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EU-Entwicklungspolitik im Räderwerk des EAD?

Artikel-Nr.: DE20101027-Art.58-2010

EU-Entwicklungspolitik im Räderwerk des EAD?

Der Hohen Repräsentantin zu Diensten

Vorab im Web – Am 20. Oktober hat das Europaparlament grünes Licht für die Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) gegeben. Dem voraus ging ein Tauziehen um die geografische Balance der Führungsposten, das Mitspracherecht des EPs bei der Ernennung der BotschafterInnen und die Rolle der Entwicklungspolitik. Die große Frage ist nach wie vor, ob die Entwicklungspolitik der Dominanz außenpolitischer Interessen im EAD standhalten kann, schreiben Ska Keller und Anna Cavazzini.

Die Einrichtung des EAD (englisch: European External Action Service – EEAS) wurde mit dem Vertrag von Lissabon beschlossen. Die Hohe Repräsentantin, Catherine Ashton (die nicht Außenministerin genannt werden darf), bekommt mit dem Dienst einen eigenes diplomatisches Korps, das die EU endlich mit einer Stimme sprechen lassen soll und das ein genuines Gebilde aus Kommissions- und Ratspersonal sowie DiplomatInnen aus den Mitgliedsstaaten ist. Mit dem Dienst, der am 1. Dezember (dem ersten Jahrestag des Lissabon-Vertrags) seine Arbeit aufnehmen wird, soll außerdem die Kohärenz der verschiedenen außenpolitischen Bereiche der EU – der Außen-, Erweiterungs- und Entwicklungspolitik – erhöht werden.

* Raum für Verbesserungen

In der Tat sind die Instrumente bis dato oft wenig aufeinander abgestimmt und in sich sehr fragmentiert. In der EU-Entwicklungspolitik lebt die historisch bedingte Trennung in die Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums (AKP) einerseits und den Rest der Entwicklungswelt andererseits fort. Die Generaldirektion Entwicklung der EU-Kommission ist für die AKP-Staaten zuständig. Das dazu gehörige Finanzinstrument – der Europäische Entwicklungsfonds (EEF) – speist sich direkt aus den Beiträgen der Mitgliedsstaaten und ist der Kontrolle des Parlaments entzogen. Die Generaldirektion Außenpolitik ist mit dem Rest der Länder betraut.

Die entwicklungspolitischen Maßnahmen schweben oftmals in einem Vakuum und werden teilweise sogar von Maßnahmen in anderen Bereichen konterkariert, man nehme als plakatives Beispiel nur die Agrarexportsubventionen. Es ist also definitiv Raum für Verbesserung vorhanden, allein schon, um dem Kohärenzgebot des Lissabon-Vertrags Rechnung zu tragen. Dieser fordert, dass alle Politiken, die sich auf Entwicklungsländer auswirken, auf die Bekämpfung der Armut ausgerichtet werden sollen.

Die Frage, in welchem institutionellen Gefüge Entwicklungspolitik besser und effektiver gestaltet werden kann, ist schon alt. Viele EU-Mitgliedsstaaten haben kein eigenes entwicklungspolitisches Ministerium, und auch in Deutschland werden immer wieder Stimmen laut, die eine Eingliederung der Entwicklungspolitik in das Auswärtige Amt fordern. Die Gegenreaktionen in dieser Debatte sind laut und heftig, und auch der Entwicklungsausschuss im Europaparlament hat sich im Zuge der Debatte um den EAD in dieser Frage positioniert: Entwicklungspolitik darf nicht außenpolitischen Interessen untergeordnet werden. Sie muss eigenständig bleiben und darf sich nicht instrumentalisieren lassen. DiplomatInnen haben zudem ein ganz anderes „mind-set“ als entwicklungspolitisch geschultes Personal. Sie sind per definitionem von nationalen Interessen geleitet, die EntwicklungsexpertInnen hingegen weniger.

* Instrumentalisierung und Renationalisierung der EZ?

In diesem Sinne war der erste Vorschlag zur Einrichtung des EAD, den Ashton im Frühling dieses Jahres vorgelegt hat, aus entwicklungspolitischer Perspektive katastrophal. Der gesamte Projektzyklus – von der Länderstrategie bis zur konkreten Projektplanung – sollte in die Hände des EAD gelegt werden. Das hätte faktisch eine Renationalisierung der Entwicklungszusammenarbeit bedeutet. Ist nämlich die Entwicklungspolitik heute supranational organisiert, wollten sich die Mitgliedsstaaten über den EAD einen Zugriff auf die Gelder sichern und ihren Einfluss erhöhen.

Die drohende Katastrophe konnte nicht zuletzt wegen der massiven Proteste des Entwicklungsausschusses abgewehrt und der Entwicklungskommissar im letzten Entwurf sogar noch gestärkt werden. Er hat jetzt das letzte Wort über die strategische Planung und die Programmierung. Ein weiteres positives Ergebnis ist die Aufhebung der künstlichen Trennung von AKP-Staaten und dem Rest der Welt in zwei verschiedene Generaldirektionen.

Allerdings gibt es keinen Anlass zum Jubeln. Entwicklungskommissar Andris Piebalgs sitzt jetzt mit nur noch einem Drittel seines Personals in der Generaldirektion Entwicklung – und zwar lediglich mit den MitarbeiterInnen, die für die Implementierung zuständig sind. In Brüssel munkelt man, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis dieser Restposten mit der Implementierungsbehörde Aidco zusammengelegt wird.

* Politikkohärenz als Primat der Außenpolitik?

Die Zusammenlegung an sich ist nicht verwerflich. Problematisch an der Sache ist jedoch, dass Piebalgs ohne politisch-strategisches Personal dasteht. Der EAD wird also erstens die gesamte Strategie- und Projektplanung übernehmen. Es ist schwer vorzustellen, wie in diesem Kontext noch politische Initiativen von Piebalgs kommen sollen. Noch hält die DG Entwicklung in vielen Diskussionen innerhalb der Kommission die entwicklungspolitische Fahne hoch – durch diesen Aderlass ist eine weitere Schwächung dieser Position im Vergleich zu den oftmals milliardenschweren Lobbyinitiativen der großen Business-Player zu erwarten.

Zweitens legten Ashton und ihre engsten MitarbeiterInnen in Gesprächen ein erstaunliches Verständnis von Politikkohärenz an den Tag. Statt wie im Vertrag von Lissabon gefordert, die Politiken kohärent im Interesse der Entwicklung zu gestalten, soll nach dem Willen Ashtons das Primat der Außenpolitik gelten. Auf Initiative des Parlaments wurde die Entwicklungspolitik als Ziel verankert, allerdings nur in den (unverbindlichen) Erwägungen und nicht - wie wir gefordert hatten - im eigentlichen Text.

* Offene Fragen

Die große Frage ist momentan außerdem, welchem Ausschuss gegenüber die Hohe Repräsentantin rechenschaftspflichtig ist. Bisher weigert sie sich, auch den Entwicklungsausschuss als dafür zuständiges Gremium anzuerkennen.

Interessant ist auch die Frage, warum nicht auch die Handelspolitik in den Auswärtigen Dienst integriert wurde. Schließlich gehört auch sie zum Bereich der EU-Außenbeziehungen. Wenn im Namen der Kohärenz die Entwicklungspolitik mit dem Außenbereich zusammenschmelzen musste, hätte man mit der gleichen Argumentation auch die Handelspolitik einbeziehen müssen.

Alles in allem bleibt abzuwarten, wie die genaue Ausgestaltung des neuen Dienstes tatsächlich aussehen wird. Vieles ist hier momentan noch „work in progress“.

Ska Keller ist Mitglied im Europäischen Parlaments (Bündnis 90/Die Grünen) und dessen Entwicklungsausschusses. Anna Cavazzini ist ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin. – Ska Keller war Berichterstatterin für den Bericht „Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung“ (>>> hier).

Veröffentlicht: 27.10.2010

Empfohlene Zitierweise: Ska Keller/Anna Cavazzini, EU-Entwicklungspolitik im Räderwerk des EAD?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 27. Oktober 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).