Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Ein Marshallplan mit Afrika?

Artikel-Nr.: DE20170405-Art.09-2017

Ein Marshallplan mit Afrika?

Das BMZ übernimmt sich erheblich

Vorab im Web - "Afrika und Europa - Neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft" – so heißt das 30seitige Papier, das Bundesentwicklungsminister Gerd Müller am 18. Januar 2017 vorlegte. Der Titel allein hätte vielleicht in der engeren entwicklungspolitischen Szene kurzzeitige Aufmerksamkeit erregt, wäre aber bald im allgemeinen Politikbetrieb untergegangen, wäre da nicht der Untertitel: "Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika", schreibt Ludger Reuke.

Der Text beginnt mit "10 Thesen für einen Marshallplan mit Afrika". Und in allen Kapitelüberschriften findet sich der Name wieder: "Der Kern des Marshallplans", "Die Säulen des Marshallplans" sowie "Das Fundament des Marshallplans". Das klingt so, als hätte man es hier mit einem ganz großen, Kontinente umfassenden Plan zu tun. Infolgedessen beschäftigen sich Presse, Fachpresse, Rundfunk und digitale Medien intensiv mit diesem Plan. Ein großer PR-Erfolg.

Aber Marshall ist nicht als Aufmerksamkeit erregender Gag gemeint; der Minister scheint ernsthaft zu glauben, sein Plan könnte für/mit Afrika eine vergleichbar große Wirkung entfalten wie das "European Recovery Program“ (ERP), das George C. Marshall erstmals am 5. Juni 1947 in Harvard vorgestellt hatte. Leider gibt es zwischen diesen beiden Programmen mehrere entscheidende Unterschiede:

● Die Weltlage

Schon kurz nach dem Ende des gemeinsam gewonnenen 2. Weltkrieges wurden erste Risse im Bündnis zwischen den Westmächten und der Sowjetunion sichtbar. In den heftiger werdenden Auseinandersetzungen um Einflusssphären in Osteuropa und auf dem Balkan inklusive Griechenland wurde es für die USA immer wichtiger, im darniederliegenden Europa alte Verbündete zu stärken und neue hinzu zu gewinnen. Neben den durchaus vorhandenen humanitären gab es also auf Seiten der USA existentiell wichtige Machtmotive dafür, ein europäisches Wiedererstarken zu unterstützen.

Auf den ersten Blick hat heute Europa ein fast genauso großes Eigeninteresse am Erstarken Afrikas, nämlich die "Flüchtlingsströme" aufzuhalten. Aber über das „Wie“ sind sich die Europäer alles andere als einig. Während die einen, darunter auch Minister Müller, die "Fluchtursachen" in den Herkunftsländern bekämpfen wollen (was viel Zeit und Geduld erfordert), treffen die anderen Sofortmaßnahmen: Grenzen zu! Außengrenzen schützen! Abkommen mit der Türkei! Baldmöglichst auch mit den nordafrikanischen Staaten zum Festhalten oder zur Rücknahme der illegal Geflüchteten - das alles natürlich aus rein humanitären Gründen. Schließlich will man doch nur verhindern, dass die armen Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und außerdem will man "die Schleuserbanden bekämpfen".

● Die Unterstützer

George F. Kennan, der eigentliche Autor, und sein Chef, Außenminister George C. Marshall, brauchten nur ein Parlament und einen einzigen Machthaber von der Richtigkeit und Wichtigkeit ihres Programms zu überzeugen, Präsident Harry S. Truman. Der unterzeichnete dann zehn Monate später am 3. April 1948 das erforderliche Gesetz.

Minister Müller aber hat es mit einer Vielzahl von Macht-Habenden zu tun. Er müsste zunächst den deutschen Finanzminister und dann das gesamte Kabinett mit der Kanzlerin an der Spitze überzeugen; schon das eine Herkulesaufgabe: Wolfgang Schäuble hat unlängst am 2. März in der "Zeit" einen Aufsatz geschrieben: "Globalisierung, aber gerecht". Wenn die Welt stabiler werden solle, dann müssten wir das Gefälle zwischen den Reichsten und den Ärmsten der Erde verringern. Also genau Müllers Thema – aber "Marshall" kommt nicht vor. Auch nicht beim Außenminister Gabriel. Der arbeitet z.Zt. intensiv an einer "Neuausrichtung unserer Asien-Politik". Die Bundesregierung müsste dann die EU-Kommission, das EU-Parlament, und schließlich die 27 Regierungen und Parlamente der Einzelstaaten überzeugen (oder wenigstens eine Vielzahl von ihnen). Falls überhaupt, könnte das erst in langwierigen Verhandlungen gelingen. Aber dazu fehlt dem Minister offensichtlich die notwendige Geduld. Die – durchaus vorgesehenen – Konsultationen sollen schon in wenigen Monaten abgeschlossen sein und "beim G20-Gipfel im Juli und beim EU-Afrika-Gipfel im November 2017 als konkrete Vorschläge für die Beschlussfassung" eingebracht werden.

● Die zu Unterstützenden

Der Marshallplan war ein Angebot an alle Staaten Europas, an Sieger wie Besiegte, den Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Europa kräftig zu unterstützen. Die Sowjetunion lehnte diese Unterstützung für sich und ihren Machtbereich ab. Für Franco-Spanien galt das Angebot nicht, weil man ein faschistisches Regime nicht unterstützen wollte. Die verbleibenden Staaten Westeuropas hatten eines gemeinsam: Sie hatten langjährige Erfahrungen mit Regierung und Verwaltung und – die einen mehr, die anderen weniger – gut ausgebildete erfahrene Ingenieure und Facharbeiter. Wer Panzer und Maschinengewehre bauen kann, kann ziemlich schnell ohne größere Probleme auf Lastwagen, Baumaschinen oder Trecker umschalten. Die Landwirtschaft war ohnehin wenig geschädigt. Zwar blühte in den ersten Jahren fast überall der Schwarzhandel, aber Korruption auf amtlicher Ebene war so gut wie abwesend; und vor allem: Wenn sie doch irgendwo ruchbar wurde, wurde sie verfolgt. Menschenrechte wurden beachtet, auch wenn sie noch nicht offiziell erklärt worden waren.

Der Marshallplan 2017 richtet sich zunächst an alle Staaten auf dem afrikanischen Kontinent. Afrika ist schließlich der Partner Europas. So steht es wie selbstverständlich in praktisch jeder relevanten deutschen oder europäischen Veröffentlichung zum Thema; so auch hier: Afrika und Europa sind Partner. Wissen die Afrikaner das? Woher sollten sie es eigentlich wissen?

Man muss nicht in die Kolonialzeit zurückgehen, um wenig partnerschaftliches Verhalten aufzuspüren. Zwar gibt es viele gutgemeinte und auch gute partnerschaftliche Projekte, aber in den ungleich wichtigeren internationalen Handelsbeziehungen übertreffen Gewinnstreben und Übervorteilung die proklamierte Partnerschaft bei weitem, von der Unabhängigkeit über UNCTAD bis heute. Das räumt auch Gerd Müller in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger vom 20.3.2017 ein: "Und da müssen wir ehrlich sein: In den letzten 50 Jahren haben wir den Kolonialismus im Prinzip weitergeführt, indem wir die Ressourcen Afrikas für unseren Wohlstand nutzen, ohne dafür faire Preise zu bezahlen." Wie soll da ein Afrikaner auf die Idee kommen, wir seien Partner?

Vielfach wird im "Marshallplan" auf die "Agenda 2063" der Afrikanischen Union hingewiesen: "Anknüpfungspunkt dafür (für eine politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kooperation) ist die Agenda 2063 der Afrikanischen Union." Aber in deren 20 Seiten ist kein einziges Wort zu einer eventuellen Partnerschaft mit Europa zu finden.

Erfahrungen mit guter Regierungsführung haben viele afrikanische Staaten nur zeitweilig gemacht, von effektiver Verwaltung ganz zu schweigen. Und technisches Know-how? Das steckt trotz mannigfacher Anstrengungen zumeist noch in den Kinderschuhen. Der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte von 1948 haben sich die meisten afrikanischen Staaten inzwischen offiziell angeschlossen, beachtet wurde/wird sie seltener.

● Geduld und Ansatz

Also gut: Mit dem Marshallplan von 1947/48 hat der Plan von 2017 wenig gemein. Aber wenn man den Untertitel und die vielen Marshall-Präfixe einfach wegließe? Könnte man dann auf einen Erfolg der "Neuen Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft" hoffen? Dazu fehlen bis dato mindestens zwei Voraussetzungen: Mehr Geduld im Ministerium und beim Minister und – noch erheblich wichtiger – ein grundlegend anderer Ansatz.

Fehlende "strategische Geduld" (den Begriff übernehme ich von Tanja Gönner, der GIZ-Chefin) scheint der größte Mangel beim Minister zu sein. Es ist verständlich, dass er nach den deprimierenden Niebel-Jahren endlich und möglichst schnell zu Lösungen kommen möchte, die den Menschen in wirtschaftlich (zu) wenig entwickelten Ländern wirklich zugutekommen. Er war erst wenige Monate im Amt, als er, ehemaliger Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, erkannt hatte, dass Ackerbau und Viehzucht in den meisten afrikanischen Ländern notleidend waren. Seine schnelle Lösung: "Wir werden 10 Landwirtschaftliche Zentren errichten." Das kann es nicht sein. Es gibt in Afrika viele Landwirtschaftliche Zentren, einige funktionieren zufriedenstellend, aber die meisten leiden auf die eine oder andere Weise Not. Diese herauszufinden und zu prüfen, ob und wenn ja, wie, man (die GIZ oder NGOs) solche Zentren unterstützen könnte, dauert länger, man könnte aber mehr erreichen als nur 10 neue. Die allermeisten Entwicklungsmaßnahmen erfordern keinen Aufbau, sondern einen Ausbau: Ein kleiner Unterschied in der Schreibweise, aber ein großer Schritt für die Entwicklung. Hier scheint es eine kleine Hoffnung auf Besserung zu geben, hat der Minister doch bei seinem kürzlichen Besuch in Burkina Faso in Matourkou und Dano keine neuen Zentren eröffnet, sondern Erweiterungen der bestehenden eingeweiht.

● Der entscheidende Fehler: Von oben herab

Anders ist das bei dem grundlegenden Ansatz des 2017er Plans. Zwar heißt es löblich in der Einleitung: "Dieses ist ein dynamisches Dokument ... ein Anstoß zur Diskussion, zum Mitdenken und zur Mitarbeit aller gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen" Der Plan "muss ein integriertes Gesamtkonzept der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten mit den Staaten der Afrikanischen Union sein," und im Ausblick: "Wir werden die Vorschläge ... mit unseren afrikanischen Partnern diskutieren und weiterentwickeln" sowie "in Gesprächen mit der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft in Afrika und Europa weiterentwickeln." Aber auf insgesamt 9 Seiten listen wir detailliert auf: "Was muss passieren?"

Hier liegt der entscheidende Fehler des ganzen Plans: Wir legen fest, worüber diskutiert werden muss, was in Afrika, Deutschland und international geschehen muss, statt die Afrikanische Union, die afrikanischen Staaten und deren Zivilgesellschaft zu fragen, was sie erörtern wollen, dann zu prüfen, ob wir (die Deutschen, die Europäer) unterstützen können und dann gemeinsam zu handeln. Das braucht Zeit, erheblich mehr Zeit, hat aber erheblich größere Chancen auf Erfolg, als wenn wir akribisch schon vor einer Befragung festlegen, was zu diskutieren ist und was passieren muss.

Ein solcher Ansatz ist mitnichten neu. In den "Grundsätzen und Kriterien" des inzwischen von Ex-Bundesminister Niebel mit der Ex-GTZ zwangsvereinigten Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) heißt es schon 1971: "Der DED ordnet seine Arbeit in die Entwicklungsvorstellungen der Partner in den Entwicklungsländern ein." Die meisten NGOs dachten schon damals wie heute genauso. Diesen Ansatz kannte auch das BMZ, besaß es doch 95% der Anteile am DED und hatte diesen Kriterien zugestimmt. Es hat sich aber für seine eigene Arbeit (oder die der GTZ/GIZ) diesen oder einen ähnlichen Ansatz nie zu eigen gemacht.

Vielleicht hätten sich die Marshall 2017-Autoren genauer anschauen sollen, was George Marshall 1947 bei der allerersten Rede zum ERP in Harvard zu den verschiedenen Rollen des Unterstützers (damals die USA) und der zu Unterstützenden (damals Europa) gesagt hat:

"Es wäre weder angebracht noch zweckmäßig, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten von sich aus ein Programm entwerfen würde, um die wirtschaftliche Wiederaufrichtung Europas durchzuführen. Das ist Sache der Europäer selbst. Ich denke, die Initiative muss von Europa ausgehen. Unsere Rolle sollte darin bestehen, den Entwurf eines europäischen Programms freundschaftlich zu fördern und später dieses Programm zu unterstützen, soweit das für uns praktikabel ist. Das Programm sollte ein gemeinschaftliches sein, vereinbart durch einige, wenn nicht alle europäischen Nationen."

Ob das BMZ mit einem solchen Ansatz noch einmal neu zu denken anfangen könnte?

Posted: 6.4.2017

Empfohlene Zitierweise:
Ludger Reuke, Ein Marshallplan mit Afrika? Das BMZ übernimmt sich erheblich, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 6. April 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.