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Die ILO als Akteur der Entwicklungspolitik

Artikel-Nr.: DE20130901-Art.32-2013

Die ILO als Akteur der Entwicklungspolitik

Strategien für eine soziale Global Governance

Vorab im Web - So wissenschaftlich nüchtern der Titel der Doktorarbeit von Markus Demele daherkommt, so praxisrelevant und inspirierend ist ihr Inhalt für entwicklungspolitisch Interessierte. Gerne wird die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in der entwicklungspolitischen Debatte als zahnloser Tiger bezeichnet. Demele schafft es, mit diesem Vorurteil gründlich aufzuräumen, schreibt Hildegard Hagemann.

Das Buch ist ein Plädoyer für die schrittweise Rückeroberung eines Status, der der alten Dame ILO in der Landschaft der internationalen Organisationen wegen ihrer Bedeutung als friedens- und demokratiestärkender Kraft zusteht. Die ILO steht für die Position, dass Armut und Marginalisierung nur durch menschliche Arbeit, in Anerkennung der Würde der – formell oder informell – Arbeitenden, überwunden werden können.

* „Decent work“ als Entwicklungsstrategie

Im ersten Teil der Arbeit werden die ILO und ihr Konzept menschenwürdiger Arbeit („decent work“) mit den vier Pfeilern Menschenrechte und Arbeit, Beschäftigung und Einkommen, Stärkung des Sozialschutzes und der sozialen Sicherung sowie Stärkung des sozialen Dialogs im entwicklungstheoretischen Kontext entfaltet (Kapitel 2-4). Die Überprüfung der Theorie in der Praxis anhand der Landesstrategie für menschenwürdige Arbeit in Kenia folgt im zweiten Teil (Kapitel 5 und 6). Abschließend gibt der dritte Teil einen Ausblick auf ein neues Verständnis von internationaler Arbeitspolitik als Entwicklungspolitik (Kapitel 7).

Die ILO als Organisation, ihre Verhandlungsstrategie und ihre konzeptionelle Arbeit international und national wird durch ihren partizipativen, dreigliedrigen Ansatz („tripartite“) charakterisiert. Daher ist die Analyse und Bewertung der Rolle der Sozialpartner in Kapitel 2 vorgegeben, ebenso wie der Blick auf den Arbeitsmarkt und seine Akteure. Die Arbeit zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass sie in einem eigenen, den Unternehmen in der ILO-Agenda für menschenwürdige Arbeit gewidmeten Unterkapitel die Arbeitgeberseite als Akteur hervorhebt. Damit trägt sie der Bedeutung und Verantwortung der Privatwirtschaft für Beschäftigungsförderung und Einkommensschaffung Rechnung, so wie sie seit einigen Jahren in der entwicklungspolitischen Diskussion herausgestellt wird.

Ebenso wichtig ist die Betonung der Beschäftigungssituation in der informellen Wirtschaft, da weltweit mehr als die Hälfte der Menschen informell arbeiten, d.h. in ungesicherten, ungeschützten und unregistrierten Arbeitsverhältnissen. Dazu gehören die 2,7 Milliarden Menschen, die in absoluter Armut leben und die sog. ‚working poor‘.

Das nächste Kapitel über die entwicklungstheoretischen Grundlagen liefert ein starkes Plädoyer für die Anerkennung des Konzepts der menschenwürdigen Arbeit („decent work“) als effektive Entwicklungsstrategie und zukunftsweisende Vision einer sozial gerechten Globalisierung. Entwicklungstheoretiker werden begeistert sein, weil sie neue Strategieansätze erkennen könnten, Praktiker eventuell abgeschreckt durch den wissenschaftlichen ‚Ballast‘. Andererseits wird Arbeitsmarktfachleuten die Einordnung des Konzeptes menschenwürdiger Arbeit als treibender Faktor nachhaltiger Arbeitspolitik gefallen, da sich darin die ebenfalls lang ersehnte Rückeroberung des Stellenwertes menschlicher Arbeit ausdrückt. Dies hat sich bereits im Aufwind für die ILO im Konzert der internationalen Organisationen niedergeschlagen, wie er sich durch die deutlichere Präsenz der ILO an den Verhandlungstischen, z.B. bei G8 oder G20.

* Kultur, Kohärenz, Migration

Interessant ist die Herausstellung der kulturellen Dimension bei der Konzeptualisierung von Entwicklungspolitik (Kapitel 4). Zwar werden nicht alle Initiativen der ILO, die die kulturelle Heterogenität in der Welt versöhnen wollen, beschrieben. Immerhin jedoch lenkt Demele den Blick auf die Initiative der ILO, einen interreligiösen Dialog zu menschenwürdiger Arbeit und sozialer Gerechtigkeit zu führen – ein Diskurs, der Schule machen sollte.

Auch dem entwicklungspolitischem Desiderat der Kohärenz wird sowohl im theoretischen als auch im praktischen Teil Raum gewidmet. Gemeint ist die Kohärenz zwischen den jeweils für das Land spezifisch aufgelegten Strategien zur Armutsbekämpfung, zur Ernährungssicherung usw. – sei es auf Druck internationaler Organisationen oder aus nationalem Interesse heraus. Inkohärenzen mit der jeweils praktizierten Handels- und Finanz-, Agrar- und Migrationspolitik sowie den Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen auf nationaler, regionaler wie internationaler Ebene werden vor allem im praxisorientierten, der Länderstrategie Kenias gewidmeten Teil problematisiert.

Während im praktischen Teil die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Strukturen des Sozialdialogs und die besonderen Herausforderungen in der Arbeitswelt Kenias sehr genau beschrieben werden (Kinderarbeit, HIV/AIDS, Gender, informelle Wirtschaft), spielt erstaunlicherweise die Situation von Wanderarbeiter keine besondere Rolle. Ausnahme ist die Situation von Flüchtlingskindern. Angedeutet wird jedoch der Zusammenhang zwischen den Wanderbewegungen und den Waren- und Dienstleistungsströmen in der Region Ostafrika. Die Herausforderung dürfte in Zukunft auch darin bestehen, die Rechte der Migrantinnen und Migranten gegenüber dem Vorrang wirtschaftlicher Interessen zu schützen.

* Stärkung der Durchsetzungskraft der ILO

Bei aller Wertschätzung der ILO ist Demele nicht blind für ihre mangelnde Durchsetzungskraft. Die Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten werden zu Recht kritisch beurteilt. Eine Lösung sieht der Autor in der Stärkung der menschenrechtlichen Verantwortung der Sozialpartner und der Einrichtung eines internationalen Arbeitsgerichtes. Vor allem die Vorschläge zur Verbesserung der Kontrollmechanismen, wie die OECD-Kontaktstelle für Multinationale Konzerne, durch stärkere Anbindung an die ILO sind weiterführend.

Kernstück der Arbeit ist ihr dritter Teil mit der Diskussion der Ausbaufähigkeit des sozialen Dialogs als Verbindung zwischen Arbeits- und Entwicklungspolitik. Demele argumentiert für die Erweiterung des sozialen Dialogs auf je nach Problemlage involvierte Gruppen der Zivilgesellschaft (z.B. Menschenrechtsorganisationen, Indigene, informelle Wirtschaft, NGOs). Zu Recht differenziert er zwischen den Ebenen des Dialogs. Dennoch bleibt die Frage des Erhalts der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften im Geflecht der Sozialpartner eher unbeantwortet. Immerhin ist diese durch die Arbeiterbewegung hart erkämpft worden und somit ein sensibler Punkt für Gewerkschaften. Ein Beispiel einer hervorragenden Kooperation von Gewerkschaften, Hausangestellten- und Migrationsorganisationen, menschenrechtlichen und kirchlichen NGOs waren die Verhandlungen zum Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Hausangestellten (C189) in den Arbeitskonferenzen der Jahre 2010 und 2011. Positive Entwicklungen dieser Art können auch in anderen internationalen Strukturen, wie z.B. im Ausschuss für Welternährung bei der FAO, beobachtet werden.

Arbeitspolitik und Entwicklungspolitik sollen also vorrangig durch erweiterten sozialen Dialog verbunden werden. Dies ist aber auch abhängig von einer bei Demele unbehandelten Richtung des Dialogs innerhalb der beteiligten Organisationen: Prozesse auf internationaler Ebene erreichen die nationale Diskussion oft zu spät oder zumindest sehr spät, weil Delegierte, sowohl auf Regierungs- als auch auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, national unzureichend in gesellschaftliche Prozesse eingebunden sind.

Der Forschungsausblick schließlich birgt eine Fundgrube für die Entwicklungsagenda der ILO. Demele verweist auf die Weiterentwicklung der ILO als Institution, auf die Einbeziehung der Arbeits- und Wirtschaftskulturforschung und ganz aktuell im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte auf die Rolle der ILO im Wachstumsdiskurs. Insgesamt ist die Dissertation vor allem deshalb lesenswert, weil sie Hinweise zur Weiterentwicklung der ‚Global Governance‘ im Sinne einer sozialverträglich gestalteten Globalisierung bietet.

Dr. Hildegard Hagemann ist Mitarbeiterin der Deutschen Kommission Justitia et Pax.

Hinweis:
* Markus Demele: Entwicklungspolitik als Arbeitspolitik. Kultursensible Decent Work-Strategien der International Labour Organization, 519 S., Hochschulschriften 143, Metropolis-Verlag: Marburg 2013. Bezug: Buchhandel

Veröffentlicht: 1.9.2013

Empfohlene Zitierweise:
Hildegard Hagemann, Die ILO als Akteur der Entwicklungspolitik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 1. September 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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