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Dividende oder Hypothek: Jugend-Boom in den LDCs

Artikel-Nr.: DE20131123-Art.41-2013

Dividende oder Hypothek: Jugend-Boom in den LDCs

UNCTAD fordert anderen Wachstumstyp

Vorab im Web – Der entwicklungspolitisch Interessierte ist inzwischen an gute Nachrichten aus den Schwellen- und Entwicklungsländern gewöhnt: Boomende Wirtschaft, wachsende Mittelschichten, zurückgehende Armut. Die Lektüre des aktuellen LDC-Berichts der UNCTAD ist dagegen ernüchternd. Das ärmste Achtel der Menschheit partizipiert kaum am wachsenden Wohlstand der Welt. Angesichts der Herausbildung einer breiten Schicht vergleichsweise gut ausgebildeter Jugendlicher ist aber nicht damit zu rechnen, dass diese weiter bereit sind, ihr Schicksal passiv hinzunehmen. Von Jörg Goldberg.

Der Bericht schildert, wie sich in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) eine demografische „youth-bulge“, ein Jugend-Boom, herausbildet und macht Vorschläge, wie den Jugendlichen eine Perspektive in Form adäquater Arbeitsplätze zu bieten wäre. Unter den gegenwärtigen Bedingungen können die Heimatländer dies nicht leisten. Der notwendige Strukturwandel ist durch falsche wirtschaftspolitische Weichenstellungen blockiert.

● LDCs in der Falle der Unterentwicklung

Welches Land zu der aus 49 Staaten bestehenden Gruppe der LDC gezählt wird, hängt von einem Indikatorenmix ab, bei dem Durchschnittseinkommen (unter 992 US-Dollar/Jahr), Sozialindikatoren und die Wehrlosigkeit gegenüber natürlichen und ökonomischen Katastrophen eine Rolle spielen. Seit diese Gruppe besteht haben es erst drei (bevölkerungsarme) Länder geschafft, den LDC-Status zu überwinden: Botswana, die Kapverden und die Malediven. 31 LDCs liegen in Afrika, 8 in Asien, plus Haiti. Die übrigen sind kleine Inselstaaten. In ihnen leben 878 Millionen Menschen, mehr als 12% der Weltbevölkerung.

Auch die LDCs verzeichnen seit den 1990er Jahren mehr Wirtschaftswachstum und verbesserte internationale Austauschverhältnisse. Auch konnten sie – wie die übrigen Entwicklungsländer – die Krise von 2008ff. relativ gut überstehen; trotzdem ist das Wachstumstempo zurückgegangen, es liegt nun mit rund 5% jährlich unter der Schwelle von 7%, die vom „Istanbul Programme of Action“ der LDCs als notwendig für eine deutliche Armutsreduzierung angesehen wird.

Ökonomisch leiden sie unter der „Volatilität“ von Rohstoffpreisen und Kapitalströmen, was in den letzten Jahren wieder zu Leistungsbilanzdefiziten und steigender Auslandsverschuldung geführt hat. Hinzu kommt, dass das Wachstum kaum Arbeitsplätze generiert – es ist im Gegenteil festzustellen, dass sich der Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Wirtschaftswachstum lockert, und zwar vor allem in jenen Ländern, deren Wachstumsbilanz gut ist. Das hängt mit dem Typ des Wachstums zusammen: Wachstumstreiber sind überwiegend Exporte von mineralischen Rohstoffen, deren Förderung kapitalintensiv, aber wenig beschäftigungswirksam ist.

● Demographische Dividende oder Hypothek?

Die Bevölkerung der LDCs wächst rascher als in den übrigen Entwicklungsländern, aber auch dort geht die Geburtenrate langsam zurück. Das führt dazu, dass die arbeitsfähige Bevölkerung besonders schnell zunimmt – was man gerne als „demographische Dividende“ bezeichnet: Es gibt immer mehr arbeitsfähige Menschen, die für immer weniger Kinder und Alte zu sorgen haben. Jedes Jahr strömen fast 16 Millionen junge Leute auf den Arbeitsmarkt (2010), 2020 werden es 21 Millionen sein. Formulierungen wie: „Für die meisten LDCs sind Menschen, vor allem junge, der wertvollste Vermögenswert (asset)“ (24) können allerdings nicht verdecken, dass diese Jugendlichen, bietet man ihnen keine Perspektive, eher als Hypothek wirken.

Und genau diese Perspektiven fehlen. Bislang haben sie in den meisten betroffenen Ländern mehr schlecht als recht in der Landwirtschaft magere Überlebensquellen gefunden, meist durch Gründung neuer Farmen. Noch immer lebt im Durchschnitt der LDCs mehr als 70% der Bevölkerung auf dem Lande. Aber: „In dem Maß wie die Bevölkerung wächst, werden die Farmen kleiner und bearbeiten zunehmend marginale Böden.“ (39).

Hinzu kommt der steigende Bildungsgrad: Derzeit (2011) besuchen fast alle Kinder der LDCs im Grundschulalter die Schule, 40% der entsprechenden Jahrgänge besuchen eine Sekundarschule und 8,4% eine Hochschule: „Die Bevölkerung der LDCs ist allmählich besser vorbereitet auf die Anforderungen moderner Produktionsverfahren, d.h. besser ausgebildet und anpassungsfähiger,“ stellt der Bericht mit Befriedigung fest (107). Genau die aber fehlen: Von Arbeitsplätzen mit „modernen Produktionsverfahren“ ist weit und breit nichts zu sehen. Im Gegenteil: Während die Landwirtschaft zurückfällt, stagniert der Anteil der verarbeitenden Industrie am Inlandsprodukt seit 1999 bei 10%. In den afrikanischen LDCs ist er sogar von 8 auf 7,5% zurückgegangen.

Die Jugendlichen, die auf dem Lande kaum noch Überlebensmöglichkeiten haben, strömen in die Städte. Dort überleben sie in informellen prekären Beschäftigungsverhältnissen („vulnerable employment“), meist im Dienstleistungsbereich. Ökonomisch wechseln sie von einem Sektor mit niedriger Produktivität (Landwirtschaft) in einen anderen mit ähnlich niedriger Produktivität (städtische Dienstleistungen). Das Wachstum der LDCs beruht auf der nicht-verarbeitenden Industrie, d.h. dem Bergbau, der seinen Anteil zwischen 1999 und 2011 im Durchschnitt der LDCs von 14,5 auf 22% steigern konnte.

● Politikwechsel notwendig

Im Hauptteil des Berichts skizziert die UNCTAD jene Politiken, die sie für notwendig hält, um ein „inklusives“, d.h. vor allem arbeitsintensives Wachstum zu generieren. Wer die Position der UNCTAD kennt, wird hier nicht viel Neues finden – was nicht gegen die entwickelten Konzepte spricht. Es geht, wie die Autoren hervorheben, nicht um Wachstum schlechthin: „the type of growth matters“ (95). Grundlagen eines beschäftigungsintensiven Wachstums seien (1) der Aufbau produktiver Ressourcen (Investitionen, Ausbildung, Natur), (2) die Förderung unternehmerischer Fähigkeiten – um die Lücke zwischen den vielen unproduktiven Miniunternehmen einerseits und den wenigen großen Konzernen andererseits zu schließen – und (3) die Sicherung von produktiven Zusammenhängen („linkages“).

Angesichts der Schwäche des Privatsektors kommt dem Staat eine zentrale Rolle zu, und zwar in doppelter Hinsicht: „Die Umsetzung von Maßnahmen, die Produktion und Beschäftigung im privaten Sektor stimulieren, und die Schaffung von öffentlichen Arbeitsplätzen“ (132), wobei eine gezielte „Industriepolitik“ zugunsten der Landwirtschaft und andere arbeitsintensive Wirtschaftszweige und mehr öffentliche Investitionen im Mittelpunkt stehen.

Es ist bekannt, dass die Konzepte der UNCTAD – auch das hier vorgestellte – mit dem marktradikalen Mainstream von IMF, Weltbank u. a. überquer liegen. Die LDCs haben in der Vergangenheit die Rezepte des Washington-Consensus brav befolgt, mit negativen Folgen für Beschäftigung und Einkommensverteilung. Daher: „Die Wirtschaftspolitik muss ihre einseitige Orientierung auf Preisstabilität und ausgeglichene Haushalte aufgeben und Strategien verfolgen, die auf Wachstum mit nachhaltiger Beschäftigung abzielen.“

Den Autoren ist wohl bewusst, dass es bei einem solchen Politikwechsel nicht um technische Fragen, sondern um politische und soziale Interessen geht (134). Leider drückt sich die UNCTAD aber darum, diese Interessen und Kräfte zu benennen; einen UN-Familienstreit mit IMF und Weltbank scheut sie. Damit aber erweist sie sich selbst einen Bärendienst: Nur wenn es der UNCTAD gelingt, ihren Ansatz gegen den bisherigen Mainstream mehrheitsfähig zu machen, werden ihre Konzepte auch Umsetzungschancen haben. Das aber wird nur im offenen Konflikt gelingen.

Hinweis:
* United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): The Least Developed Countries Report 2013. Growth with employment for inclusive and sustainable development, 218 pp, United Nations: New York-Geneva 2013. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 24.11.2013

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, Dividende oder Hypothek: Jugend-Boom in den LDCs. UNCTAD fordert anderen Wachstumstyp, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. November 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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