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Die Weltwirtschaft im Herbst 2017

Artikel-Nr.: DE20171005-Art.17-2017

Die Weltwirtschaft im Herbst 2017

UNCTADs Plädoyer für einen Global New Deal

Trotz einiger Lichtblicke in diesem Jahr scheint die Erholung der Weltwirtschaft festgefahren. Der neue Trade and Development Report 2017 (“Beyond Austerity - Towards a Global New Deal“; s. Hinweis) führt dies auf eine Kombination von zu hoher Verschuldung und zu wenig Nachfrage auf globaler Ebene zurück. Den Ausweg sieht er in einem ehrgeizigen Alternativkonzept – einem für das 21. Jahrhundert maßgeschneiderten New Global Deal. Von Rainer Falk.

Der New Global Deal soll mehr Gewicht auf ökomische Inklusion und die Sorgeökonomie legen und den Menschen Priorität vor den Profiten einräumen. Dazu gehört die Beendigung der Austeritätspolitik, ein Vorgehen gegen unternehmerische Renteneinkommen und eine Bändigung des Finanzsystems, um die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionen in die Infrastruktur ins Zentrum der Wirtschaftspolitik zu rücken.

● Good times, bad times

Der neue TDR zeigt, dass die Weltwirtschaft im Jahre 2017 eine leichte Belebung durchmacht, aber nicht abhebt. Das Wachstum dürfte 2,6% erreichen, etwas mehr als 2016, doch deutlich unter dem Durchschnitt der Vorkrisenjahre von 3,2%. Die meisten Regionen dürften kleine Zuwächse verzeichnen, wobei Lateinamerika die Rezession überwinden dürfte, wenn auch nur mit einem Wachstum von 1,2%. Die Eurozone erwartet ihr höchstes Wachstum seit 2010 (1,8%), bleibt aber weiterhin hinter den Vereinigten Staaten zurück (s. Tabelle).


Das Haupthindernis einer robusten Erholung in den Industrieländern ist für die TDR-Autoren die fiskalische Austeritätspolitik, der Kardinalfehler der Wirtschaftspolitik. Nach ihren Erkenntnissen herrschte die Austerität zwischen 2011 und 2015 in 13 von 14 Industrieländern.

Angesichts ungenügender globaler Nachfrage blieb auch der Handel lustlos. Eine geringfügige Verbesserung wird in diesem Jahr von einer Erholung des Süd-Süd-Handels erwartet, die durch China angeführt wird. Gleichwohl bleibt viel Unsicherheit, vor allem mit Blick auf den Rohstoffhandel, wo sich eine kurze Erholung der Preise als nicht dauerhaft erwiesen hat (s. Grafik 1).


Da eine koordinierte, von den Industrieländern angeführte Expansion fehlt, hängt die Aufrechterhaltung der begrenzten weltwirtschaftlichen Beschleunigung von anhaltenden Verbesserungen in den Schwellenländern ab. Doch während die größten Schwellenländer zwischen 2011 und 2015 Austerität vermieden haben und China und Indien seither robuste Wachstumsraten aufrecht erhalten haben, sehen sie sich nun deutlichen Abwärtsrisiken gegenüber. Der Schuldenstand wächst weiter an. Hinzu kommen Sorgen über politische Instabilität, fallende Rohstoffpreise, Zinssteigerungen in den USA und ein stärkerer Dollar. Die Kapitalzuflüsse in die Entwicklungsländer bleiben negativ, wenn auch nicht so stark wie in den letzten Jahren (s. Grafik 2).


Hyperglobalisierung und Angst vor einer prekären Zukunft

Für den Hauptautor des Berichts, Richard Kozul-Wright, „bestanden zwei der wichtigsten sozioökonomischen Trends der letzten Dekaden in der Explosion der Schulden und dem Wachstum der Supereliten, die grob aus den oberen 1% bestehen“. Diese Trends sind verknüpft über die Deregulierung der Finanzmärkte, welche die sich verschärfende Kluft bei finanziellen Anlagewerten und eine Fixierung auf kurzfristige Gewinne bedingt hat. So gesehen sind Ungleichheit und Instabilität fest mit dem Trend zur Hyperglobalisierung verstrickt. Der Report zeigt, dass dies zu einer Welt mit ungenügenden produktiven Investitionen, prekären Arbeitsplätzen und einer Schwächung des Sozialstaats führt. Dies ist zu einer sich selbstverstärkenden Tendenz geworden, mit einer Perpetuierung der Krise, die durch die „große Flucht“ der Top-Einkommen angetrieben wird, während ihre Nachwirkungen durch Austerität und stagnierenden Einkommen am unteren Ende gekennzeichnet sind.

Ein Jahrzehnt nach dem Ausbruch einer massiven globalen Krise, die Billionen Steuergelder für Rettungspakete absorbiert hat, hat sich der dominante Finanzsektor kaum verändert. In der Tat sind die Schuldenstände höher denn je. Indessen untersuchen die TDR-Autoren auch andere Quellen der Angst, die mit der Digitalisierung und Geschlechterdiskriminierung verbunden sind, welche die Jobaussichten in Industrie- und Entwicklungsländern gleichermaßen betreffen. Während die Automatisierung und die wachsende Frauenpartizipation eigentlich willkommene Entwicklungen sein sollten, erscheinen sie als Bedrohung, weil sie mit einer Welt der Austerität und der exzessiven Konkurrenz einhergehen, die zu einem race to the bottom, einem Wettlauf zum Abgrund führen. Das Ergebnis ist ein populistischer Backlash gegen ein System, das – so die Wahrnehmung – einseitig zugunsten einer Handvoll großer Konzerne, Finanzinstitutionen und reicher Individuen funktioniert. UNCTAD warnt eindringlich davor, dass die ausbleibende Korrektur der Exzesse der Hyperglobalisierung nicht nur die soziale Kohäsion bedroht, sondern auch das Vertrauen in Märkte und Politiker.

● Gebraucht wird eine Alternative zum Marktfundamentalismus

Der TDR argumentiert, dass bislang zu stark über Handel und Technologie diskutiert werde, um die Schwierigkeiten einer hyperglobalisierten Welt zu erklären. Stattdessen ruft er zu einer ernsthaften Untersuchung der Marktmacht, des Rentenverhaltens und der Spielregeln des „Winner-take-most“ auf, welche zu ausgrenzenden Ergebnissen geführt haben. Die wachsende Konzentration auf den Märkten mit ihren potentiell zerstörerischen Konsequenzen für das politische System ist ein Hauptthema, das die Autoren des Berichts beschäftigt. Solange die Politiker fortfahren, das Schwert der Austerität zu schwingen und den Erfolg von Politik an Anlagepreisen und Profit zu messen, wird das Big Business die Schlüsselsektoren dominieren, und die heute schon unübersehbaren Ungleichheiten werden weiter zunehmen.

● Für einen Globalen New Deal

Die Abkehr von der Hyperglobalisierung hin zum Aufbau inklusiverer Volkswirtschaften ist nicht einfach eine Frage besser funktionierender Märkte, sagen die UNCTAD-Ökonomen. Sie erfordert eine anspruchsvolle und umfassende Agenda, die globale und nationale Asymmetrien bei technologischem Know-how, Marktmacht und politischem Einfluss angeht.

Mit dem Rückzug der USA von der Rolle des globalen Konsumenten „letzter Instanz“ wird das Recycling der Überschüsse zum Schlüsselelement bei der Neujustierung der Weltwirtschaft. Der Report wirft ein Schlaglicht auf die Eurozone, vor allem auf Deutschland, die inzwischen einen großen Überschuss mit dem Rest der Welt erzielen. Der jüngste, von Deutschland angeregte G20-Vorschlag eines Marshall-Plans mit Afrika sei zwar willkommen, bislang fehle ihm jedoch der finanzielle Muskel. Die billionenschwere Neue Seidenstraßen-Initiative Chinas sei da wesentlich mutiger, vor allem da Chinas Überschuss in den letzten zwei Jahren stark zurückgegangen ist.

Im Bericht werden einige Lehren aus dem Jahr 1947 gezogen, als sich der IWF, die Weltbank, das GATT und die Vereinten Nationen zusammentaten, um die globale Nachkriegswirtschaft neu auszurichten und der Marshall-Plan aufs Gleis gesetzt wurde. Sieben Jahrzehnte später sei eine ähnlich ehrgeizige Anstrengung erforderlich. Unter Zurückweisung des überholten politischen Slogans „Es gibt keine Alternative“ zeichnet der Bericht die Umrisse eine Globalen New Deals. Dieser würde wirtschaftliche Erholung mit regulatorischen Reformen und Umverteilungspolitiken kombinieren, und dies mit angemessener Geschwindigkeit und Volumen. Der Erfolg des New Deals der 1930er Jahre in den USA sei stark dem Schwerpunkt geschuldet gewesen, den er auf die Neujustierung der Machtverhältnisse und die Aufwertung der schwachen Gruppen in der Gesellschaft legte, einschließlich Konsumentengruppen, Arbeiterorganisationen, Farmer und mittelloser Armen. Das gelte heute nicht weniger.

In der integrierten Weltwirtschaft von heute werden die Regierungen zusammenarbeiten müssen, damit jedes Land Erfolge erzielen kann. UNCTAD drängt die Regierungen deshalb dazu, die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) als Chance zur Verwirklichung eine Globalen New Deals für das 21. Jahrhundert zu ergreifen.

● Es gibt eine Alternative

Dazu rechnet der Report u.a. folgende Maßnahmen:
* Beendigung der Austeritätspolitik durch mehr und bessere öffentliche Investitionen mit einer starken Vorsorgedimension und öffentlichen Arbeitsprogrammen, die die Infrastruktur verbessern und Beschäftigung schaffen;
* Unterstützung der Minderung des und der Anpassung an den Klimawandel und Förderung der technologischen Chancen des Pariser Klimaabkommens;
* Erhöhung der Regierungseinnahmen (durch mehr progressive Besteuerung, darunter auch auf Immobilien und andere Formen des Renteneinkommens, was zu mehr Einkommensgleichheit führen kann). Der Bericht zeigt, dass selbst kleine Änderungen des Steuersatzes für die Reichsten der Welt deutlich zur Schließung von Finanzierungslücken beitragen würden. Abschaffung von Steuerausnahmen und –schlupflöchern sowie des Subventionsmissbrauchs durch Konzerne wären ein großer Beitrag zu Einkünften und Fairness;
* Errichtung eines neuen globalen Finanzregisters, das als erster Schritt zu einer fairen Besteuerung dokumentiert, wer welche Finanzanlagen auf der Welt besitzt;
* Stärkung der Stimme der Arbeit (Löhne müssen der Produktivitätsentwicklung folgen und Arbeitsunsicherheit muss durch Gesetze und aktive Arbeitsmarktpolitik korrigiert werden);
* Bändigung des Finanzkapitals (angemessene Regulierung des Finanzsektors, und zwar von privaten Banken bis zu toxischen Finanzprodukten);
* Bessere Kapitalisierung von multilateralen und regionalen Entwicklungsbanken; auch die institutionelle Lücke bei der Restrukturierung von Staatsschulden muss auf multilateraler Ebene geschlossen werden;
* Einschränkung des Rentiersverhaltens von Konzernen (Maßnahmen zur Einschränkung restriktiver Geschäftspraktiken sollten im Verein mit strikterer Durchsetzung nationaler Transparenzvorschriften ergriffen werden. Z.B. könnte eine globale Wettbewerbsbehörde Konzentrationstrends auf den globalen Märkten überwachen und Informationen über die verschiedenen existierenden Regulierungsbestimmungen zusammentragen – als erster Schritt zur Koordinierung internationaler best practices und Politiken.)

Hinweis:
* UNCTAD: Trade and Development Report 2017: Beyond Austerity – Towards a Global New Deal, 200 pp, United Nations: New York and Geneva 2017. Bezug: über www.unctad.org

Posted: 5.10.2017

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Die Weltwirtschaft im Herbst 2017. UNCTADs Plädoyer für einen Global New Deal, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Oktober 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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