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Im Schatten des Handelskriegs USA-China

Artikel-Nr.: DE20190702-Art.10-2019

Im Schatten des Handelskriegs USA-China

G20-Bilanz nach dem Osaka-Gipfel

Der G20-Gipfel, der am 28./29. Juni 2019 in Osaka/Japan stattfand, war nun bereits der zweite Gipfel innerhalb von sieben Monaten, der von einem bilateralen Treffen der USA und Chinas in den Kulissen überschattet wurde. Das Treffen sollte den Handelskonflikt der beiden größten Ökonomien der Weltwirtschaft lösen, brachte aber nur einen weiteren Waffenstillstand im Handelskrieg. Wenn die wichtigsten Fragen in separaten Zweiertreffen gelöst werden, wirft dies kein gutes Licht auf den Zustand der G20. Eine kurze Bilanz von Rainer Falk.

G20 steht für die Gruppe der 19 ökonomisch wichtigsten Industrie- und Schwellenländer und die EU-Kommission. Sie wurde 1999 auf der Ebene der Finanzminister im Gefolge der Asienkrise gegründet und 2008 vor dem Hintergrund der Großen globalen Finanzkrise auf das Niveau der Staats- und Regierungschefs angehoben. Seither tagen die G20-Gipfel unter wechselnder Präsidentschaft einmal im Jahr. 2019 hat Japan die G20-Präsidentschaft inne, davor Argentinien, Deutschland und China. Der Reigen der G20-Präsidentschaften wurde 2008 und 2009 von den USA und Großbritannien eröffnet. Im Laufe der Jahre haben sich regelmäßige Fachministertreffen im Rahmen der jeweiligen G20-Präsidentschaften etabliert, was neben anderen Faktoren zu einer beträchtlichen Erweiterung der Agenda geführt hat – weit über das ursprüngliche Gründungs- und Kernthema der Finanzmarktreformen hinaus.

● Anhaltender Legitimationsmangel

Im Gegensatz zur Gruppe der 7 (wichtigsten Industrieländer), die lange Zeit als informelles „Direktorium“ der Weltwirtschaft galt, bringt die G20 mit zwei Dritteln der Weltbevölkerung, 85% der globalen Wirtschaftsleistung (BIP) und rund drei Vierteln des Welthandels ein wesentlich stärkeres Gewicht auf die Waagschale. Gleichwohl kennzeichnet auch die G20 ein beträchtlicher Legitimationsmangel. Dieser ist sowohl repräsentativer als auch inhaltlich-konzeptioneller Natur.

In repräsentativer Hinsicht haftet der G20 der Makel an, dass er als Idee und Kopfgeburt aus der G7 heraus geboren wurde und – wie in der G7 – die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft in ihr nicht vertreten ist. Vorschläge und Versuche, dieses Manko durch eine feste Verbindung zum Generalsekretariat der UNO (die inzwischen oft als G193 bezeichnet wird) wettzumachen, wurden formal zwar realisiert, blieben aber ohne große Bedeutung. Feigenblattfunktion haben auch die regelmäßig zum G20-Gipfel arrangierten Sondertreffen mit Nicht-G20-Ländern, z.B. aus Afrika.

● Unerledigte Aufgaben

Seit dem G20-Gipfel von Pittsburgh 2009 bezeichnen sich die G20 in ihren Kommuniqués gerne als „erstes Forum der weltwirtschaftlichen Koordinierung“. Diesem Anspruch wird die Gruppe aber bestenfalls teilweise gerecht. Am weitreichendsten waren noch die Beschlüsse zum Thema „Finanzmarktreformen“, ausgehend von dem Gipfel in London 2009, wenngleich auch diese Agenda eine weitgehend unvollendete blieb und entsprechende Maßnahmen – von einer kosmetischen Reform der Governance-Strukturen der Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank abgesehen – von der Umsetzung in den jeweiligen Mitgliedsländern abhängig blieben bzw. derzeit bereits wieder zurück gerollt werden.

Ein Beispiel ist der Versuch der Reregulierung der Finanzmärkte (z.B. durch eine Aufwertung des bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) angesiedelten Rats für Finanzstabilität, die Verschärfung der Pflichten der Banken zur Rücklagen- und Pufferbildung im Rahmen von Basel III oder die Wiedereinführung des Trennbankensystems in den USA). Ungelöst ist bis heute das jedoch sog. Too-big-to-fail-Problem, wonach „systemrelevante“ Banken nicht pleitegehen dürfen, oder die Regulierung des Bereichs der „Schattenbanken“, wo Finanzfirmen praktisch ohne staatliche Kontrolle agieren können. Insgesamt übersteigt das Volumen der Finanzgeschäfte inzwischen wieder die Größenordnung von vor der Finanzkrise, während auch der Handel mit gefährlichen und synthetischen Finanzprodukten, die teilweise für den Ausbruch der Krise verantwortlich waren, auf beängstigende Weise wächst.

● Von der Stimulierung zur „Stabilitätspolitik“ und zum Handelskrieg

Eine weitere entscheidende politische Korrektur bzw. Kehrtwende innerhalb der G20 war seit etwa 2010 der Wechsel von der konjunkturpolitischen Stimulierung zur fiskalischen Stabilisierung in der Wirtschaftspolitik. Während zu Beginn noch Einigkeit herrschte, dass eine Wiederholung der Großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre auch durch Konjunkturprogramme verhindert werden müsse (den beeindruckendsten Beitrag leistete hier wohl China), hat sich seither das Prinzip der Stabilisierung der Haushalte durchgesetzt – mit der Konsequenz einer nur mäßigen Erholung der Weltwirtschaft, die jederzeit in eine neue Rezession umkippen kann.

Im Nachgang der globalen Finanzkrise hatten die G20 auch das ehrgeizige Versprechen abgegeben, eine Beschädigung des Welthandels zu verhindern und sich vor allem protektionistischer Praktiken zu enthalten. Dies hat eine Zeitlang funktioniert, allerdings nur so lange, wie alle Beteiligten den Willen und die Bereitschaft zur Einhaltung multilateraler Regeln aufbrachten. Dieses „Stillhalten“ ist mit dem Amtsantritt der Trump-Administration in den USA („America First“) jäh beendet worden. Seither treten auch in der G20 immer mehr Handelskriege an die Stelle des Bemühens um Stabilisierung und Kooperation. Wie das „Waffenstillstandstreffen“ zwischen Trump und Xi am Rande des G20-Gipfels von Buenos Aires Ende 2018 zeigte, stellen die G20 möglicherweise nur noch ein Forum für fragwürdige Interimslösungen dar, die hernach um eine nur noch gefährlichere Eskalation des Handelskriegs abgelöst werden. Dies verweist vielleicht am deutlichsten auf die Grenzen eines lediglich informellen Multilateralismus und seine Gefährdung durch die Rückkehr zu rein geoökonomischer Machtpolitik.

● Tiefe Gräben in Osaka

Diese Diagnose wurde durch den G20-Gipfel in Osaka weitgehend bestätigt. Zwar wurde auch hier wieder ein Waffenstillstand im Handelskrieg der USA gegen China vereinbart, nachdem der chinesische Präsident Xi den Westen angeklagt hatte, dessen Protektionismus „zerstört die globale Handelsordnung“. Doch auch dieser Waffenstillstand kann – je nach Laune Trumps – schnell wieder aufgekündigt werden. Und zwischen einem Waffenstillstand und der Schaffung von friedlichen Verhältnissen im globalen Handel ist es ein langer Weg, wie Mohammed El-Erian, Wirtschaftsberater der Allianz, zu Recht anmerkte.

Ansonsten gab es zwar eine gemeinsame „Leaders‘ Declaration“. In puncto Handel ist diese jedoch auf allgemeine Prinzipien entkernt, denen kaum jemand widersprechen kann: Freiheit, Fairness, Nichtdiskriminierung, offene Märkte und ein Spielfeld für alle Handelsteilnehmer „auf Augenhöhe“. Selbst das Bekenntnis zur dringenden Reform der WTO ist hohl, da doch erst einmal geklärt werden müsste, was unter einer solchen „Reform“ zu verstehen ist. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtig, dass die Entgegensetzung „Protektionismus – Freihandel“ aus Sicht der globalen Zivilgesellschaft ohnehin falsch ist, da es in Wirklichkeit um „neoliberalen Marktfundamentalismus versus Nachhaltigkeit für die Menschen und den Planeten“ geht, wie die Civil 20 in ihrem Abschlusskommentar betonte.

Der Klimaschutz ist mit dem Osaka-Gipfel noch mehr ins Hintertreffen geraten. Zum dritten Mal wurde jetzt der Trick angewendet, dass 19 G20-Länder sich zum Pariser Abkommen bekennen, während auch die Sabotage des Abkommens durch die USA ins Kommuniqué geschrieben wird. Vielleicht sind die G20 besser geworden im Management der Störmanöver seitens der USA, aber dies nur auf Kosten der Substanz.

Um die Zukunft der G20 scheint es nach diesem Gipfel schlechter bestellt denn je: 2020 liegt die Präsidentschaft bei den Klimafeinden in Saudi Arabien, 2021 bei Italien (mit welcher Regierung auch immer) und 2022 bei Indien. Na, letzteres könnte dann doch ein Hoffnungsschimmer sein.

Hinweis:
* Der Beitrag stützt sich im ersten Teil auf mein G20-Stichwort für das „ABC der globalen (Un-)Ordnung“, das dieser Tage im VSA Verlag Hamburg erscheint. Bezug: Buchhandel

Posted: 28.6.2019; aktualisiert am 1.7.2019

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk: Im Schatten des Handelskriegs USA-China: G20-Bilanz nach dem Osaka-Gipfel, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 28. Juni/1. Juli 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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