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Finanzmarktreformen: No, they can't!

Artikel-Nr.: DE20121205-Art.62-2012

Finanzmarktreformen: No, they can't!

Zu inkonsequent, zu zögerlich, zu wirkungslos

Vorab im Web – Groß war die Hoffnung auf grundlegende Veränderungen des Finanzsystems nach dem Lehman-Crash. Vier Jahre danach ist die Bilanz sehr ernüchternd: Zu inkonsequent, zu zögerlich, zu wirkungslos sind die Reformen. Jetzt liegen mit dem Liikanen-Report zur Trennung von Investment- und Geschäftsbanking und dem Bericht des Financial Stability Board (FSB) zu Schattenbanken zwei neue Vorschläge auf dem Tisch. Ob sie eine neue Dynamik in den Reformprozess bringen, analysiert Peter Wahl.

„Nach dieser Krise – so viel ist klar – wird die Welt nicht mehr dieselbe sein wie vorher“, so Peer Steinbrück 2008, seinerzeit Finanzminister, nach der Lehman-Pleite. Auch die G20, der IWF und viele andere verkündeten damals, das globale Finanzsystem gründlich reformieren zu wollen. Vier Jahre danach herrscht Ernüchterung.

* Gute Analyse – schlappe Empfehlungen

Nicht dass überhaupt nichts geschehen wäre. In den USA wurde ein über 800 Seiten starkes Rahmengesetzwerk verabschiedet, und auch die Liste der EU-Verordnungen und Richtlinien - AIFM, EMIR, MIFID, ESMA, CRD IV, MAD, MIFIR e tutti quanti – ist inzwischen so lang, dass es selbst Insidern schwer fällt, den Über- und Durchblick zu behalten. Auch greifen die Projekte durchaus wichtige Probleme des Finanzkapitalismus auf. Aber in den USA wird ein Teil der Reform von der republikanischen Mehrheit blockiert, und für die EU-Reformen gilt: zu inkonsequent, zu zögerlich, zu wirkungslos. Das Resultat: Stückwerk, wie bei der Regulierung der Rating-Agenturen, Murks, wie bei der Aufsicht, wo jetzt der dritte Anlauf gestartet wird, und Durchwursteln bei allem anderen. Das Glas ist nicht halbvoll, sondern dreiviertel leer.

Im Auftrag der EU-Kommission hat eine Kommission unter Vorsitz des finnischen Zentralbankchefs Liikanen jetzt einen Report vorgelegt, der sich endlich des Problems des „too big to fail“ annimmt. Der Report macht eine recht kritische Analyse der Krise. Die Empfehlungen sind dann aber sehr enttäuschend. Die Kernpunkte des Vorschlags:
* Auslagerung von riskanten Bankgeschäften in eine rechtlich separate Einheit,
* Schaffung eines europäischen Insolvenzverfahrens, das die geregelte Abwicklung einer bankrotten Bank ohne Steuergelder ermöglicht.

Auf den ersten Blick ähnelt der Auslagerungsgedanke der sog. Volcker Rule, d.h. der von den USA anvisierten Trennung von Investment- und Geschäftsbanking. Allerdings hält Liikanen am Prinzip der Universalbank fest. Auch werden riskante Geschäfte, wie Eigenhandel, erst ab einer bestimmten Größenordnung ausgelagert. Das Kasino soll nicht geschlossen, sondern nur in Räume mit etwas besserem Brandschutz verlegt werden. Obwohl auch die Volcker Rule schon verwässert wurde, fällt Liikanens vorauseilender Kompromiss noch dahinter zurück.

Ein geregeltes Insolvenzverfahren ist natürlich vernünftig, ebenso wie die Idee eines von den Banken gespeisten Rettungsfonds. Da sich Liikanen aber nicht traut, die am nächsten liegenden Konsequenz aus seiner Analyse zu ziehen, nämlich Banken, die zu groß und zu komplex sind, zu verkleinern und einfacher zu machen, kann sein Plan nicht funktionieren. Allein die kleinste der 15 größten Banken der EU ist 600 Mrd. Euro schwer, der Durchschnitt liegt sogar bei 1,3 Billionen! Kein Rettungsfonds, der solchen Dimensionen gewachsen ist, kann in einem vernünftigen Zeitraum aufgebaut werden. Ohne eine Verkleinerung der Großbanken wird sich an der „too big to fail“-Problematik nichts substantiell ändern. Aber so wie die Kräfteverhältnisse aussehen, wird Liikanen selbst sein moderates Konzept nur mit vielen Abstrichen durchsetzen können.

* Doch die im Dunkeln sieht man nicht

Spät, aber immerhin, ist jetzt auch das Thema Schattenbanken vom FSB auf die Agenda gesetzt worden. Schattenbanken definiert das FSB als Einrichtungen, die de facto Kredit- oder kreditähnliche Geschäfte machen, dabei aber keiner oder geringer Regulierung und Aufsicht unterliegen. Nicht erfasst sind in dieser Definition Akteure und Geschäftsmodelle, die ebenfalls unreguliert und riskant, aber nicht direkt mit Kreditpraktiken verbunden sind.

Das FSB schätzt die Größe des Sektors, für den es kaum Statistiken gibt, auf 67 Billionen US-Dollar. Das sind 111% des globalen BIP und etwa die Hälfte des Volumens des formellen Bankensektors. Auch nach dem Crash wuchs der Sektor stark.

Die Empfehlungen des FSB haben den Status eines politischen Rahmens, der dann in den jeweiligen Ländern ausgestaltet werden muss. Insofern besteht viel Spielraum dabei, wie weit und strikt man vorgehen will. Die EU hat angekündigt, auf der Grundlage des FSB-Reports eine europäische Regulierung zu entwickeln.

Wie beim Liikanen-Report auch, sind die Vorschläge des FSB eher moderat. So geht es nicht darum, die Schattenbanken ans Licht zu holen und der Regulierung zu unterwerfen, sondern zunächst Transparenz zu schaffen, Daten zu sammeln, den Sektor zu beobachten. Weitergehende Regulierung wird nur für die Verbindungen des formellen Sektors mit den Schattenbanken empfohlen, so z.B. durch verschärfte Eigenkapitalanforderungen an die Banken. Das ist das Prinzip Kondom. Der Verkehr mit den Schattenbanken selbst soll nicht unterbunden, die Banken aber vor Ansteckung geschützt werden. Die Frage, wer eigentlich Schattenbanken braucht und wozu wird jedoch gar nicht erst gestellt. Allerdings sieht der FSB-Vorschlag sich als Anstoß eines Prozesses, der weitergehende Maßnahmen nicht ausschließt.

Angesichts der selbstauferlegten Bescheidenheit des FSB und der Heterogenität der Interessenlagen in der G20 und in Europa – so konzentriert sich der Sektor dort auf Großbritannien und die Schweiz, während er im Rest nur eine geringe Rolle spielt – sind keine Sensationen zu erwarten. Im Gegenteil, die Abneigung der Londoner City und ihrer Regierung gegen striktere Regulierung, zumal wenn sie aus Brüssel kommt, wird eine der Gefährlichkeit des Problems adäquate Regulierung verhindern. Insofern wird auch der FSB-Report zu keiner Trendwende in einer Reformpolitik führen, für die die antike Metapher vom Berg, der eine Maus gebar, verblüffend zutrifft.

* Zerklüftete Mehrebenen-Governance

Warum aber ist die Reformpolitik so schwach? Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde das Finanzkapital doch auch mit aus heutiger Sicht geradezu atemberaubender Radikalität von den Roosevelts und Keynes an die Kandare genommen. Neben offensichtlichen Faktoren, wie z.B. der Macht des großen Geldes und seiner Verfilzung mit dem politischen System – in der Euro-Krise erleben wir täglich die Abhängigkeit der öffentlichen Finanzen von den Finanzmärkten – oder einer neoliberal verbohrten Wirtschaftswissenschaft, tritt jetzt das Grunddilemma der Globalisierung zutage: Der Transnationalisierung der Märkte und den neuen Spielräumen für das Kapital steht eine heterogene, zerklüftete, von Widersprüchen durchzogene Mehrebenen-Governance gegenüber, deren Steuerungs- und Problemlösungsfähigkeit der neuen Komplexität nicht gewachsen ist.

In der EU potenziert sich das. Dieser eigentümliche Hybrid aus Nationalstaaten und Ansätzen supranationaler Staatlichkeit ist strukturell unfähig, eine Krise dieses Ausmaßes zu bewältigen. Zumal der Nationalstaat noch immer das Gravitationszentrum ist, um das kollektive Identitäten und partikulare Interessen kreisen.

Das Phänomen gibt es auch auf anderen Politikfeldern, der Klimapolitik etwa. Auch hier die strukturelle Unfähigkeit zur Problemlösung. Muddling through wird zum vorherrschenden Modus operandi der Politik. Aber wie lange kann das gut gehen?

Hinweise:
* High-level Expert Group on reforming the structure of the EU banking sector. Chaired by Erkki Liikanen, Final Report, 153 pp, Brussels, 2 October 2012. Bezug: über http://ec.europa.eu/
* Financial Stability Board, Initial Integrated Set of Recommendations to Strengthen Oversight and Regulation of Shadow Banking, Overview of recommendations and Global Monitoring Report, Basel, 18 November 2012. Bezug: über http://www.financialstabilityboard.org/
Veröffentlicht: 5.12.2012

Empfohlene Zitierweise:
Peter Wahl, Finanzmarktreformen: No, they can't, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Dezember 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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