Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Finanzkrise, 3. Akt: Und jetzt die Schwellenländer

Artikel-Nr.: DE20140205-Art.04-2014

Finanzkrise, 3. Akt: Und jetzt die Schwellenländer

Die Sicht des Südens

Vorab im Web – Wer hätte das vor einer guten Woche gedacht, als das Weltwirtschaftsforum in Davos mit Botschaften des “vorsichtigen Optimismus” zu Ende ging? Nach der Subprime-Krise in den USA und der Eurokrise sind wir jetzt mitten in der dritten Phase der globalen Finanzkrise. Diesmal sind es Schwellenländer, die den Absturz ihrer Währungen und die Umkehr der Kapitalflüsse erleben. Ursachen und Verlauf der neuen Etappe der Krise analysiert Martin Khor.

Mehrere Entwicklungsländer sind jetzt von eine neuen wirtschaftlichen Krise erfasst worden; ihre Währungen und Aktienmärkte sind einem starken Verfall ausgesetzt, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Der „Ausverkauf“ in den aufstrebenden Ökonomien hat auch Rückwirkungen auf die US-amerikanischen und europäischen Aktienmärkte und verursacht so globale Erschütterungen.

● Reaktion auf das „Tapering“

Zu den Ländern, deren Währungen in den letzten beiden Wochen betroffen waren, gehören Argentinien, die Türkei, Russland, Brasilien und Chile. Die Anhebung der Zinssätze durch die Türkei und Südafrika verfehlte bislang ihr Ziel, die Abwertung der Währungen zu stoppen.

Ein US-amerikanischer Analyst stufte diese Entwicklungen als eine „Grippe der aufstrebenden Märkte“ ein, und viele internationale Medien verwiesen vor allem auf die Schwächen in einzelnen Entwicklungsländern. Doch der breite Ausverkauf ist eine allgemeine Antwort auf das Zurückfahren („Tapering“) des Bond-Aufkaufprogramms der US-Zentralbank FED, das beginnende Ende ihrer lockeren Geldpolitik markiert, im Laufe derer hunderte von Milliarden Dollar in das Bankensystem gepumpt worden waren.

Am 29. Januar 2014 reduzierte die FED ihre monatlichen Anleihe-Aufkäufe um weitere 10 Mrd. Dollar auf 65 Mrd. Dollar pro Monat, nachdem sie diese schon im Dezember um 10 Mrd. verringert hatte. Das war ein neuer Schub der Schwächung für die Schwellenländer-Währungen.

Ein großer Teil der Geldschwemme der FED war zuvor von US-Investoren genutzt und auf der Suche nach höheren Erträgen in Emerging Economies platziert worden. Mit dem „Tapering“ geht die Erwartung höherer Erträge in den USA einher, Geld fließt aus den Anleihe- und Aktienmärkten der Schwellenländer ab und setzt ihre Währungen unter Druck. Die Richtung der Kapitalflüsse kehrt sich um.

Der derzeitige „Ausverkauf der Schwellenländer“ kann somit nicht durch Ad-hoc-Ereignisse vor Ort erklärt werden. Er ist vielmehr ein vorhersehbarer, ja sogar unvermeidlicher Teil eine Boom-and-Bust-Zyklus der Kapitalflüsse in die und aus den Entwicklungsländern, der aus den Geldpolitiken der Industrieländer und dem Verhalten ihrer Investmentfonds resultiert.

● Umkehr der Kapitalflüsse

Dieser Zyklus, der für die Entwicklungsländer sehr destabilisierend ist, wurde erleichtert durch die Deregulierung der Finanzmärkte und die Liberalisierung der Kapitalflüsse, die in der Vergangenheit einmal einer sorgfältigen Regulierung unterworfen waren. Dies löste massive und wachsende Wellen spekulativer Kapitalbewegungen von westlichen Investmentfonds auf der Suche nach höheren Gewinnen aus. Dabei lockten die Schwellenländer mit ihren höheren Wachstumsraten und Zinssätzen die Investoren an.

Yilmaz Akyüz, der Chefökonom des South Centres, hat die jüngsten Boom-and-Bust-Zyklen in seinem Paper „Waving or Drowning?“ (etwa: Wellenreiten oder ertrinken?; s. Hinweis) analysiert. Danach begann der Boom der privaten Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer Anfang der 2000er Jahre, doch kam mit der Flucht in sichere Häfen, ausgelöst durch den Lehman-Zusammenbruch im September 2008, zu einem Ende. Doch die Kapitalflüsse erholten sich schnell. Bis 2010-12 übertrafen die Nettoflüsse nach Asien und Lateinamerika erneut die Spitzenwerte von vor der Finanzkrise.

Diese Erholung war im Wesentlichen durch die lockere Geldpolitik und die Niedrigzinsen in den USA und Europa verursacht worden. In den USA pumpte die FED 85 Mrd. Dollar pro Monat in das Bankensystem, indem sie Anleihen aufkaufte. Die Hoffnung war, dass die Banken dieses Geld der Wirtschaft leihen würden, um die Erholung zu fördern, doch faktisch platzierten die Investoren einen großen Teil dieser Finanzmittel auf den westlichen Aktienmärkten und auf den Bond- und Aktienmärkten von Entwicklungsländern.

Die Woge der Kapitalzuflüsse führte zu einer starken Erholung der Währungs-, Aktien- und Bondmärkte wichtiger Entwicklungsländer. Einige dieser Länder begrüßten den neuen Kapitalzufluss und den Boom der Anlagenpreise. Doch andere waren besorgt, dass die Zuflüsse zur Aufwertung ihrer Währungen führen (und somit ihre Exporte weniger konkurrenzfähig würden) und das die ultraleichte Geldpolitik der Industrieländer Teil eines „Währungskriegs“ wären, um letztere konkurrenzfähiger zu machen.

● Zur Unzeit für den Süden

Im Laufe des Jahres 2013 schwächten sich die Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer dank der Eurokrise und der Erwartung des US-Taperings ab. Diese Abschwächung kam zur Unzeit – just als sich in vielen Schwellenländern die Leistungsbilanzdefizite vergrößerten. Damit wuchs ihr ausländischer Kapitalbedarf genau in dem Moment, als die Zuflüsse weniger und instabil wurden.

Im Mai/Juni 2013 erlebten wie eine Vorschau auf den derzeitigen Ausverkauf, nachdem die FED erstmals ankündigte, sie würde bald mit dem Tapering beginnen. Dies wiederum führte u.a. in Indien und Indonesien zu einem starken Verfall der Währung. Gleichwohl verschob die FED ihr Tapering und verschaffte den Ländern so eine gewisse Atempause. Doch im Dezember machte sie dann erst und begann mit einer ersten Verringerung ihrer monatlichen Anleihekäufe von 85 auf 75 Mrd. Dollar.

Dies führte nicht sofort zu einem Ausverkauf in Schwellenländern, da die Märkte dies bereits antizipiert hatten und die FED gleichzeitig ankündigte, die Zinssätze würden bis Ende 2015 auf dem gegenwärtigen niedrigen Niveau bleiben. Doch hatte sich die Investitionsneigung bis dahin bereits gegen die Emerging Economies gewendet. Viele von ihnen wurden jetzt als „fragil“ eingestuft, vor allem die mit Leistungsbilanzdefiziten und starker Abhängigkeit von externen Kapitalzuflüssen. In der Tat sind mehrere der sog. fragilen Länder Mitglieder der BRICS, die noch kurz zuvor als Haupttriebkräfte des globalen Wachstums angesehen wurden.

● Krisenauslöser

In dieser Atmosphäre um sich greifender Besorgnisse bedurfte es lediglich eines „Auslösers“, um einen simultanen Ausverkauf von Währungen und Märkten anzustoßen. Mehrere Faktoren wirkten zusammengenommen als ein solcher Auslöser: ein Bericht über den Rückgang der Industrieproduktion in China, der plötzliche Absturz des argentinischen Pesos und die Erwartung weiterer Tapering-Schritte durch die FED.

Erst gerieten die Währungen und Aktienmärkte mehrerer Entwicklungsländer für zwei Tage (23. und 24. Januar) in Unruhe, die auch auf die Aktienmärkte der USA und Europas übergriff. Dann setzte sich die Unruhe auch in der folgenden Woche fort und schien die Verdrossenheit der Investoren mit den Schwellenländern zu bestätigen – die Kapitalflüsse kehrten sich um.

Die Abwertung der Währungen und die wachsenden Abflüsse könnten zur Belastung für die Währungsreserven der betroffenen Länder führen und ihre Zahlungsbilanzen schwächen. Die Währungsabwertung könnte auch positive Effekte für die Konkurrenzfähigkeit ihrer Exporte haben, aber zugleich negative Konsequenzen, wie eine sich beschleunigende Inflation (da die Importpreise steigen) und eine Verteuerung des Schuldendienstes (da mehr an lokaler Währung notwendig wird, um dieselbe Summe von in ausländischer Währung denominierten Schulden zurückzuzahlen.

● Kapitalverkehrskontrollen nach malaysischem Vorbild?

Ein Land, das sich mit einer fallenden Währung und mit Kapitalflucht, die die ausländischen Währungsreserven auf ein gefährlich niedriges Niveau drückt, konfrontiert sieht, kann die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen. Wenn zu viel heißes Geld in ein Land fließt, wird im Allgemeinen eine Kontrolle des zufließenden Kapitals praktiziert. Doch in der gegenwärtigen Situation, in der die Länder exzessive Abflüsse erleben, wären Kontrollen oder Restriktionen des Kapitalabflusses erforderlich. Diese werden weniger oft eingesetzt.

Malaysia bietet ein gutes Beispiel für selektive Kapitalkontrollen der Abflüsse, wie sie in der Krise 1997/98 erfolgreich angewandt wurden. Ein Papier des IWF vom Januar 2014 zitiert diesen Fall: “In der Folge der Verschärfung von Restriktionen im September 1998 kam die Kapitalflucht zum Stillstand, gestattete den Anstieg der Reserven auf das Vor-Krisen-Niveau, die Stabilisierung der Inflationsrate und die Senkung der Zinssätze“, heißt es dort (s. Hinweis).

Die malaysische Politik sollte von Ländern studiert werden, die heute vor einer ähnlichen Situation stehen. Denn Zinssteigerungen könnten nicht ausreichen und sogar eine Rezession provozieren. Die Kapitalverkehrsrestriktionen müssen aber sorgfältig und selektiv administriert und von einer angemessenen Politik begleitet werden, und das Land muss bereit sein, für eine gewisse Zeit ein negatives Medienecho und negative Reaktionen der Märkte in Kauf zu nehmen.

Hinweise:
* IMF: Effectiveness of Capital Outflow Restrictions, January 2014. Bezug: über www.imf.org
* Yilmaz Akyüz: Waving or Drowning. Developing Countries after the Financial Crisis, South Centre Research Paper 48, 64 pp, Geneva, June 2013. Bezug: über www.southcentre.org

Veröffentlicht: 5.2.2014

Empfohlene Zitierweise:
Martin Khor, Finanzkrise, 3. Akt: Und jetzt die Schwellenländer, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Februar 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.