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Globalisierung, FDI und Neue Industriepolitik

Artikel-Nr.: DE20180616-Art.08-2018

Globalisierung, FDI und Neue Industriepolitik

Der neue Weltinvestitionsbericht

Vorab im Web - Der aktuelle Weltinvestitionsbericht (WIR 2018) der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vermeldet scheinbar Sensationelles: Die internationalen Direktinvestitionen sind 2017 eingebrochen, für manchen Beobachter ein weiterer Beleg für den Siegeszug des Protektionismus. Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt allerdings, dass davon keine Rede sein kann. Interessanter sind die von der UNCTAD entwickelten Konzepte für eine neue Industriepolitik, schreibt Jörg Goldberg.

Der von der UNCTAD vermeldete Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen (FDI) um kräftige 22% auf 1,4 Billionen US-Dollar wurde von der europäischen Wirtschaftspresse dankbar aufgegriffen, um der im Kontext der US-Zollpolitik geschürten Freihandelshysterie Nahrung zu geben. Die französische „Le Monde“ sieht schon die „Demondialisation auf dem Marsch“, aber auch deutsche Medien griffen die UNCTAD-Zahlen auf, um das Gespenst des Protektionismus und einen drohenden „Globalisierungsrückgang“ zu beschwören. Daran ist die UNCTAD selbst nicht ganz unschuldig: Auch sie wählt Formulierungen, die vor „protektionistischen Politiken“ (14) warnen, vermeidet aber doch, den Rückgang der FDI im Jahre 2017 mit Maßnahmen Trumps im Jahre 2018 in Verbindung zu bringen.

● Globalisierung am Ende?

Die präsentierten Zahlen selbst bestätigen nicht, dass wir es mit einem „langfristig rückläufigen Zyklus“ (Vorwort) der FDI zu tun haben. Nach wie vor ist deren Trend, vor allem in den Entwicklungsländern, leicht aufwärts gerichtet, jedenfalls wenn man die durch Sonderfälle nach oben verzerrten Zahlen der Jahre 2015/16 ausklammert. Diese waren durch einige große internationale Fusionen aufgebläht worden.

FDI-Zuflüsse, in Mrd. US-Dollar

201220132014201520162017
Welt157514251339192118681430
Industrieländer85869359711411133712
Entwicklungsländer652649685744670671
Quelle: WIR 2018

Insbesondere das Niveau der Zuflüsse in die Schwellen- und Entwicklungsländer bleibt hoch, fast die Hälfte der globalen FDI werden dort investiert. Der 2016/17 registrierte leichte Rückgang hängt u.a. mit den gesunkenen Rohstoffpreisen zusammen, die Investitionen in Rohölförderung und Bergbauaktivitäten vor allem in Afrika weniger attraktiv gemacht haben. Für 2018 prognostiziert die UNCTAD wieder eine mäßige Zunahme auf insgesamt etwa 1.500 Mrd. Dollar. Einschränkend ist zur Aussagekraft der Daten zu bemerken, dass die Abgrenzung zwischen den FDI und anderen grenzüberschreitenden Finanzströmen wie Portfolioinvestitionen und Bankkrediten (die seit der Finanzkrise 2008/09 wieder zunehmen) immer schwieriger wird (11).

● Rückverlagerungen in Industrieländer

Dass von einem Globalisierungsrückgang keine Rede sein kann, zeigt im Übrigen auch ein Blick auf die 100 größten multinationalen Unternehmen, deren Auslandsanlagen und – aktivitäten weiter zugenommen haben (29). Es ist allerdings richtig, dass die Internationalisierung der Wertschöpfungsketten keine Einbahnstraße ist: Im Zuge von Steuersenkungen in den Industrieländern und steigenden Arbeitskosten in einigen Schwellenländern kommt es auch wieder zu Rückverlagerungen von Produktionsaktivitäten in die klassischen Industrieländer.

Insgesamt liegt der im Rahmen von Wertschöpfungsketten im Ausland erwirtschaftete Anteil nur wenig unter dem 2010/12 erreichten Spitzenwert: „Diese Umkehr bei der Entwicklung des Anteils ausländischer Wertschöpfung entspricht der kürzlich registrierten Verlangsamung bei der Globalisierung und der Direktinvestitionen“, relativiert die UNCTAD (22). Angesichts des erreichten hohen Niveaus der internationalen Arbeitsteilung ist eine gewisse Konsolidierung keine Überraschung – was aber nicht heißt, dass die Globalisierung am Ende ist.

Die Schwellen- und Entwicklungsländer stehen vor der Aufgabe, Auslandsinvestitionen in ihre nationalen Industriepolitiken zu integrieren, d.h. sie zur Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen zu nutzen. Leider übersieht der Bericht die damit verbundenen Interessenkonflikte. Nach wie vor versuchen die meisten Länder, insbesondere Entwicklungsländer, durch eine Liberalisierung der Investitionsregime Auslandskapital anzulocken.

● Umdenken im Süden?

Allerdings scheint sich in der jüngsten Vergangenheit ein gewisses Umdenken zu vollziehen: „Einige Länder betrachten ausländische Firmenübernahmen kritischer… Maßnahmen zur stärkeren Wirkungsanalyse von Auslandsinvestitionen werden diskutiert, vor allem in Entwicklungsländern.“ (80) Dazu gehören Beschränkungen beim Erwerb von Land und natürlichen Ressourcen, aber auch eine Stärkung bei den Anforderungen an die Nutzung lokaler Vorprodukte. Die zunehmende Skepsis gegenüber ausländischen Investoren betrifft auch die internationalen Investitionsvereinbarungen – erstmals seit 1983 liefen mehr alte Investitionsvereinbarungen aus als neue abgeschlossen wurde. Offensichtlich „hat eine Periode begonnen, in der die bestehenden internationalen Investitionsregeln überdacht und revidiert werden.“ (88) Die naive Freihandels- und Globalisierungsbegeisterung hat einer gewissen Ernüchterung Platz gemacht – zu offensichtlich ist, dass die erhofften allgemeinen Wohlstandsgewinne nicht eingetreten sind.

● Direktinvestitionen und Neue Industriepolitik

Vor diesem Hintergrund analysiert die UNCTAD neuere Tendenzen der Industriepolitik, ein Begriff, der seit einigen Jahren wieder in Mode gekommen ist. Dabei handelt es sich um „politische Maßnahmen, welche gezielt die Wirtschaftsstruktur eines Landes beeinflussen wollen.“ (126) Dabei müssen FDI natürlich einbezogen werden – es geht nicht mehr nur darum, unter allen Umständen möglichst viel Auslandskapital anzulocken, sondern auch Einfluss darauf zu nehmen, in welchen Bereichen und zu welchen Bedingungen dieses angelegt wird.

Das entsprechende Kapitel IV des Berichts („Investment and New Industrial Policies“, 125 ff) gibt einen Überblick über die verschiedenen industriepolitischen Ansätze und Strategien, wobei darauf hingewiesen wird, dass diese komplexer und vielfältiger geworden seien. Der Bericht unterscheidet drei industriepolitische Strategien in Abhängigkeit von den jeweiligen Hauptzielen: Aufbau-(built-up), Aufhol-(catch-up)prozesse und Versuche, sich in neuen wissensbasierten Industrien zu positionieren (xiv). Für Entwicklungsländer gilt, dass eine auf die Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen gerichtete Entwicklungspolitik den Schwerpunkt notwendig auf die verarbeitende Industrie legen muss, auch wenn damit zusammenhängende Dienstleistungen und Infrastrukturen nicht vernachlässigt werden dürfen.

Kern der von der UNCTAD vorgeschlagenen „Neuen Industriepolitik“ ist der Fokus auf die Beteiligung und den Aufstieg innerhalb internationaler Wertschöpfungsketten – die traditionelle Importsubstitutionspolitik, welche den Aufbau kompletter Industriezweige im Auge hatte, sei angesichts der technologischen Entwicklungen in den Hintergrund getreten (129/130). Die Autoren des Berichts sind der Ansicht, dass internationale Investitionspolitik eine zentrale Rolle im Rahmen nationaler Industriepolitiken zu spielen habe: FDI sollen die wirtschaftliche Diversifikation und den Aufbau industrieller Kapazitäten unterstützen und über Zulieferbeziehungen lokale Anbieter fördern – Vorteile, die sich allerdings nicht automatisch herstellen. Notwendig sei daher die staatliche Regulierung von Auslandsinvestitionen, einschließlich von Auflagen bei Eigentumsstrukturen und lokalen Beteiligungen (132).

● Internationale Investoren und nationale Entwicklung

Der Schwerpunkt des Kapitels über „Neue Industriepolitik“ liegt auf dem Zusammenhang zwischen international wirksamer Investitionspolitik und nationaler Industriepolitik. „Eine Kernbedingung für erfolgreiche Industriepolitik ist die Interaktion mit nationalen Investitionspolitiken, mit dem Ziel der Schaffung von Synergien.“ (177) Es ist unzweifelhaft, dass Auslandsinvestitionen wichtig sind für Entwicklungsprozesse in armen Ländern, und es ist in der Tat von großer Bedeutung, dass diese in nationale Entwicklungsstrategien eingeordnet werden.

Trotzdem muss hier auf Defizite in der Darstellung des Berichts aufmerksam gemacht werden: Internationale Investoren pflegen bekanntlich erstmal andere Ziele zu verfolgen als die Unterstützung nationaler Entwicklungsstrategien. Die Öffnung eines Landes gegenüber dem Auslandskapital und die über politische Maßnahmen durchgesetzte Einordnung internationaler Investitionen in nationale Entwicklungsstrategien, einschließlich von Regeln über die Reinvestition von Profiten, stehen in keinem „Win-win-Verhältnis“ (177), wie es der Bericht fordert. Knallharte Interessenkonflikte zwischen internationalen Investoren und nationalen Entwicklungszielen dürften eher die Regel als die Ausnahme sein. Diese Interessenkonflikte mit Schweigen zu übergehen ist wenig sinnvoll.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass Auslandskapital zwar einen wichtigen Entwicklungsbeitrag leisten kann, dass für den Erfolg nationaler Industriepolitiken aber an erster Stelle die Unterstützung des lokalen Kapitals und des nationalen Unternehmertums entscheidend ist. Dieser Aspekt wird vom Bericht überhaupt nicht angesprochen – der Erfolg nationaler Industriepolitiken scheint vollständig das Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen internationalen Investoren und den jeweiligen Regierungen zu sein. Dass Privilegien für Auslandskapital auch zu einer Schwächung der entscheidenden nationalen wirtschaftlichen Akteure führen können, wird ausgeblendet. Die zentrale entwicklungspolitische Rolle nationalen Kapitals und zivilgesellschaftlicher Kräfte wird übergangen. Die mit der in einem Lande dominierenden Rolle von Auslandskapital verbundenen Probleme und Konflikte bleiben unerwähnt.

Hinweis:
* United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): World Investment Report 2018 (WIR 2018). Investment and New Industrial Policies, 192 pp, United Nations: New York and Geneva 2018. Bezug: unctad.org

Posted: 16.6.2018

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg: Globalisierung, FDI und Neue Industriepolitik. Der Weltinvestitionsreport 2018, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 16. Juni 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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