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Im Fadenkreuz des Neoliberalismus

Artikel-Nr.: DE20190113-Art.01-2019

Im Fadenkreuz des Neoliberalismus

Vereinte Nationen und Zivilgesellschaft

Seit 40 Jahren plagen wir uns mit dem Neoliberalismus herum, dem wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Ansatz, nach dem die Rolle des Staates ab- und die des Marktes ausgebaut werden müsse. Das würde gesamtwirtschaftliche Effizienz und Wirtschaftswachstum und damit auch persönliches Wohlergehen optimieren. Ich karikiere ein wenig. Aber in der Essenz begründet sich die Privatisierung vieler öffentlicher Güter und die Austeritätspolitik auf dieser – wie ich meine – auf vielen Ebenen irrigen Auffassung, schreibt Gabriele Köhler

Gegen das kommerzielle Ansinnen, etwa die Trinkwasserversorgung zu privatisieren, haben europäische Kommunen dank des Drucks aus der Zivilgesellschaft erfolgreich gehandelt. Die Versuche zur Privatisierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Vereinten Nationen (VN) dagegen schreiten schleichend aber stetig voran.

● Verschärfte Konkurrenz

NGOs im globalen Süden wie im globalen Norden bekommen immer weniger öffentliche Zuschüsse, haben immer weniger fest finanzierte MitarbeiterInnenstellen, und müssen immer härter miteinander in Projektausschreibungen konkurrieren. Manche schließen einfach – so wie das International Centre for Trade and Sustainable Development (ICTSD), das erst im November abgewickelt wurde. Ko-finanziert von Dänemark, den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Königreich hatte es über 20 Jahre die ärmeren Länder mit Analysen und Fortbildungen zur Handelspolitik unterstützt. Vor ein paar Jahren schon entzogen wichtige Geber dem Forschungsinstitut der ILO ihre Finanzierung.

Das UN-Sekretariat muss trotz steigender Aufgaben mit einem restriktiven Budget zurechtkommen: Für 2018/2019 wurde ein reguläres Budget von 5,4 Mrd. US-Dollar genehmigt – der gleiche Betrag wie schon 2010! (Zum Vergleich: globale Militärausgaben betrugen 2018 1,7 Billionen US-Dollar.) Ein immer größerer Anteil der UN-Finanzierung – sowohl für das Sekretariat als auch für die Sonderorganisationen - ist zweckgebunden. Damit bestimmt das Geberland, nicht der Fachausschuss der jeweiligen UN-Einrichtung, Prioritäten und Programmatik. Bei der WHO beispielsweise finanzieren Pflichtbeiträge der Mitgliedsländer knapp 1 Mrd. US-Dollar des 2018/19er Budgets, während die freiwilligen, aber zweckgebunden Mittel inzwischen bei rund 3.4 Milliarden liegen – mehr als dem Dreifachen.

Konsequenzen der neoliberalen Denkweise

Vordergründig passieren diese Verschiebungen, weil Regierungen behaupten, die NGOs oder die Vereinten Nationen seien ineffizient und inkompetent, sie würden Prioritäten nicht korrekt einschätzen können oder wären gar korrupt. Der tiefere Grund liegt aber in der neoliberalen Denkweise, und zwar auf mehreren Ebenen.

Zum einen: In vielen Ländern wird der Staatshaushalt gekürzt. Um „dem Markt“ Platz zu machen, werden Steuern gesenkt oder die Sozialausgaben und Entwicklungsetats gekürzt (die Verteidigungsbudgets werden derweil oft ausgebaut).

Ein zweiter Grund: Für eine kapitalistische Volkswirtschaft ist Wachstum fast unabdingbar, und dieses Motiv beißt sich immer mehr mit dem Ziel, die planetaren Grenzen einzuhalten. Zivilgesellschaft und UN sind dazu da, gesellschaftliche und umweltpolitische Missstände aufzuzeigen und auf ökonomische, soziale und Klimagerechtigkeit hinzuarbeiten. Das stört, also macht es scheinbar Sinn, ihre Arbeit zu erschweren oder zu behindern.

Auf einer dritten Ebene hat die Aushöhlung öffentlicher Unterstützung dann einen „knock-on effect“. In dem Maße, wie die öffentlichen Mittel ausbleiben, müssen UN-Organisationen und NGOs immer stärker auf private Geldgeber rekurrieren. Sie haben oft keine andere Wahl, als den Privatsektor oder die philanthropischen Privatstiftungen um Mittel zu bitten. Das ist nur scheinbar ein Ausweg, denn viele Stiftungen sind zwar gemeinnützig und formell vom eigentlichen Unternehmen abgekoppelt, verschaffen aber dennoch den Privatinteressen Einfluss. Das gilt insbesondere für die Stiftungen transnationaler Großunternehmen.

● Turner, Gates & Co.

Angefangen hat das vor 20 Jahren mit der Ted Turner-Stiftung, die dem damaligen UN-Generalsekretär 1 Mrd. US-Dollar für eine UN-geleitete Stiftung übergab, als das Sekretariat erhebliche Finanzierungsengpässe erlebte. Seither gibt es immer mehr solcher Liaisons. Sie helfen etwa Gesundheitsprogramme und Frauenprojekte zu finanzieren. Das ist zunächst positiv, denn da können nicht genügend Mittel hinfließen. Aber der Verlass auf Private hat strukturelle Nachteile.

Man kann die Gelder nicht einfordern. Man ist von der Stiftung abhängig, und oft sind deren Ziele andere, als die von NGOs oder den UN-Organisation. Ein Beispiel ist die Bill und Melinda Gates Foundation – die übrigens auch vom BMZ großzügig ko-finanziert wird. Bekanntlich gehören die Gates zu den vermögendsten Unternehmern der Welt. Weniger bekannt ist allerdings, dass Bill Gates Atomenergieforschung fördert und als „clean“ darstellt. Es ergeben sich also – ungewollte – Verstrickungen.

Und schließlich gibt es zwischen Mainstream-Unternehmen und der öffentlichen Daseinsvorsorge inhärente Zielkonflikte. Unternehmen sind auf Gewinne orientiert. Das ist legitim – vorausgesetzt, sie halten sich in Produktion und Investition an Gesetzesvorgaben. Öffentliche Güter - wie die Erhaltung eines gesunden Planeten – sind nicht profitabel oder unterliegen anderen Gesetzmäßigkeiten. Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen sowie öffentlicher Nahverkehr rentieren sich ökonomisch nicht bei schwierigen Fällen oder in entlegenen Gegenden.

Hinzukommt, dass viele der großen transnationalen Unternehmen Teil gerade jener Probleme sind, die die Zivilgesellschaft zu korrigieren sucht. Die Beispiele sind hinlänglich bekannt: globale Produktionsketten, in denen Arbeits- oder Umweltrechte missachtet werden; die stetig zunehmende CO2- und Stickstoffbelastung der Umwelt, die viele Länder ihre Klimaziele verpassen lässt; Stauwehre, die indigene Communities existenziell bedrohen und die Natur zerstören; Steuerflucht oder -vermeidung, die den Regierungen nötige Mittel vorenthalten; Lobbyismus, der versucht, bürgernahe Veränderungen zu verhindern. Mit dem Neoliberalismus ist nämlich eine systematische Deregulierung der Wirtschaft einhergegangen.

● Was tun?

Zunächst einmal ist Analyse nötig, als Basis für alles Handeln. Viele Studien befassen sich mit dieser Problematik und zeigen, dass das Engagement des Privatsektors letztendlich auf eigenem (Gewinn-)Interesse basiert und oft nur bluewashing beinhaltet – also der Imagepflege dient. Sie machen uns bewusst, dass die populären Öffentlich-Privaten-Partnerschaften oft asymmetrisch sind: Der privatwirtschaftliche Partner behält die Oberhand. Diese Studien sind wichtig und müssen sicher und großzügig finanziert werden.

Was die Praxis angeht, gilt es, positive Gegenströmungen zu unterstützen. Die Gemeinwohlwirtschaft zum Beispiel entfaltet sich stetig. Sie folgt dem Ansatz, die allgemeine Menschenrechte, Gender- und Klimagerechtigkeit und Ressourcenschonung vor Profit zu stellen. Diese Trends werden von vielen UN-Organisationen unterstützt.

Der Global Compact der Vereinten Nationen (UN) mit seinen zehn ethischen Prinzipien versucht, Unternehmen für die UN-Ziele zu gewinnen. Die Bundesregierung hat 2016 einen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verabschiedet, der die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen soll. Desweiteren wird in Genf ein UN-Menschenrechtsabkommen (Treaty) verhandelt, das die Aktivitäten transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen regulieren könnte. Dagegen sperrt sich die EU allerdings, mit bundesdeutscher Unterstützung. Der deutsche NAP muss zielführend und ohne Ausreden umgesetzt werden, aber auch der umfassendere Treaty muss verabschiedet werden.

Und, gerade im Dezember verhandeln UN, Zivilgesellschaft und Regierungen in Katowice die Kriterien und Verpflichtungen für die Umsetzung der in Paris vereinbarten Klimaziele. Auch dafür müssen wir – Zivilgesellschaft und Menschen, die sich der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet fühlen, aufzeigen, wie der Neoliberalismus sich auf die Arbeit der VN, auf NGOs und auf uns alle auswirkt. Wie hatte ist es in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung formuliert? Transformieren wir unsere Welt!

Gabriele Köhler ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Sie ist zudem Senior Research Associate beim UN-Forschungsinstitut für Soziale Entwicklung (UNRISD) in Genf, Mitglied des UNICEF-Komitees Deutschland und Vorständin bei Women in Europe for a Common Future (WECF). Der Beitrag erschien zuerst auf der DGVN-Diskussionsseite.

Posted: 13.1.2019

Empfohlene Zitierweise:
Gabriele Köhler: Vereinten Nationen und Zivilgesellschaft: Im Fadenkreuz des Neoliberalismus, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. Januar 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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