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Euro(pa)-Politik 2014: Kein Grund zur Langeweile

Artikel-Nr.: DE20140102-Art.01-2014

Euro(pa)-Politik 2014: Kein Grund zur Langeweile

Reflexion zum Jahreswechsel 2013/14

Vorab im Web – Ich hatte recht. Wie in meiner Euro(pa)-Jahreswechselreflexion von 2012/13 vorhergesagt (W&E 01/2013), hat Angela Merkel es geschafft, ihre CDU bei der Bundestagswahl zur stärksten Partei zu machen und Bundeskanzlerin zu bleiben. Dies hat sie u.a. ihrer Politik des ‘Durchwurstelns’ (muddling through) in der Europapolitik zu verdanken, welche, wie vorhergesagt, von der Opposition nicht angegriffen und thematisiert wurde. Ein Jahresausblick von Oliver Schmidt.

In der Tat wurde das Thema im Bundestagswahlkampf in einem unerfreulich unerwarteten, aber letztlich nicht überraschenden Masse unter den Tisch gekehrt (???042ae6a245096bd11???). Und somit ist vielleicht auch diese Jahreswechselreflexion, wie ebenfalls vorhergesagt, ausgesprochen langweilig.

● Stabilisierung der Euro-Zone?

Mit Blick auf den Euro, dem seit Januar 2014 Lettland als 18. Mitgliedsland angehört, ist das ja durchaus angenehm. Man mag der Politik von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble (mehr oder weniger widerwillig) Anerkennung zollen, oder man mag es einfach für unverdientes Glück halten, dass Nicht-Politisierung auch noch belohnt wird. In jedem Fall wirkt die Euro-Zone so stabil wie seit 2008 nicht mehr. Die Banken-Union kommt, die EZB unter Führung von Mario Draghi hat sich alles in allem bewährt; die deutsche Inflationspsychose hat sich als ebensolche erwiesen, Inflationsgefahren sind derzeit weder in Europa noch weltweit auszumachen (vielleicht mit Ausnahme Indiens).

Wachstum wird erwartet; die OECD prognostiziert positives Wachstum zwischen 0,4% (Portugal) und 1,9% (Irland) in 2014 in den Staaten unter dem ‘Rettungsschirm’ (Europäischer Stabilitätsmechanismus – ESM). Auch für Frankreich und Italien wird positives Wachstum erwartet. Diese zwei Länder gelten generell als größte Risiken der Euro-Zone, weil sie zu groß sind, um im Falle einer Zahlungsbilanzkrise durch den ESM gestützt zu werden. Beide sind seit Jahren durch geringes Wachstum, auf hohem Niveau stagnierendes Haushaltsdefizit, hohe Arbeitslosigkeit, vor allem von Jugendlichen, und im Falle Italiens (seit 2008) schrumpfendes verfügbares Haushaltseinkommen geprägt.

Die positive Wachstumsprognose ist teilweise der Weltwirtschaftslage zu verdanken, das heißt natürlich auch, dass Wachstumseinbrüche in wichtigen Weltwirtschaftszentren eine negative Rückwirkung auf die Euro-Zone haben könnten. Zu denken ist etwa an die Entwicklungen im arabischen Raum und der Türkei, wo politische Krisen in negative Wirtschaftsentwicklung umschlagen könnten.

● Tiefe soziale Wunden

Zugleich sind in den ‘Rettungsschirm-Ländern’ (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern), ebenso wie in Frankreich und Italien, die langfristigen Zinsen 2013 deutlich gesunken, die Differenz zu den extrem niedrigen Zinsen in Deutschland hat sich zwischen etwa einem Viertel und der Hälfte reduziert. Niedrigere Zinsen unterstützen positive Wachstumsaussichten, und zusammen senken sie den Druck der Staatsverschuldung (wenn das Wachstum zu steigenden Steuereinnahmen und sinkenden Sozialausgaben führt).

Schon kündigt Griechenlands Ministerpräsident an, ab 2014 die Regierungsschulden wieder über die Finanzmärkte zu finanzieren. Das sind dieselben Finanzmärkte, welche die Misere im Wesentlichen zu verantworten haben; aber das gilt trotzdem allenthalben als gute Nachricht (bezweifelt wird nur, ob Griechenlands Regierung ‘es schafft’).

Bewahrheitet hat sich leider auch die Vorhersage, dass der ‘Austeritätskurs’ (oder sollte man diese Politik nun als ‘Strategie’ adeln?) schwere soziale Wunden geschlagen hat. Wie die Graphik zeigt, ist, ebenso wie in Italien, in den Rettungsschirm-Ländern das durchschnittliche verfügbare Haushaltseinkommen seit Jahren gesunken – ein Indikator für steigende Armut und soziale Spaltung. In der gleichen Zeit ist das durchschnittliche Haushaltseinkommen in Deutschland gestiegen. Soziale Spaltung geht also quer durch Europa; und die sog. Geber-Länder gehen reicher aus der Euro-Schuldenkrise hervor als die sog. Empfängerländer. Dieser Trend wird durch die Ballungswirkungen der europäischen Marktintegration verstärkt: dieser Zentrum-Peripherie-Effekt nutzt wiederum Deutschland und den Benelux-Staaten.

Wirtschaftliche Entwicklung in Euro-Ländern


Es gibt also keinen Grund zur Langeweile; vielmehr stehen die wichtigsten Herausforderungen jetzt erst an: einerseits Schaffung eines auf Ausgleich gerichteten europäischen Sozialmodells, welches nicht ohne interregionale Transfers zu haben sein wird; andererseits eine Strategie, um von einem wachstumssüchtigen auf ein nachhaltiges Wirtschafts- und Finanzsystem umzusteuern, wozu die Bankenunion noch keinerlei überzeugende Ansätze bietet.

Also gibt es auch keine Rechtfertigung, dass die deutsche Politik das Euro(pa)thema weiter als technokratische Hinterzimmerveranstaltung behandelt. Es wäre hohe Zeit, eine breite politische Diskussion zu führen – auch und gerade im Angesicht der Schwierigkeit, weite WählerInnen-Kreise zu der Einsicht zu führen, dass Deutschland gerade in diesen Krisenjahren von Euro, EU und der Art, wie die Schuldenkrise im Euroraum gehandhabt wurde und wird, unverhältnismäßig profitiert hat.

● Europawahl: Chance und Herausforderung

Freilich ist vorhersehbar, dass das nicht passieren wird. Zwar steht im Mai 2014 die 8. Direktwahl des Europäischen Parlaments an. Diese wird erfahrungsgemäß von vielen WählerInnen zur Protestwahl genutzt (d.h. von den WählerInnen, die überhaupt wählen gehen); und so werden die Anti-Europaparteien – oftmals zugleich Pro-Rassismus-Parteien – überall stark abschneiden. Allerdings gibt es eine Neuerung (basierend auf dem seit 2009 geltenden Vertrag von Lissabon), wonach die großen Parteienfamilien (Christ-, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale, Linke) mit ihrem/r jeweiligen KandidatIn für das Amt des Kommissionspräsidenten in die Wahl ziehen. Möglicherweise wirkt diese Personalisierung dem Protestwahlverhalten entgegen.

Zu erwarten ist, dass eine mehr- oder minder hochprozentige AfD ein paar Schockwellen durch die deutsche Politik senden wird. Aber nur kleine. Dann werden neuen Koalitionspartner schnell zur Tagesordnung übergehen, der sie schon die ganzen Jahre über folgen – das Thema verschweigen und verwursteln.

Aber vielleicht gibt es wenigstens die Chance, im neuen Bundestag eine Enquete-Kommission einzusetzen, zur Zukunft der europäischen Einigung, insbesondere der europäischen Währung? Wenn progressive Medien und der problembewusste Teil der Abgeordneten sich zu diesem Ziel zusammentäten, gäbe es in Deutschland wenigstens endlich ein politisches Forum, welches diese wichtigen Fragen öffentlich beleuchten und abwägen würde.

Dr. Oliver Schmidt ist Acting Dean der School of Business and Management Studies an der Mountain of the Moon University in Uganda.

Veröffentlicht: 2.1.2014

Empfohlene Zitierweise:
Oliver Schmidt, Euro(pa)-Politik 2014: Kein Grund zur Langeweile, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 2. Januar 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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