Wachstums. Aber die Entwicklungshilfe bringt die Kinder auch in die Schule, unterstützt den Zugang zu lebenswichtigen Gesundheitsleistungen und finanziert Transportmittel und Infrastruktur, damit die Armen überhaupt erst Zugang zu den Märkten bekommen.

Im gegenwärtigen Klima und angesichts der Herausforderungen ist entwicklungspolitischer Lehnstuhl-Zynismus ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Angesichts der Finanzkrise müssen die Geber ihre Entwicklungshilfe-Verpflichtungen erhöhen. Die Alternative bestünde darin, die ärmsten Menschen der Welt für eine Krise bezahlen zu lassen, die von den reichsten Bankern des Globus verursacht wurde.

Kevin Watkins ist Chefautor der jährlichen Human Development Reports. Die englische Version des vorliegenden Kommentars erschien auf dem Global Economic Governance-Blog der Oxford University. Die deutsche Veröffentlichung an dieser Stelle erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht: 8.2.2009

Empfohlene Zitierweise: Kevin Watkins, Die Entwicklungshilfe gerät unter Druck, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Nr. 02 (W&E 02/2009), Luxemburg 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)