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Globale Finanzen - Ein Verlustmodell für den Süden

Artikel-Nr.: DE20170402-Art.08-2017

Globale Finanzen - Ein Verlustmodell für den Süden

World Economic Situation and Prospects 2017

Vorab im Web - Die jüngsten irritierenden Trends im internationalen Finanzgeschehen haben besonders problematische Implikationen für die Entwicklungsländer. Der neue UN-Bericht World Economic Situation and Prospects 2017 (WESP 2017) ist der einzige neuere Bericht einer multilateralen Organisation, der diese Probleme anerkennt, besonders mit Blick auf die Finanzierungserfordernisse der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), schreiben Anis Chowshury und Jomo Kwame Sundaram.

Die Entwicklungsländer habe eine lange Erfahrung mit Nettoressourcentransfers ins Ausland. Viele Jahre floss das Kapital von den Entwicklungs- in die Industrieländer. Dies erreichte 2008, als die Finanzkrise ausbrach, mit 800 Mrd. Dollar einen Höhepunkt. 2016 beliefen sich die Nettotransfers aus Entwicklungsländern auf fast 500 Mrd. Dollar, wenig mehr als 2015.

● Wachsender Ressourcenabfluss

Das Gros der Finanzflüsse in Entwicklungs- und Transitionsökonomien erholte sich nach der Krise von 2008 und erreichte 2010 mit 615 Mrd. Dollar seinen Höhepunkt, doch verlangsamte es sich danach erneut und wurde ab 2014 wieder negativ. Seit 1990 wurde eine solche mehrjährige Umkehr der globalen Finanzflüsse nicht mehr beobachtet.

Die negativen Nettoressourcentransfers aus Entwicklungsländern sind weitgehend auf Investitionen im Ausland zurückzuführen, vor allem in sichere US-Staatsanleihen mit niedrigem Ertrag. Im ersten Quartal von 2016 wurden 64% der offiziellen Reserven in US-Dollar-denominierten Anlagen gehalten (gegenüber 61% in 2014).

● Hohe Opportunitätskosten

Durch Investitionen im Ausland mögen die Entwicklungsländer Wechselkursaufwertungen infolge steigender ausländischer Reserven vermeiden und so die internationale Kostenwettbewerbsfähigkeit aufrecht erhalten. Doch beinhalten solche Investitionen substantielle Opportunitätskosten, da sie dann nicht mehr für die Entwicklung der Infrastruktur oder für soziale Investitionen zur Verbesserung der Bildung und Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen.

Die Afrikanische Entwicklungsbank schätzt, dass afrikanische Länder zwischen 2000 und 2011 durchschnittlich zwischen 165,5 und 193,6 Mrd. Dollar an Reserven hielten, viel mehr als die geschätzte Finanzierungslücke bei Infrastrukturprojekten von 93 Mrd. Dollar jährlich. Die sozialen Kosten dieser Reserven bewegten sich zwischen 0,35 und 1,67% des Bruttonationaleinkommens. Die Hälfte dieser Reserven würde ausreichen, um den Finanzierungsbedarf der Infrastruktur des Kontinents zu decken.

Diese hohen Opportunitätskosten sind der einseitigen Natur des internationalen Finanzsystems geschuldet, in dem der US-Dollar die bevorzugte Reservewährung ist. Da es kein faires und adäquates internationales finanzielles Sicherheitsnetz für kurzfristige Liquiditätskrisen gibt, haben viele Entwicklungsländer, vor allem in Asien, ausländische Reserven als ‚Selbstversicherung‘ angehäuft, oder präziser: zum Schutz gegen plötzliche Kapitalabflüsse oder spekulative Attacken, wie sie 1997/98 die asiatische Finanzkrise ausgelöst haben.

● Fallende ausländische Kapitalzuflüsse

Ausländische Direktinvestitionen (FDI) in Entwicklungsländer, die weniger volatile sind als kurzfristige Kapitalflüsse, stiegen seit 2000 und erreichten 2011 mit 474 Mrd. Dollar ihren Höhepunkt. Doch seither fielen FDI auf 209 Mrd. Dollar in 2016, weniger als die Hälfte der 431 Mrd. Dollar in 2015.

Die meisten FDI in Entwicklungsländer gehen nach wie vor nach Asien und Lateinamerika, während fallende Rohstoffpreise seit 2014 die FDI in ressourcenreichen Ländern Subsahara-Afrikas und Südamerikas nach unten gedrückt haben. Fallende Rohstoffpreise werden wahrscheinlich auch die FDI in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) drücken, die am meisten auf Ressourcentransfers angewiesen sind, aber nur geringfügige positive Nettotransfers erhalten.

Bankkredite an Entwicklungsländer waren seit Mitte 2014 rückläufig, während langfristige Bankkredite an Entwicklungsländer seit 2008 stagnieren. Auch die jüngst beschlossenen Basel-III-Regeln steigern die Kosten von riskanten oder kurzfristigen Investitionskrediten. Portfolioinvestitionen in den Entwicklungsländern waren in den letzten Jahren ebenfalls negativ.

Die Entwicklungs- und Transitionsländer hatten 2015 Nettoabflüsse von 425 und 2016 von 217 Mrd. Dollar zu beklagen. Die steigenden US-Zinssätze und das verlangsamte Wachstum in vielen Entwicklungsländern dürften weitere kurzfristige Kapitalabflüsse und eine stärkere Wechselkursvolatilität verursachen.

● Enttäuschende Entwicklungshilfetrends

Obwohl die Hilfsflüsse angestiegen sind, nahm der ODA-Anteil (‚Öffentliche Entwicklungshilfe‘) am Bruttonationaleinkommen (BNE) nach 2009 ab. Das jüngste Wachstum wurde mehr als ausgeglichen durch die Einrechnung von Ausgaben für Flüchtlinge aus Entwicklungsländen in die ODA-Zahlen. Wenn Flüchtlingsausgaben heraus gerechnet werden, fällt die in 2015 erreichte Steigerung um 6,9% auf magere 1,7%. In fünf DAC-Ländern sind die Entwicklungshilfezahlen gefallen, wenn Flüchtlingskosten nicht mitgezählt werden.

Vor diesem Hintergrund unterstreicht der WESP-Report 2017 die Bedeutung der Desaggregierung von Hilfekomponenten und der getrennten Berichterstattung über programmierbare Länderhilfe (CPA). Mit 0,3% Anteil am BNE fällt die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit der DAC-Mitgliedsländer weit hinter die 0,7-%-Zusage der Industrieländer von 1970 zurück. Nur sechs OECD-Länder, namentlich Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Großbritannien, haben das UN-Ziel 2015 erreicht oder übertroffen. Doch die ODA an die LDCs fällt seit 2010, 2014 war sogar die bilaterale Hilfe um 16% rückläufig.

Unterdessen stiegen die Auszahlungen durch multilaterale Entwicklungsbanken 2015 nur marginal, während neue Zusagen zurück gingen. Zusagen durch den Soft-Loan-Arm der Weltbank, die Internationale Entwicklungsassoziation (IDA), die von Geberbeiträgen abhängig ist, um konzessionäre Kredite und Zuschüsse an Niedrig-Einkommens-Länder zu vergaben, ging zwischen 2014 und 2015 real zurück.

● Illegitime Finanzflüsse

Die Entwicklungsländer verloren zwischen 2004 und 2013 durch illegitime (‚illicit‘) Finanzflüsse (IFFs) 7,8 Billionen Dollar infolge von Steuervermeidung, Transferpreisen, falscher Rechnungsstellung im Handel und Gewinnverschiebung durch Transnationale Konzerne (TNCs). In der vergangenen Dekade waren IIFs oft höher als die ODA und FDI-Flüsse in Entwicklungsländer zusammengenommen. Daher ruft der WESP 2017 zu einer vollständigen Überholung des internationalen Finanzsystems auf, um derartige entwicklungsrelevante Finanzfragen zu bearbeiten und den erforderlichen Ressourcentransfer an die Entwicklungsländer sicherzustellen.

Sollte dies nicht geschehen, würde man die Umsetzung der SDGs riskieren.

© IPS

Hinweis:
* UN-DESA: World Economic Situation and Prospects (WESP) 2017, 222 pp., United Nations: New York 2017. Bezug über: www.un.org/development/desa

Poested: 2.4.2017

Empfohlene Zitierweise:
Anis Chowshury/Jomo Kwame Sundaram, Globale Finanzen - Verlustmodell für den Süden, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 2. April 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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