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Griechenland: Merkels Sieg - ein Pyrrhus-Sieg?

Artikel-Nr.: DE20150715-Art.20-2015

Griechenland: Merkels Sieg - ein Pyrrhus-Sieg?

Die Eurozone auf Desintegrationskurs

Beim Gipfel der Eurozonen-Staaten am 12./13. Juli 2015 wurde die griechische Regierung gezwungen, praktisch alle Forderungen der Gläubiger zu akzeptieren. Als Gegenleistung stellte man Griechenland allein die Aufnahme von Verhandlungen über ein weiteres Kreditprogramm in Aussicht. Hinzu kam noch die vage Andeutung, dass es für Griechenland längere rückzahlungsfreie Zeiten und Tilgungsfristen bei den Krediten geben könnte. Eine Analyse von Joachim Becker.

Die in der Abschlusserklärung des Gipfels (Wortlaut mit Anmerkungen des zurückgetretenen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis >>> hier) festgehaltenen Maßnahmen wischen das Ergebnis des griechischen Referendums vom 5. Juli, das eine klare Ablehnung der Austeritätspolitik erbrachte, vom Tisch. Von diesem Referendum hatten sich die anderen Eurozonen-Mitglieder provoziert gefühlt. Als Reaktion auf die plebiszitäre Zurückweisung der Troika-Politik reagierten die anderen Mitgliedstaaten der Eurozone mit einer weiteren Verschärfung der Bedingungen für ein Kreditprogramm.

● Neoliberale Strukturanpassung in Extremform

Die EU-Granden forderten, dass das griechische Parlament binnen zweier Tage eine Reform der Mehrwertsteuer mit weiteren Massenbelastungen, erste Schritte zu einer Pensionsreform, welche den zentralen Pfeiler des griechischen Sozialsystems schwächen wird, sowie die Institutionalisierung quasi-automatischer Kürzungen der öffentlichen Ausgaben im Fall des Verfehlens von Budgetzielen verabschieden müsse.

Eine Frist bis zum 22. Juli setzten sie dem griechischen Parlament, um das Verfahren bei der Sanierung bzw. Schließung von Banken, die in Schwierigkeiten sind, an EU-Vorgaben anzupassen. Dies ist eine überaus aktuelle Frage. Die griechischen Banken sind durch die EU-Austeritätspolitik, die bei vielen KreditnehmerInnen zu Zahlungsschwierigkeiten geführt hat, und durch den Abzug von Depositen, der in den letzten Wochen durch die Drohkulisse der EU stark zugenommen hatte, deutlich geschwächt.

Das von den Eurozonen-Ländern verlangte Expressverfahren bei diesen weitreichenden parlamentarischen Beschlüssen ist eine Verhöhnung der Demokratie. Dem griechischen Parlament wird ein Ultimatum präsentiert, eine ernsthafte öffentliche Debatte ist unmöglich. Die quasi-automatischen Budgetkürzungen verstümmeln das Budgetrecht des Parlaments und zementieren eine Politik der permanenten Austerität.

Doch dies sind nur die wichtigsten Sofortmaßnahmen. Die Bedingungsliste der Eurozonen-Länder ist beträchtlich länger. Gefordert werden auch weitreichende Privatisierungen unter EU-Aufsicht, eine Beschneidung von ArbeitnehmerInnenrechten und eine Deregulierung bei Dienstleistungen. Das Gesamtpaket stellt ein extrem radikales neo-liberales Strukturanpassungsprogramm dar. Es wird völlig absehbar den wirtschaftlichen Niedergang Griechenlands beschleunigen und die tiefe soziale Krise weiter verschärfen.

● Unter massivem Finanzdruck

Die Frage ist, warum die Syriza-geführte Regierung ein derartiges Programm akzeptiert hat, das in völligem Widerspruch zu ihrer Programmatik steht. Die griechische Regierung stand unter enormen finanziellen Druck. Mehrere substanzielle Rückzahlungen wurden um den Zeitpunkt der Verhandlungen herum fällig. Durch den Abzug von Depositen, der durch die von der Troika geschürte Unsicherheit stark beschleunigt wurde, gerieten die griechischen Banken in Liquiditätsschwierigkeiten. In der kritischen Verhandlungsphase deckelte die Europäische Zentralbank (EZB) die Liquiditätszufuhr an die griechischen Banken. Die griechische Regierung beschränkte die maximal zulässigen Kontenabhebungen und führte Kapitalverkehrskontrollen ein. Doch mildern diese Maßnahmen das Liquiditätsproblem nur etwas ab.

Eine Alternative zur EZB-Finanzierung würde die Wiedereinführung einer nationalen Währung und die Bereitstellung von Liquidität durch die nationale Zentralbank darstellen. Dies wäre allerdings ein politisch wie administrativ außerordentlich anspruchsvoller und schwieriger Schritt. Vor einem solchen Schritt, der den faktischen Austritt aus der Eurozone bedeutet und die einzige Alternative zur Kapitulation vor den Forderungen der anderen Eurozonen-Länder dargestellt hätte, schreckte die Mehrheit von Syriza zurück.

Wie der kürzlich zurückgetretene Finanzminister Yanis Varoufakis in einem Interview mit dem New Statesman erklärte, wurde zwar eine kleine Arbeitsgruppe zur Frage eines Austritts aus der Eurozone geschaffen, aber diese Option für den Eventualfall nicht praktisch vorbereitet. Damit verfügte die Syriza-Regierung in den konfrontativen Verhandlungen mit der Troika und den Eurozonen-Staaten über keine alternative Handlungsoption.

Strategische Niederlage nicht nur für Syriza

Auf dem Eurozonen-Gipfel hat Syriza eine strategische Niederlage erlitten. Eine substanzielle Minderheit in der Partei hat bereits in der Vergangenheit für einen Austritt aus der Eurozone plädiert. Sie stellt sich gegen das Brüsseler Diktat. Damit zeichnet sich ein Bruch innerhalb von Syriza ab.

Syrizas Niederlage hat auch Konsequenzen für andere Parteien links der Sozialdemokratie, die wie die Linke in Deutschland und Spaniens Podemos (zumindest mehrheitlich) auf Alternativen innerhalb der Eurozone und deren Transformation von innen her gesetzt hatten. Diese Strategie hat sich als nicht realistisch erwiesen. Diese Parteien stehen vor der Notwendigkeit, ihre Strategie gegenüber der Eurozone grundsätzlich zu überdenken.

Die nationalistische Rechte von der Lega Nord bis zur Front National kann hingegen jubilieren. Sie hat das Verlassen der Eurozone schon vor einiger Zeit zu einem zentralen Bestandteil ihres nationalistischen und sozial-exkludierenden Projekts gemacht. Sie stellt den Konflikt zwischen der Syriza-geführten Regierung und den EU-Institutionen nicht als einen sozialen Konflikt und eine Frage der Demokratie dar, sondern präsentiert ihn als Kampf einer Nation gegen die EU. Die Eurozonen-Regierungen haben die nationalistische (äußerste) Rechte als eine mögliche Alternative zur euro-liberalen Politik gegenüber linken Politikalternativen faktisch gestärkt.

● Risse in der Eurozone

Allerdings sind innerhalb der Eurozone sichtbar Risse aufgetreten. Speziell die deutsche Koalitionsregierung aus CDU/CSU und SPD hat eine extrem harte Linie gegenüber der griechischen Regierung vertreten. Sie brachte sogar den Vorschlag eines vorübergehenden Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone in die Verhandlungen ein. Damit hat die deutsche Bundesregierung gezeigt, dass die Bewahrung der Eurozone nicht ihre Spitzenpriorität hat und die Mitgliedschaft der südlichen Eurozonen-Länder grundsätzlich zur Disposition steht.

Dies lässt sich durchaus so interpretieren, dass eine substanziell kleinere Eurozone ohne die „Bürde“ der Mittelmeerländer für die Bundesregierung durchaus eine Option ist. Die harte Haltung der slowakischen und slowenischen Regierung dürfte signalisieren, dass sie gerne Teil eines solchen Deutschland-zentrierten Kerns würden. Die Rechtsregierungen Spaniens und Portugals stellten sich gegen Syriza, weil sie keine Alternative zur rechten Sparpolitik wollen.

Vorbehalte zur deutschen Politik ließen, abgesehen vom politisch wie ökonomisch eng mit Griechenland verbundenen Zypern, die Regierungen Italiens und Frankreichs erkennen. Den Regierungen Renzi und Hollande ist die Kohäsion der Eurozone wichtig. Sie stoßen sich zudem an der deutschen Austeritätsobsession. Ihre Einwände hatten aber kaum Gewicht. Die deutsch-französische Achse existiert praktisch nicht mehr. Maßnahmen zur Wiederannäherung der zwischen Nord und Süd auseinander laufenden Entwicklungsmuster und damit zur Stärkung der Kohäsion der Eurozone sind nicht zu erwarten. Damit werden desintegrative Tendenzen absehbar an Kraft gewinnen. Zudem macht das deutsche Signal, dass das Ausscheiden südeuropäischer Mitglieder aus der Eurozone durchaus eine Option ist, diese verwundbarer gegenüber spekulativen Attacken.

Der Sieg der extrem rigiden deutschen Position könnte sich als Pyrrhus-Sieg erweisen. Denn eine allmähliche Desintegration, wie sie durch die deutsche Positionierung in den Verhandlungen auf die Tagesordnung gesetzt wurde, könnte sich als weit chaotischerer Prozess darstellen, als sich das Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in ihren Planspielen vorstellen.

Posted: 15.7.2015

Empfohlene Zitierweise:
Joachim Becker, Griechenland: Merkels Sieg - ein Pyrrhus-Sieg? Die Eurozone auf Desintegrationskurs, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Juli 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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