Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Entkolonialisierung der MDGs

Artikel-Nr.: DE20130904-Art.33-2013

Entkolonialisierung der MDGs

Transformation statt einfach Armutsminderung

Vorab im Web - Die hohe Attraktivität der acht Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) oder zumindest der ersten sieben lag in ihrer nahezu universellen Akzeptanz. Dies mobilisierte sowohl national als auch international Ressourcen und Politik zur Verringerung der Armut, des Hungers, der Ungleichheit der Geschlechter, der Fehlernährung und der Krankheiten. Doch der MDG-Diskurs blendete zentrale Momente von Entwicklung aus, kritisiert Manuel Montes.

Seit sie in die Welt kamen, hat die Begeisterung für die MDGs die entwicklungspolitische Debatte dominiert. Der MDG-Diskurs in internationalen Organisationen und im nationalen Kontext scheint die grundlegende Idee verdrängt zu haben, dass es bei Entwicklung um ökonomische Transformation geht. Vergessen wurde in diesem Diskurs, dass eine auf die Reduzierung der Armut ausgerichtete Entwicklungspolitik nicht notwendigerweise dazu führt, dass das Produktivitätsniveau menschlicher Arbeit kontinuierlich steigt, selbst wenn Armut und Not verringert werden.

* Universelle Ziele oder Ausnahmen für die Industrieländer?

Armutsminderung ist also nicht dasselbe wie ökonomische Transformation. Wirtschaftliche Entwicklung erfordert einen neuen globalen Deal, der wiederum den Ländern die politischen Instrumente an die Hand gibt, ihre Ökonomie umzugestalten. Genau darum geht es bei einer entwicklungsgeleiteten Globalisierung.

Nehmen wir die Frage der Aufstellung von Gesundheitszielen. In diesem Zusammenhang wird jetzt debattiert, ob Gesundheitsversorgung zu einem universellen Ziel erklärt werden soll. Zum einen ist aber für einige Industrieländer wie die Vereinigten Staaten Gesundheitsversorgung selbst kein universelles Ziel. Wie auf vielen anderen Gebieten würde also ein solches Ziel für die Entwicklungsländer gelten, während reiche Länder von einer ähnlichen Verpflichtung ausgenommen wären.

Zum anderen betrifft das Ziel der universellen Gesundheitsversorgung – selbst wenn diese als Menschenrecht betrachtet wird – nicht die aktuellen Determinanten der Gesundheitssituation. Dazu gehören die üblichen Indikatoren wie die Armut der Haushalte, aber auch der Zugang zu Medikamenten und ein effektives System der heimischen gesundheitlichen Versorgung.

Die Verfügbarkeit und die Kosten von Medikamenten, die zum überwiegenden Teil immer noch aus den Industrieländern kommen, sind für die Entwicklungsländer schon lange ein wunder Punkt. Hinzu kommt, dass viel zu viel Forschung und Arzneimittelproduktion (gemessen an der betroffenen Bevölkerung) an typischen Industrieländer-Krankheiten orientiert ist. Sollte man sich auf globale Ziele im Sinne der „richtigen“ Medikamente und ihrer Erschwinglichkeit einigen? Und für welche Parteien sollten diese als ihre Verpflichtung akzeptieren?

Der Aufbau von Kapazitäten der Arzneimittelproduktion in Entwicklungsländern wäre sicherlich transformativ im Sinne der Anhebung des Produktivitätsniveaus menschlicher Arbeit. Doch das erfordert, dass die Entwicklungsländer Zugang zu erschwinglicher Technologie bekommen. Dies wiederum macht die Lockerung monopolistischer Nutzungsrechte für Technologie erforderlich, über die derzeit die Erfinder verfügen.

* Jenseits des Goodwill der Kolonisatoren

Der Aufbau effektiver heimischer Gesundheitssysteme erfordert die Weiterentwicklung heimischer Ressourcen und Kapazitäten bei Gebäuden, Unterhaltung, Regulierung und Finanzierung des Gesundheitssektors. In der Geschichte gehörten zu diesen neuen Kapazitäten viele der wichtigsten Aspekte der ökonomischen Transformation. Andernfalls bleiben die Gesundheitssystems auf ewig abhängig vom guten Willen ausländischer Geber und privater Stiftungen.

An diesem Punkt ist es wirklich wichtig, zu einem echten entwicklungspolitischen Diskurs zurückzukehren, und die internationale Gemeinschaft sollte diese Gelegenheit ergreifen. Denn in der Tat geht die Idee, dass sich die Industrieländer lediglich um die Armut und das Wohlergehen der Bevölkerung in anderen Ländern und nicht um deren Entwicklung sorgen müssten, auf die Kolonialzeit zurück.

In den 1930er Jahren, als der im späten 19. Jahrhundert begonnene Wettlauf um Kolonien beendet war, versuchten die Kolonialmächte die externe Kontrolle damit zu rechtfertigen, dass sie eine neue Verantwortung für „Eingeborenenwohlfahrt“ vorschlugen, welche der Ökonom H. W. Arndt (1987 in „Economic Development: History of an Idea“) als „deutlich unterschieden von ökonomischem Fortschritt oder Entwicklung“ beschrieb.

Beispielsweise sah der in Großbritannien 1939 verabschiedete Colonial Development and Welfare Act Mindeststandards für Ernährung, Gesundheit und Bildung in Überseeterritorien und Treuhandgebieten vor. In derselben Analyse bezieht sich Arndt auf eine Kritik von W. Arthur Lewis an einem britischen Wirtschaftsplans für Jamaika im Zweiten Weltkrieg, der es versäumte, zischen „sozialer Wohlfahrt“ als Steigerung des Lebensstandards in der Kolonie und „wirtschaftlicher Entwicklung“ zu unterscheiden.

* Entwicklungsorientierte Globalisierung

Eine Entkolonialisierung der MDGs ist also notwendig, wenn die zu beschließenden globalen Ziele für die Zeit nach 2015 genuin entwicklungspolitischen Charakter bekommen sollen.

Im Konzept einer entwicklungsorientierten Globalisierung ist Afrika nicht einfach ein Kontinent, auf dessen extreme Armut sich die internationale Gemeinschaft konzentrieren muss, sondern eine Gruppe unterschiedlicher Länder, von denen jedes seine eigenen menschlichen und natürlichen Ressourcen hat, die für die jeweils eigene Entwicklung nutzbar gemacht werden müssen. Diese Diversität schafft enorme Spielräume für regionale Zusammenarbeit im Sinne der Überwindung der Abhängigkeit von Rohstoffexporten (deren Einnahmen stark schwanken) und der Errichtung heimischer Industrien mit produktiven Arbeitsplätzen.

Manuel Montes ist Berater für Finanzierung und Entwicklung am South Centre in Genf. Sein Beitrag erschien zuerst im „South Bulletin“.

Veröffentlicht: 5.9.2013

Empfohlene Zitierweise:
Manuel Montes, Entkolonialisierung der MDGs. Transformation statt einfach Armutsminderung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. September 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.