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Hochrangiges Panel bringt hochgradige Verwässerung

Artikel-Nr.: DE20130712-Art.26-2013

Hochrangiges Panel bringt hochgradige Verwässerung

Post-2015-Report setzt aufs Business

Vorab im Web - Der Bericht trägt den Titel “Eine neue globale Partnerschaft”, und seine Verfasser behaupten, dass sie bei der Vorbereitung die Stimmen von “über 5000 Organisationen der Zivilgesellschaft aus rund 120 Ländern“ gehört und darüber hinaus die Chefs von 250 Konzernen aus 30 Ländern mit Jahreseinkünften von insgesamt über 8 Billionen Dollar konsultiert haben. Letztere waren zweifellos lauter, kommentiert Roberto Bissio.

Im dem Bericht (s. Hinweis) taucht der Begriff Zivilgesellschaft oder CSOs 30mal auf, die Termini Business, Konzerne oder Unternehmen hingegen 120mal. Gewerkschaften und ArbeiterInnen werden jeweils nur dreimal erwähnt, und selbst die Regierungen rangieren mit 80mal noch hinter der Wirtschaft.

* Eigentlich zu nichts verpflichtet

Die „Ausrottung der extremen Armut von der Erde bis 2030“ sollte „im Zentrum“ einer neuen Entwicklungsagenda stehen, empfiehlt das Hochrangige Panel (HLP), dem der britische Premierminister David Cameron sowie die liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf und der indonesische Präsident Susilo Bambang Yudhoyono vorstanden.

Das Armutsziel geht von der sehr niedrigen 1,25 Dollar-pro-Tag-Marke aus und greift damit ein ähnliches Ziel auf, das die Weltbank auf ihrem Frühjahrstreffen im letzten April verkündet hat. In seinen technischen Anmerkungen erkennt das Panel an, dass “bei Fortsetzung der laufenden Wachstumstrends rund 5% der Menschen auch 2030 noch in extremer Armut leben werden”. Da die Irrtumswahrscheinlichkeit solcher Schätzungen weit höher als bei 5% liegt, ist das „Null-Armut-Versprechen in unserer Generation“ nicht wirklich eine Verpflichtung, sondern eher eine Vorhersage dessen, was ohnehin erwartet wird und eigentlich kein besonderes Handeln der Regierungen oder der internationalen Gemeinschaft erfordert.

Schon 1973 hat der damalige Weltbank-Präsident Robert McNamara versprochen, die absolute Armut bis zum Ende des Jahrhunderts auszurotten und dafür mehr Hilfe und bessere Terms of Trade verlangt. Jetzt wiederholt das Panel das 0,7%-Versprechen für die Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) und das Ziel eines “offenen, fairen und entwicklungsfreundlichen Handelssystems”, ohne zu erklären, warum dies nicht schon in den letzten 40 Jahren erreicht wurde und warum es diesmal anders sein soll, obwohl solche Verpflichtungen der Industrieländer auch heute nicht bindend sind.

Stimmen von Bürgern und der Zivilgesellschaft zu hören, ist nicht dasselbe wie sie zu beachten. Beispielsweise schlägt das HLP im Ziel 1b unter der Überschrift „Die Armut beenden“ vor, „den Anteil der Frauen und Männer, Gemeinden und Unternehmen mit sicheren Landrechten zu erhöhen“. Doch den Zugang zu Land und Rechte von Männern, Frauen und Gemeinden mit dem Recht von Unternehmen auf Land gleichzusetzen, dient nur dazu, die massive Landnahme von Konzernen überall auf dem Globus zu legitimieren.

* Rückfall hinter bestehende Rechte

Unter dem Ziel Gendergleichheit werden als Frauenrechte explizit das Recht, Eigentum zu erben, einen Vertrag zu unterzeichnen, ein Geschäft oder ein Bankkonto zu eröffnen, erwähnt. Sexuelle und reproduktive Rechte werden erwähnt, aber unter dem Punkt Gesundheit, wobei dies die einzigen „Rechte“ sind, die in Bezug auf Gesundheit oder Bildung Erwähnung finden.

Unter dem Ziel Beschäftigung findet sich ein Ziel “Schaffung eines günstigen Geschäftsumfeldes und Förderung des Unternehmertums”, Marktversagen wird jedoch nicht erwähnt, während zu “Good-Governance”-Zielen die Versicherung zählt, dass Beamte zur Rechenschaft gezogen werden können”, um Korruption und Bestechung zu verringern. Zur Verantwortlichkeit der Unternehmen für die Zahlung von Bestechungsgeldern wird jedoch nichts gesagt.

Die Vorschläge des Reports fallen hinter bereits erreichte Prinzipien zurück, etwa hinter die Leitlinien zu Menschenrechten und extremer Armut, die die UN-Generalversammlung im September 2012 einvernehmlich angenommen hat. Darin verpflichten sich die Staaten – als „Teil der internationalen Zusammenarbeit“ – zur Überprüfung der „extraterritorialen Konsequenzen von Gesetzen, Politiken und Praktiken“ und dazu zu gewährleisten, dass „Wirtschaftsunternehmen mindestens dafür sorgen müssen, dass ihr Handeln, ihre Produkte oder Dienstleistungen keine Ursache oder keinen Beitrag zur Verletzung von Menschenrechten darstellen bzw. dies gegebenenfalls abzustellen ist“.

Der Kampf gegen illegitime Kapitalflüsse und Steuerflucht wird in dem Bericht nicht weiter konkretisiert – die einzigen Reformen, die in Bezug auf das globale Finanzsystem anvisiert werden, sind die „Sicherung von Stabilität“ und die „Ermutigung langfristiger privater Auslandsinvestitionen“. Die Finanztransaktions- bzw. Robin-Hood-Steuer, die zur finanziellen Stabilität beitragen und Milliarden aufbringen könnte, um den Menschen aus der Armut zu helfen, wird nicht einmal als Möglichkeit in Erwägung gezogen.

Was bei den MDGs Ziel 8 („globale Partnerschaft“) war und die Verantwortlichkeiten der Industrieländer umschreiben sollte, heißt jetzt „Schaffung eines befähigenden Umfeldes und Unterstützung langfristiger Finanzierung“.

* Ignoranz auf der ganzen Linie

In den neuen Formulierungen ist im Gegensatz zu den alten jede Erwähnung der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), der kleinen Inselstaaten und der Länder ohne Meereszugang ausgeschlossen. Auch das Versprechen, „auf umfassende Weise mit den Schuldenproblemen der Entwicklungsländer umzugehen“, ist gestrichen.

Unter dem Titel „befähigendes Umfeld“ wird das Ziel erwähnt, die globale Erwärmung unter 2° C zu halten, doch das energiepolitische Ziel, das die „Verdopplung des Anteils der erneuerbaren Energien am globalen Energiemix“ verspricht (wahrscheinlich bis 2030), läuft in der Praxis auf nur 30% hinaus – zu wenig, um das Klimaziel zu erreichen.

In einer Zeit, in der – in den Worten der Geschäftsführenden IWF-Direktorin Christine Lagarde – „die steigende Einkommensungleichheit vielen Politikern auf der ganzen Welt zunehmend Sorge bereitet“, wird dieses Problem von dem Panel weitgehend ignoriert. Jüngste Forschungsergebnisse des IWF, so Lagarde am 15. Mai, „haben gezeigt, dass längere Perioden stetig steigenden Outputs einher gehen mit mehr Gleichheit in der Einkommensverteilung. Mit anderen Worten: Gleichere Gesellschaften erreichen mit höherer Wahrscheinlichkeit anhaltendes Wachstum.“ Doch was das HLP vorschlägt, bleibt hinter diesem neuen Washingtoner Diskurs zurück, die Rede ist lediglich von „Chancengleichheit“ und nicht von Verteilung oder gar Umverteilung.

Der Report ignoriert darüber hinaus Schlüsselprinzipien der Vereinten Nationen, die in der Millenniumserklärung 2000 bekräftigt wurden, so die „souveräne Gleichheit aller Staaten, die Respektierung der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit, die Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln und im Einklang mit den Prinzipien der Gerechtigkeit und des internationalen Rechts, das Recht auf Selbstbestimmung der Völker, die noch unter kolonialer Herrschaft und ausländischer Besatzung leben, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, die Achtung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten, die Respektierung der gleichen Rechte aller ohne Ansehen der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“.

Praktisch werden die Menschenrechte auf zivile und politische Rechte reduziert, wobei die Wiener Deklaration von 1993 ignoriert wird, die deutlich feststellt, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ein untrennbarer Bestandteil der Menschenrechtsarchitektur sind. Der Report reduziert ebenfalls das Friedensprinzip, eine der Säulen der UN, auf interne Konflikte in Entwicklungsländern, ohne Erwähnung der Abrüstungsbemühungen oder der Regulierung des Waffenhandels und der Milliarden von Dollars für Militärausgaben, die für nachhaltige Entwicklung umgewidmet werden könnten.

* Neue Entwicklungsagenda? Fehlanzeige!

Nachhaltigkeit wird mehrfach erwähnt, doch die Respektierung der planetarischen Grenzen erscheint nur im Zusammenhang mit dem Klimawandel, und selbst dort fehlt jeder Hinweis auf die historische Verantwortung der Industrieländer oder eine gerechte Verteilung der Anpassungslasten.

Summa summarum senkt dieser Bericht – statt eine neue Entwicklungsagenda aufzustellen – die Hürden, sowohl was die vorgeschlagenen Ziele als auch die konzeptionelle Herangehensweise betrifft. Er ist nicht einmal Ausdruck eines kleinsten gemeinsamen Nenners, weil es in Bezug auf die meisten Fragen, mit denen er sich befasst, bereits Formulierungen der UN gibt, die über die Empfehlungen des Reports hinausgehen.

Statt loyal gegenüber den acht Milliarden Menschen, die bis 2030 die Erde bevölkern werden, zu sein, scheint der Bericht ein Sprachrohr jener 250 Konzerne und ihrer 8-Mrd.-Dollar-Einkünfte zu sein. Die Bürgerbewegungen und die zivilgesellschaftlichen Netzwerke wie Social Watch sollten weiterhin Rechenschaft und wirklichen Ehrgeiz verlangen. Die Welt kann es sich nicht leisten, weitere 15 Jahre zu warten.

Roberto Bissio leitet das internationale Sekretariat von Social Watch.

Hinweis:
* The Report of the High-Level Panel of Eminent Persons on the Post-2015 Development Agenda: A New Global Partnership: Eradicate Poverty and Transform Economies Through Sustainable Development, 81 pp, United Nations: New York 2013.

Veröffentlicht: 10.6.2013

Empfohlene Zitierweise:
Roberto Bissio, Hochrangige Panel bringt hochgradige Verwässerung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. Juni 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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