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Entwicklungsministerium in (neo-)liberaler Hand

Artikel-Nr.: DE20091026-Art.48-2009

Entwicklungsministerium in (neo-)liberaler Hand

Vorstufe zur Liquidierung?

Vorab im Web – Von „absurd“ über „abstrus“ bis „skurril“ reichen die ersten Reaktionen auf die Nominierung des bisherigen FDP-Generalsekretärs Dirk Niebel zum Entwicklungsminister der schwarz-gelben Koalition. Schließlich war das erklärte Ziel von dessen Partei die Abschaffung des BMZ. Die Übernahme des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und seine Liquidierung müssen sich allerdings nicht ausschließen, schreibt Rainer Falk in einer Analyse des Koalitionsvertrags.

Dass mit Niebel ein entwicklungspolitisch weitgehend unbeschriebenes Blatt an die Spitze des Ministeriums gesetzt wird, ist alles andere als ein Novum. Dies galt bereits für den ersten Entwicklungsminister Walter Scheel, ist aber auch keine Besonderheit der FDP. Auch die beiden CSU-Minister Warnke und Spranger waren vorher keine Entwicklungspolitiker. Und selbst Erhard Eppler (SPD) musste sich nach seiner Ernennung erst in die Thematik einarbeiten. So bleibt der Development Community auch heute wieder nur der Blick in den Koalitionsvertrag und die parteipolitische Programmatik, um zu erfahren, worauf sie sich einstellen muss. Diese Programmatik ist allemal wichtiger als organisatorische Planspiele. Und sie hat es in sich.

* Deutsche Werte und Interessen – Entsolidarisierung nach außen

Von deutschen Werten und Interessen soll sich die Entwicklungspolitik künftig leiten lassen. Kurz und bündig stellt der Koalitionsvertrag gleich im ersten Satz des Abschnitts „Entwicklungszusammenarbeit“ fest: „In der Verfolgung der Ziele unserer Entwicklungspolitik kommen unsere Werte und Interessen gleichermaßen zum Ausdruck.“ Die bislang unter Entwicklungspolitikern vorherrschende Armutsrhetorik wird in diesem Text zwar nicht völlig ad acta gelegt, aber doch neu akzentuiert: „Ziel der Entwicklungspolitik ist eine nachhaltige Bekämpfung von Armut und Strukturdefiziten im Sinne der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen. Die Stärkung guter Regierungsführung, der Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte in den Entwicklungsländern werden zentrale Bestimmungselemente für unsere Entwicklungspolitik sein.“

Wer meint, dies höre sich doch gar nicht so schlecht an, verkennt, dass „Eigenverantwortung“ und „Selbsthilfe“ in der (neo-)liberalen Diktion die Codewörter für die angestrebte Entsolidarisierung der Gesellschaft sind. Dies soll jetzt offensichtlich verstärkt auch im deutschen Außenverhältnis erreicht werden: Nicht die Bedürftigkeit von Zielgruppen und Empfängerländern soll im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, inwieweit diese aus liberaler Sicht ihrer „Bringschuld“ gerecht werden; wenn alle sich selbst helfen, ihrer Eigenverantwortung gerecht werden und sich „guter Regierungsführung“ befleißigen, wird schließlich für alle gesorgt sein.

In der Tat hat sich die liberale Programmatik jedenfalls in den entwicklungspolitisch relevanten Passagen des Koalitionsvertrags weitgehend durchgesetzt. Ausgemerzt wurden Leitmotive wie Primat der Armutsbekämpfung, Friedenssicherung, gerechte Gestaltung der Globalisierung und globale Strukturpolitik, die die Entwicklungspolitik unter sozialdemokratischer oder rot-grüner Führung in den letzten elf Jahren zumindest rhetorisch bestimmt haben. Zwar betont auch der neue Koalitionsvertrag „die intensive Einbindung und Stärkung aller in der Entwicklungspolitik Tätigen – insbesondere der Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen“. Aber die Zeiten, in denen von „01-2002“ der Ministeriumsspitze und der entwicklungspolitisch engagierten Zivilgesellschaft die Rede sein konnte, dürften nun vorerst der Vergangenheit angehören.

Auch mit einer Vorreiterrolle, wie sie das Ministerium unter Heidemarie Wiecoreck-Zeul beim Thema „innovative Finanzierungsinstrumente“ spielen konnte, dürfte jetzt erst einmal Schluss sein. Bereits in einem entwicklungspolitischen Grundsatzbeschluss der FDP von Ende 2007 hieß es: „Versteckte Steuer- und Abgabenerhöhungen unter dem Vorwand der Entwicklungszusammenarbeit wie etwa ‚Flugticketabgaben‘ lehnen wir Liberalen ebenso ab wie die so genannten ‚Internationalen Finanzinnovationen‘.“

* Primat der Außenwirtschaftsförderung

Lediglich im Kapitel „Faire Regeln für die Weltwirtschaft“ hat sich etwas von der an Prinzipien einer international orientierten „sozialen Marktwirtschaft“ CDU/CSU-Rhetorik erhalten. Bemerkenswert ist allerdings, dass das Kapitel lediglich aus zwei Abschnitten (Finanzmärkte und Außenwirtschaft) besteht und die von der Kanzlerin ansonsten so gerne zur Schau gestellte Vorliebe für eine Internationale Charta der nachhaltigen Entwicklung, einen Weltwirtschaftlichen Sicherheitsrat oder die Einhaltung von Sozialstandards völlig fehlt. Während der Abschnitt über Finanzmärkte nichts Neues enthält und die Unterwerfung aller „alternativen Investmentfonds“ unter ein international abgestimmtes Regelwerk und die Konzentration der deutschen Regulierungskompetenzen bei der Bundesbank propagiert, wäre der Abschnitt zur Außenwirtschaft besser mit „Außenwirtschaftsförderung“ überschrieben worden.

Gleich zu Beginn heißt es: „Zur langfristigen Wachstums- und Wohlstandssicherung in Deutschland leistet die Außenwirtschaftspolitik einen wesentlichen Beitrag. In der Handelspolitik bekämpfen wir jede Art des Protektionismus und setzen uns nachhaltig für weitere Marktöffnung ein. In der Außenwirtschaftsförderung sorgen wir verstärkt dafür, dass deutsche Unternehmen sich auch im drastisch verschärften Wettbewerb auf den Märkten gegenüber ihren Konkurrenten erfolgreich behaupten können.“

Neu ist diese Kombination von Marktöffnungspolitik gegenüber anderen und staatlicher Rückendeckung für die internationale Expansion der „eigenen“ Konzerne zwar nicht – ebenso wenig wie die Illusion, man könnte das deutsche Wohlstandsmodell dauerhaft über eine hypertrophe Exportorientierung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Binnenmärkte sichern. Aber EntwicklungspolitikerInnen sollten aufhorchen, wenn dem Abschluss der Doha-Welthandelsrunde „absoluter Vorrang“ eingeräumt wird (von der „Entwicklungsrunde“ ist da schon nicht mehr die Rede) und im Bereich der bilateralen Handelsbeziehungen auf sog. WTO-plus-Abkommen orientiert wird, in denen solche Themen untergebracht werden können, die sich (wie Investitionsschutz oder öffentliche Beschaffung) im WTO-Kontext nicht durchsetzen ließen.

Von zentraler Bedeutung für die angestrebte außenwirtschaftliche Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik dürfte jedoch folgender Passus sein, auch wenn er sich gar nicht im EZ-Kapitel befindet: „Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit müssen besser aufeinander aufbauen und optimal ineinander greifen. Entwicklungspolitische Entscheidungen müssen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, angemessen berücksichtigen. Bei Auftragsvergabe sollen die Auslandshandelskammern über die Aufträge der Entwicklungsorganisationen rechtzeitig informiert werden." Und: „Die Entscheidungsverfahren für die Garantien für Exportkredite, Investitionen und ungebundene Finanzkredite werden beschleunigt und vorrangig an der Sicherung des Standortes Deutschland und der Förderung von Wirtschaft und Beschäftigung im Inland ausgerichtet.“

Vor dem Hintergrund solcher Formulierungen wird verständlicher, was es bedeutet, wenn im EZ-Kapitel von „enger Kooperation mit der Privatwirtschaft“, „Akzentuierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ oder „möglichst marktnahen Konditionen“ die Rede ist. Letztere will Schwarz-Gelb vor allem im Umgang mit Schwellenländern praktizieren, welche künftig für die Kooperation auf „Feldern hohen gemeinsamen Interesses“ sogar Entgelte entrichten sollen. Dies soll für Bereiche wie Rechtsstaatsförderung, Umwelt- und Klimaschutz sowie Wissenschaftskooperation gelten.

* Hintertürchen für die Kürzung der Entwicklungshilfe

Im Wahlkampf hatte sich die FDP massiv und vehement gegen eine Fortsetzung der Entwicklungshilfe für Schwellenländer wie China oder Indien eingesetzt. Dafür könnte man trotz der großen Zahl armer Menschen in diesen Ländern noch ein gewisses Verständnis aufbringen, ginge dies mit einer wirklichen Schwerpunktsetzung auf die tatsächlich Bedürftigen einher. Doch bereits im Wahlkampf polemisierten FDP-Politiker wie der entwicklungspolitische Sprecher Karl Addicks gegen das „Verharren auf dem Armutsbekämpfungsparadigma anstatt die koordinierte und kohärente Entwicklung der Volkswirtschaften zu fördern“. Entwicklung war, ist und bleibe schließlich „vor allem wirtschaftliche Entwicklung“, so Addicks.

Im Koalitionsvertrag wird jetzt auch der bisherige Konsens aufgekündigt, dass es bei der Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele gleichrangig um „mehr und bessere Entwicklungshilfe“, also um die quantitative Steigerung der Finanztransfers und um die Verbesserung ihrer Wirksamkeit gehen müsse. Stattdessen tritt bei der geplanten „Neuausrichtung“ der Entwicklungspolitik jetzt die Erhöhung ihrer Wirksamkeit in den Vordergrund. Bereits seit Jahren warnt die FDP vor einer „Überbewertung der ODA-Quote“ und propagiert „Qualität vor Quantität“. Wie dies mit der erwähnten Umorientierung auf privatwirtschaftliche Kooperationsformen einhergehen soll, bleibt freilich schleierhaft.

Weniger verklausuliert dagegen ist, welche Hintertürchen man sich bei dem vagen Bekenntnis zur internationalen Verpflichtung, die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, offen hält. So fehlt hier nicht nur jeglicher Zeitplan. Dem Ziel der ODA-Aufstockung will man sich vielmehr „im Rahmen des Bundeshaushalts annähern“. Und: „Eine Erhöhung der entwicklungspolitischen Mittel muss mit einer Effizienzsteigerung des entwicklungspolitischen Instrumentariums und der Absorptionsfähigkeit in den Entwicklungsländern einhergehen. Ein wichtiges Anliegen ist für uns auch die Stärkung der Eigenfinanzierung der Entwicklungsländer“ – alles „Argumente“ für den Fall, dass das Bekenntnis zu mehr Entwicklungshilfe doch nicht eingelöst werden sollte (womit nach diesem Koalitionsvertrag unbedingt zu rechnen ist).

In einem Punkt allerdings wird genau zu verfolgen sein, wie die neue Koalition das Versprechen, Entwicklungspolitik wirksamer zu machen, in die Tat umsetzt: die Frage der institutionellen Reform der deutschen Entwicklungspolitik. Hier will die Koalition nach dem gescheiterten Ansatz in der letzten Legislaturperiode offensichtlich einen Neuanlauf wagen. Dieser „soll mit der Zusammenführung der Organisationen der Technischen Zusammenarbeit beginnen und mit Mechanismen zur besseren Verknüpfung von technischer und finanzieller Zusammenarbeit verbunden werden“. Bei der Zusammenführung der TZ, also von GTZ, DED und InWent, will man sogar schon innerhalb eines Jahres erste Ergebnisse vorweisen können.

* Zwischen Abwicklung und Instrumentalisierung

Bleibt die Frage, wie es um die Erfüllung des FDP-„Wahlversprechens“, das BMZ in das Auswärtige Amt zu integrieren, steht. Hier könnte man argumentieren, dass mit der Besetzung der beiden Häuser durch FDP-Politiker bereits der erste Schritt in dieser Richtung getan ist. Nimmt man die sich abzeichnende Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik für krude Wachstumspolitik, deutsche Außenwirtschaftsförderung und Standortsicherung hinzu – auch dann wird die Entwicklungspolitik, gemessen an ihrem bisherigen Verständnis, irgendwie abgeschafft sein, selbst wenn sie organisatorisch fortbesteht. Wenn es nicht mehr um eine gerechte Gestaltung der Globalisierung oder den Beitrag zu einer globalen Strukturpolitik geht, weil Freiheit und Märkte sowieso alles am besten richten, wird auch die Frage zweitrangig werden, ob wir es in Zukunft mit einem eigenständigen Entwicklungsministerium oder einer Abteilung des Auswärtigen Amtes zu tun haben werden.

Veröffentlicht: 26.10.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Entwicklungsministerium in (neo-)liberaler Hand, in Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 11/2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)