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Dominic Johnsons Afrika vor dem großen Sprung

Artikel-Nr.: DE20110413-Art.24-2011

Dominic Johnsons Afrika vor dem großen Sprung

Ökonomie des neuen Afrika

Vorab im Web - Dominic Johnson, Afrika-Korrespondent und Redakteur der taz, hat ein kleines Buch vorgelegt, das zur Korrektur des herrschenden Afrikabilds beitragen könnte. Nach wie vor wird Afrika mit Hunger, Kriegen, Krankheiten und Korruption verbunden. Dieses Bild ist wirkungsmächtig, da es die Politik der „fürsorglichen“ Bevormundung plausibel macht. Damit räumt Johnson gründlich auf, haut aber leider gelegentlich arg daneben, meint Jörg Goldberg.

Als Journalist arbeitet Johnson nach dem Motto: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“. Das ist legitim. Die Absicht des Buches schildert der Klappentext: „In vielen Ländern Afrikas ist die Ära einer Gründerzeitstimmung mit geradezu revolutionären Umwälzungen angebrochen. Eine neue Generation übernimmt die Schaltstellen von Politik und Wirtschaft.“ Dies, so Johnson, sei mit einer Wiederbesinnung auf die eigene Kraft verbunden, die Zeit importierter Ideologien sei vorbei (56).

* Die Basis des „neuen Afrika“ ist ökonomisch

Doch das ist leider noch Zukunftsmusik, wie z.B. der jüngste Economic Report on Africa (???042ae69ec00e73821???) deutlich macht: Die Entwicklungsstrategien für Afrika wurden bislang alle außerhalb des Kontinents gebastelt. Träger des neuen Selbstbewusstseins sind Johnson zufolge neue politische Führer, die sich von der Fixierung auf die Kolonialzeit und den Kampf um die Unabhängigkeit gelöst haben: Die „Ära der ‚big men’ in Afrika gehört der Vergangenheit an“ (37/38), wird behauptet.

Was ist denn neu z.B. am Zweikampf Gbagbo/Ouattara in der Cote d’Ivoire, fragt sich der Leser. Und auch Johnson geht wohl auf, dass es mit den neuen politischen Führern, die in zahlreichen Ländern eine Art erblicher Monarchie errichten (63), nicht gar so weit her ist. So räumt er am Ende ein: „Der Bruch mit der Vergangenheit ist also nur vereinzelt geglückt“ (53), eine Feststellung, die mit der inflationär gebrauchten Rede von der „Geburtsstunde“ (1979: 39) bzw. „Gründungsstunde“ (1994; 47) des „neuen Afrika“ nicht so recht kompatibel ist.

Tatsächlich ist die Basis des „neuen Afrika“ auch weniger der politische als vielmehr der wirtschaftliche Bereich: Hier haben sich in den letzten zehn Jahren einschneidende Veränderungen vollzogen, wesentlich Folge der steigenden Rohstoffpreise und der so verbesserten internationalen Austauschverhältnisse. Auch wenn die Ausbeutung der Rohstoffe weiter eine Angelegenheit Transnationaler Konzerne ist, so hat Johnson doch recht: „Afrika verdient heute viel mehr als früher, und viel mehr davon bleibt in Afrika.“ (20) Die Wachstumsrate des Kontinents liegt dauerhaft zwischen 5 und 6%, die Investitionsquote steigt und neben dem Bergbau florieren Telekommunikation und Finanzdienstleistungen.

* Vertrauen auf Finanzinvestoren

Leider erwähnt Johnson eine große Schwäche des gegenwärtigen Aufschwungs nicht: Die unzureichende Diversifizierung der afrikanischen Wirtschaft, die Stagnation der verarbeitenden Sektoren, die – wie z.B. in Südafrika – stellenweise mit Erscheinungen der Deindustrialsierung verbunden ist. Daher ist seine Behauptung, die Symbiose zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen sei „der eigentliche Motor von Afrikas Aufschwung im 21. Jahrhundert und der Garant seiner Dauerhaftigkeit und Stabilität“ (26) durchaus zweifelhaft. Basis des Aufschwungs sind nicht-erneuerbare Rohstoffe, also per Definition nicht dauerhafte Faktoren. Die damit verbundenen Chancen müssen erst noch genutzt werden.

Auch wenn Johnson in vielen Punkten Recht hat: Die Crux seiner Darstellung ist, dass er die hohe Afrikarenditen versprechenden Werbetexte der Finanzinvestoren zum Nennwert nimmt, wie sie z.B. in der viel zitierten McKinsey-Studie „Lions on the move“ von 2010 enthalten sind. Sicherlich: „Investitionen in Afrika werfen höhere Renditen ab als irgendwo sonst“ (21) – aber was besagt das über die Nachhaltigkeit des Aufschwungs?

Merkwürdigerweise geht er auf einen weiteren wichtigen Aspekt des neuen afrikanischen Selbstbewusstseins, nämlich die Veränderung der internationalen Kräfteverhältnisse, nicht ein: Dass es heute nicht mehr möglich ist, „Afrika wie ein Kind zu behandeln“ (16), dass die Gestaltungsmacht des Kontinents gewachsen ist (26), hängt vor allem mit dem Auftreten neuer globaler Akteure wie China, Indien, Brasilien usw. zusammen.

* Mythenbildung

Johnsons Vertrauen auf die Versprechen der Finanzinvestoren lässt ihn leider auch einigen Mythen aufsitzen. Davon ist das Bild des unbesiedelten Afrika, des menschenleeren Landes, das von der in die Städte strebenden Bevölkerung verlassen wird, das wohl unsinnigste: „Weite Teile Afrikas (sind) bis heute fast menschenleer … riesige Landstriche … sind komplett jungfräuliches Land … warten auf die Erschließung durch Bauern.“ (12) „Immense Weiten unerschlossenen fruchtbaren Landes…“ (22), Dörfer, die „nur noch Altenheime“ sind (9), „immer weniger Menschen …(deren Leben sich) noch in erster Linie um Aussaat und Ernte dreht“ (22). Das ist gefährlicher Unfug!

Noch immer ist Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle für 60 bis 70% der Afrikaner. Und auch wenn die urbane Bevölkerung rascher wächst als die ländliche: Trotzdem nimmt die Landbevölkerung in absoluten Zahlen weiter zu, zwischen 2000 und 2008 ist sie im subsaharischen Afrika um 70 auf 520 Millionen gewachsen. Und von wegen menschenleeres fruchtbares Land: Afrika verfügt über die fragilsten Agrarbedingungen der Welt, die Degradation bislang fruchtbaren Landes ist die Hauptgefahr.

Daher besagt die in der Tat geringe durchschnittliche Bevölkerungsdichte Afrikas wenig: Der Weltentwicklungsbericht der Weltbank von 2008, der der Agrarwirtschaft gewidmet ist, weist darauf hin, dass bei Berücksichtigung der Landqualität die Bevölkerungsdichte z.B. Kenias höher ist als die in Bangladesh (WDR 2008, 63). Dabei ist die komplizierte Problematik der Landrechte noch nicht einmal angesprochen.

Der Unsinn vom menschenleeren Afrika wird von jenen Finanzinvestoren verbreitet, die in großem Umfang Land pachten oder kaufen, um dort u.a. Biotreibstoffe produzieren zu lassen. Auch wenn solche Investitionen differenziert gesehen werden müssen: Afrika wird den „großen Sprung“ nur schaffen, wenn es gelingt, die kleinbäuerliche Landwirtschaft als Grundlage der afrikanischen Ökonomie zu stärken. Nicht das Handy (73), sondern der Kleinbauer wird Afrika revolutionieren.

* Ein neuer afrikanischer Kapitalismus

Trotz dieser Kritik macht Johnsons Buch einen wichtigen Punkt: Er zeigt, dass sich vor dem Hintergrund des Rohstoffbooms – der m. E. durchaus fragil ist – derzeit eine wichtige soziale Veränderung vollzieht, nämlich „die Herausbildung einer äußerst selbstbewussten und zugleich kosmopolitischen afrikanischen Mittelklasse“ (25), die nicht nur konsumstark ist, sondern auch über Kapital verfügt, das in Afrika investiert wird. Es bildet sich „ein afrikanischer Kapitalismus“ heraus (26), eine „neue afrikanische Bourgeoisie“, die auch international agiert und so dazu beiträgt, die erniedrigenden Erfahrungen des Rassismus zu überwinden. Denn die Stellung Afrikas in der Welt war in der Vergangenheit nicht nur durch Ausbeutung geprägt, sondern vor allem durch den rassistischen Blick der Weißen auf die Schwarzen (57). Dieser afrikanische Kapitalismus – das übersieht Johnson leider – ist bislang ein Kapitalismus ohne Arbeiter, mit starken Tendenzen zum Handels- und Finanzkapitalismus.

Die von Johnson skizzierten Veränderungen, so könnte man zusammenfassen, beinhalten Chancen für einen dauerhaften Aufschwung. Dieser ist aber noch keineswegs gesichert. So gilt auch für die afrikanische Ökonomie: „Die Zukunft ist offen.“ (103)

Hinweis:
* Dominic Johnson, Afrika vor dem großen Sprung, 106 S., Verlag Wagenbach: Berlin 2011. Bezug: Buchhandel

Veröffentlicht: 13.4.2011

Empfohlene Zitierweise: Jörg Goldberg, Dominic Johnsons Afrika vor dem großen Sprung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 14. April 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).