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Irland: Vom Wirtschaftswunder auf die Schlachtbank

Artikel-Nr.: DE20101125-Art.63-2010

Irland: Vom Wirtschaftswunder auf die Schlachtbank

Wohin das Extremsparen an Europas Peripherie führt

Vorab im Web – Aus Sorge um mögliche Ansteckungseffekte drängten die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank die irische Regierung, sich unter den Schutzschirm der Euro-Zone zu begeben. Am 21. November stellte Dublin nach einigem Zögern den gewünschten Antrag. Auch der IWF und einzelne Staaten außerhalb der Euro-Zone (vor allem Großbritannien) wollen sich an der Stützungsaktion beteiligen. Danach soll sich Dublin aus der Finanzkrise sparen – eine zweifelhafte Vorstellung, wie Joachim Becker zeigt.

Irland galt noch bis kurzem als Wirtschaftswunderland. Anfangs war der Aufschwung zum Teil durch US-Investitionen angefacht. Doch führten die hohen Direktinvestitionen auch zu sehr hohen Gewinnabflüssen und einer hoch defizitären Einkommensbilanz. Das Defizit der Einkommensbilanz ist zwischen 1998 und 2009 von 9,4 Mrd. € auf 27,9 Mrd. € gestiegen. Das Bruttoinlandsprodukt, auf das sich die Wirtschaftswunderdaten beziehen, lag 2009 21,7% über dem Bruttosozialprodukt, das für die im Inland zur Verfügung stehende Einkommensmasse maßgeblich ist. Die Einkommenssituation ist also weniger rosig als es die BIP-Daten nahelegen würden.

* Ein klassischer Weg in die Finanzkrise

Ähnlich wie die anderen vermeintlichen Wirtschaftswunderländer – etwa Lettland oder Spanien – war das irische Wunder hochgradig auf Schulden aufgebaut. Eine lasche Regulierung des Finanzsektors begünstigte dessen extreme Expansion. Der Beitritt zur Euro-Zone ermöglichte niedrigere Zinsen. Dies begünstigte einen kreditfinanzierten Immobilien- und Konsumboom, während sich die durch US-Investitionen angefachte Dynamik abschwächte.
Noch 2006 erreichten die Preissteigerungsraten bei irischen Immobilien in manchen Quartalen mehr als 15% jährlich. Ab dem 3. Quartal 2007 begannen sie jedoch zu fallen. Und Irland geriet auch als eines der ersten EU-Länder in die Rezession. Diese verschärfte die Zahlungsprobleme der irischen KreditnehmerInnen. Möglicherweise ist bereits jetzt etwa jeder achte Hypothekenkredit notleidend.

Bei der Gesamtverschuldung (privat und öffentlich) erreicht Irland in der EU einen Rekordwert. Dies hat seine Ursache primär in der extremen privaten Verschuldung, vor allem der Banken, aber auch der Privathaushalte. Auf die Zuspitzung der Finanzkrise reagierte die irische Regierung im September 2008 fast panisch und garantierte alle Einlagen bei irischen Banken. Aufgrund der zunehmenden Schieflage mehrerer Banken folgten Bankverstaatlichungen und eine Sozialisierung der Verluste im Finanzsektor. Aufgrund der Stützungsmaßnahmen für Banken wird sich das öffentliche Defizit dieses Jahr auf etwa 32% des BIP belaufen, auch das Rekordwert in der EU. Irland ist damit auf dem klassischen Weg der Finanzkrise – aus privater Überschuldung wird über eine Sozialisierung der Verluste eine rasch steigende Staatsschuld.

* Begehrliche und exponierte Banken

Die Gläubiger Irlands und vor allem der irischen Banken fürchten nun Verluste und eine weitere Ansteckung. Auf den schlechten Ruf Irlands und anderer Peripherieländer wie Portugal oder Spanien, in denen hohe private Schulden ebenfalls ein Problem sind (wenn auch nicht im irischen Ausmaß), reagieren sie mit dem Begehren auf höhere Zinsen bzw. mit Einschränkung der Kreditvergabe. Letzteres trifft vor allem die irischen Banken, die sich nun weitgehend bei der EZB refinanzieren müssen. Tendenziell betrifft es auch zunehmend Banken und den Staat in Portugal und Spanien.

Portugal und Spanien weisen, ähnlich wie Griechenland, hohe Handelsbilanzdefizite und damit einen entsprechenden externen Finanzierungsbedarf auf. Allerdings sind ihre Schuldendaten – private und öffentliche Verschuldung – im EU-Kontext nicht besonders extrem (bei der Verschuldung der Privathaushalte allerdings hoch), und die Finanzsektoren waren in den nordwesteuropäischen Ländern – Großbritannien und Benelux – auf dem bisherigen Krisenhöhepunkt 2008/2009 deutlich härter getroffen worden als die südeuropäischen Banken. Bei der Verschuldung der Privathaushalte liegen die Niederlande und Großbritannien im Spitzenbereich.

Die irischen Finanz- und Immobilienblasen waren von westeuropäischen Banken alimentiert worden. Die Hauptgläubigerbanken Irlands sind unter den britischen Banken mit 149 Mrd. US-Dollar und den deutschen Banken mit 138 Mrd. US-Dollar zu finden. Besonders weit haben sich auch die belgischen Banken in Irland aus dem Fenster gelehnt. Die Außenstände sind oft bei wenigen Banken konzentriert, im deutschen Fall vor allem bei der Milliarden Stützungen schluckenden Hypo Real Estate.

Das irische Hilfsersuchen wurde folglich vor allem von Ländern befürwortet, bei denen die Banken sich besonders stark in Irland und in anderen Peripherieländern engagiert hatten. In Südeuropa sind das neben den deutschen Banken vor allem französische Banken.

* Wie sich Irland aus der Verschuldung sparen soll

Bei der Stützung Irlands geht die Europäische Kommission anscheinend von einer vorübergehenden Liquiditätskrise aus. Das Ausmaß der Verschuldung deutet jedoch auf eine Insolvenzkrise eines Teils der irischen Banken und Haushalte hin. Es ist nicht erkennbar, wie sie angesichts ihrer Überschuldung und ihrer schwachen Finanzlage auf Dauer ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen können. Insolvenzprobleme könnten jedoch nur durch Schuldenstreichungen gelöst werden.

Mit Extremsparen aus der Krise?


Die Europäische Kommission und der IWF vertreten ähnlich wie in den ost- und südeuropäischen Ländern, die EU-/IWF-Kredite erhalten haben (Lettland, Ungarn, Rumänien und Griechenland) die Auffassung, Irland solle sich aus der Krise sparen. Insofern ist eine weitere Radikalisierung der irischen Austeritätspolitik vorgesehen. Das aktuelle Austeritätspaket beläuft sich auf 15 Mrd. Euro und ist damit im Umfang noch größer als die fünf Sparpakete der letzten zweieinhalb Jahre von zusammen 14,5 Mrd. Euro. Unter anderem sind bei Sozialleistungen weitere Kürzungen um insgesamt 13% vorgesehen, der Stellenabbau im öffentlichen Dienst soll auf 24.750 Stellen verdoppelt werden, der Mindestlohn um einen Euro auf 7,65 Euro pro Stunde reduziert werden (s. auch unsere Grafik). Während so die Kürzungen im Sozialbereich und Gehältern ihre Radikalisierung erfahren, erklärte die irische Regierung den Körperschaftssteuersatz von 12,5%, der in einigen EU-Ländern auf Kritik stieß, für eine Sache der nationalen Ehre und lehnt dessen Erhöhung als einen Beitrag zur Stärkung der Einnahmeseite ab.

Die derzeitige irische Regierung wird das Sparpaket nur mit Mühen durch das Parlament bringen können. Unmittelbar nach Ankündigung des Abkommens mit der EU und dem IWF erreichten die Spannungen in der Regierung ihren Höhepunkt, und vorzeitige Neuwahlen wurden anberaumt. Der eng mit dem Finanzsektor verbandelten Fianna Fáil-Partei droht nach dem Offenbarungseid für ihre Wirtschaftspolitik die Abwahl. Ihre Nachfolger werden sich allerdings in der Zwangsjacke der EU-/IWF-Abkommen wiederfinden und kaum über politische Spielräume verfügen. Soziale Frustration und Wut nehmen erkennbar zu.

* Weiterer Niedergang vorgezeichnet

Stellenabbau, Lohnkürzungen und Sozialabbau werden weitere irische SchuldnerInnen unmittelbar in Zahlungsprobleme bringen. Die rigorose Sparpolitik wird den Fall des irischen BIP und die Zunahme der Arbeitslosigkeit (bereits 14,1% im September 2010) absehbar beschleunigen. Dies wird negativ auf die Steuereinnahmen durchschlagen. Die Schuldenlast des Staates wird im Verhältnis zum BIP steigen. Die Sparpolitik ist nicht nur in Irland auf Deflation ausgerichtet. Ein Fallen des Preisniveaus hätte zunehmende Lasten für die SchuldnerInnen zur Folge. Deren Einnahmen würden sinken, während die Schuldenlast nominell gleich bliebe und damit real stiege.

Die Sparpolitik löst die Schuldenprobleme Irlands nicht, sondern verschärft sie. Auch die Vorstellung, Irland und andere Peripherieländer, könnten sich dank gesenkter Löhne und Sozialleistungen aus der Krise exportieren, scheint illusionär. Denn auch in den Exportmärkten wird massiv gekürzt. Das gilt im irischen Fall gerade für Großbritannien, wohin 2009 allein 16% der irischen Exporte gingen.

Die Spannungen in der Euro-Zone nehmen so weiter zu. In den Peripherieländern setzt die EU-Kommission im Verein mit dem IWF auf eine deflationäre Politik. Dies verschärft in den Peripherieländern rezessive Tendenzen und die Schuldenlast. Führt die deflationäre Politik zum Erfolg, hat dies steigende Realzinsen zur Folge. Hinzu kommen die ohnehin schon steigenden Zinsforderungen an die Peripherieländer. Die Euro-Zone differenziert sich aus. Durch deutliche Zinsunterschiede zwischen Zentrums- und Peripherieländern, vor allem zwischen Deutschland und den südeuropäischen Ländern, war auch die Zeit vor der Währungsunion gekennzeichnet.

* Unterbietungsspirale trifft auch Europas Zentren

Bezogen auf die deklarierten Ziele – Schuldenabbau und Konsolidierung der Euro-Zone – erscheint die von der Europäischen Kommission verfochtene Sparpolitik kontraproduktiv. Doch hat sie eine Rationalität. Diese besteht in einer Verschiebung der Einkommensverteilung zu Ungunsten der Lohnabhängigen und einem radikalisierten Sozialstaatsabbau, was unter Krisenbedingungen leichter durchsetzbar erscheint und den Mustern der Krisenbekämpfungspolitik in den frühen 1930er Jahren gleicht. Der konzertierte Sozialstaatsabbau und Druck auf die Löhne in der Peripherie, aber auch sehr ausgeprägt in Großbritannien, wird Folgen für jene Kernländer der EU haben, die bislang beim Extremsparen noch nicht so weit gegangen sind. So wird eine EU-weite Unterbietungsspirale bei Sozialleistungen und Löhnen in Gang gesetzt.

Dr. Joachim Becker ist a.o. Professor für Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Veröffentlicht: 25.11.2010

Empfohlene Zitierweise: Joachim Becker, Irland: Vom Wirtschaftswunder auf die Schlachtbank, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25.11.2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).