Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Klimapolitik in der Post-Governance-Ära

Artikel-Nr.: DE20171123-Art.22-2017

Klimapolitik in der Post-Governance-Ära

Kaum Anlass zum Feiern

Vorab im Web - Vor 25 Jahren – mit der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention – hat sich die internationale Klimapolitik als eigenständiges Politikfeld etabliert. Das war die politische Konsequenz der wachstumsgetriebenen Ressourcenextraktion und der Produktion auf der Input- und den Schadstoffen, Verschmutzungen und Emissionen auf der Output-Seite des Weltwirtschaftssystems. Doch wie sich zuletzt auf der Klimakonferenz in Bonn zeigte, ist heute vom Kooperationsansatz der 90er Jahre kaum noch etwas übrig geblieben, schreibt Achim Brunnengräber.

Damals, bei der UN-Konferenz für Umwelt- und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro, wurden noch weitere internationale Abkommen verabschiedet, so zum Schutz der biologischen Vielfalt, gegen das Waldsterben oder gegen die Ausbreitung der Wüsten. Denn die in Kauf genommenen oder unerwarteten Nebenwirkungen der Produktions- und Konsumweise zeigten schließlich immer deutlicher auch ihren grenzüberschreitenden Charakter. Insgesamt ist in der internationalen Umweltpolitik seither ein schier unüberschaubares Geflecht aus umweltrelevanten Konventionen, Protokollen, Abkommen und Erklärungen entstanden. Das Ende des Ost-West-Konfliktes 1989/1990 und die sich politischen internationalen Beziehungen schienen der Umweltpolitik neue (unbegrenzte) Handlungsräume zu eröffnen.

● Wie gestaltungsfähig sind internationale Umweltinstitutionen?

Das 25. Jubiläum gibt aber kaum Anlass zum Feiern. Es stellt sich vielmehr die Frage wie steuerungs-, handlungs- und gestaltungsfähig die internationalen Umweltinstitutionen heute noch sind angesichts der aufbrechenden globalen Widersprüche und Krisen, die merklich in die „Weltumweltpolitik“ hineinwirken? Seit langem schon lässt sich beobachten, dass Staaten begonnen haben, sich wieder aus den internationalen Regimen, Organisationen und Abkommen zu verabschieden oder ihr Ambitionsniveau dort drastisch zu reduzieren. Davon wird nur abgelenkt, wenn einzig US-Präsident Donald Trump der schwarze Peter zugeschoben wird. Denn im Wesentlichen setzt das neoliberale Dreigestirn aus Wachstum, Deregulierung und Privatisierung in Verbindung mit einer billigen Rohstoffversorgung nach wie vor die Grenzen der internationalen Umweltpolitik, denen mit den politischen Möglichkeiten der Vereinten Nationen bisher kaum begegnet werden konnte. Nicht nur die klimaschädlichen Treibhausgase steigen im globalen Maßstab weiter an, auch der Verlust der biologischen Vielfalt, die Versiegelung der Landschaft oder die Wüstenausbreitung schreiten unvermindert voran.

Folglich hat sich die internationale Umweltpolitik in Nischen eingerichtet; die ergriffenen Maßnahmen reichen an die zentralen Ursachen der Probleme nicht heran. Nachfolgend soll am Beispiel der internationalen Klimapolitik verdeutlicht werden, warum sich nach einer Phase der Etablierung einer scheinbar gefestigten Umweltpolitik (Entstehungsphase) in den 1990er Jahren eine neue, marktfreundliche Umweltgovernance durchsetzen konnte (erste Transformationsphase), die heute jedoch von einer Phase der Re-Nationalisierung und der Post-Governance-Ära überlagert wird (zweite Transformation). Dem liegt die These zu Grunde, dass trotz aller Dringlichkeit zur Lösung grenzüberschreitender sozial-ökologischer Krisen eine Konstante über alle Phasen hinweg darin besteht, dass internationale Umweltpolitik von starken nationalstaatlichen, ökonomischen wie energiepolitischen Interessen geleitet wird (s. Hinweis).

● Von starken Regelmechanismen zum soft law

In den 1970er Jahren, der Entstehungsphase internationaler Umweltpolitik, wurde noch sehr viel Hoffnung auf die Wirkungsmacht von Persönlichkeiten und Kommissionen gesetzt. So wurde 1983 die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der UN (Brundtland-Kommission) gegründet, die 1987 ihren Bericht „Our Common Future“ veröffentlichte. Es war der Verdienst dieser Kommission, dass sowohl dem Thema Nachhaltigkeit als auch dem Umweltschutz auf internationalem Parkett größere Bedeutung zugemessen wurde.

Die Umweltpolitik der damaligen Zeit bediente sich vor allem der klassischen Politikinstrumente. Mit klaren Regeln, Verboten und bindenden völkerrechtlichen Verträgen, die nicht selten Sanktionen und überprüfbare Ziele beinhalteten, wurde die Umwelt zu schützen versucht. Das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht von 1987 folgte dem Vorsorgeprinzip und beinhaltete noch einen starken Regelungsmechanismus. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zur Reduzierung und schließlich zur vollständigen Abschaffung der Emission von chlor- und bromhaltigen Chemikalien, die die Ozonschicht schädigten.

In den 1990er Jahren und in der Folge der UNCED-Konferenz war jedoch unübersehbar, dass sich das internationale System in einer ersten Transformation befand, im Zuge dessen sich auch neue Strategien der Umweltgovernance herausbildeten. Zwar wurde den globalen Problemlagen wie der sozialen Ungleichheit, dem Klimawandel, dem Verlust an biologischer Vielfalt mehr Beachtung zuteil. Auch wurde daraus in den internationalen Beziehungen ein globales, gleichgerichtetes und gemeinsames Interesse an der effektiven Problemlösung abgeleitet, die durch eine robuste Global Governance-Architektur bearbeitet werden sollte. Demnach sollten Staaten sich sogar nicht mehr ohne weiteres auf ihre territoriale Souveränität und ihre nationalstaatlichen Institutionen berufen können.

Doch zugleich wurde die Neoliberalisierung der Umweltpolitik wesentlich vorangetrieben. Die Hoffnung auf eine „ökologische Modernisierung“, die sich auf eine erfolgreiche Verknüpfung von Umwelt- und Klimaschutz auf der einen und wirtschaftliches Wachstum auf der anderen Seite stützt, verlieh der UN-Umweltpolitik weiteren Rückhalt. Grünes Wachstum und nachhaltige Entwicklungen sollten nun aber nicht mehr durch Verbote und restriktive Regeln, die klassischen Umweltinstrumente, sondern durch soft law („weiches Recht“) und marktkonforme Instrumente wie den Emissionshandel gefördert werden.

● Umweltgovernance in Krisenzeiten

Die UN und noch mehr deren Umweltprogramm UNEP haben keinen eigenen, oder nur einen eingeschränkten Akteurscharakter; die UN sind kein internationaler Advokat für eine zu schützende Umwelt, sondern die Summe aus sehr unterschiedlichen Interessenlagen, die letztlich die UN-Umweltgovernance formen. Schon deshalb und aufgrund des Konsensprinzips blieb die internationale Umweltgovernance der UN institutionell schwach, auch weil sie stets den Internationalen Finanzinstitutionen und der Welthandelsorganisation nachgelagert war. Auch die geringen Ressourcen sprechen für sich: UNEP ist nach wie vor keine Organisation, sondern ein Programm, welches von freiwilligen Zahlungen abhängig ist und einen nur begrenzten Handlungsradius hat. Umwelt-, Klima- oder Biodiversitätspolitik können nicht losgelöst von diesen Rahmenbedingungen und den Machtverhältnissen gesehen werden, die in Zeiten multipler Krisen (Nordkorea, Brexit, Ukraine, America First, Syrien/IS etc.) stärker als in Phasen der Annäherungen in den internationalen Beziehungen ihre Wirkung entfalten.

Die Grundpfeiler, auf denen der Welthandel basiert, werden aber auch in diesen Krisenzeiten ebenso wenig wie das auf fossilen und nuklearen Ressourcen basierende Energiesystem in Frage gestellt – oder etwa durch internationale Umweltverhandlungen zu transformieren versucht. Das zeigt sich schon daran, dass die grundlegenden Trends der ökologischen Degradation nicht umgekehrt werden konnten. Diese Tatsache lässt sich auch nicht dadurch beiseiteschieben, dass das Narrativ – oder das Post-faktische – der Dekarbonisierung längst in Regierungsbekundungen aufgenommen wurde und daher zum Hoffnungsschimmer stilisiert wird. Denn die Post-Governance-Ära in der Umweltpolitik hat längst begonnen. Nationale Interessen treten wieder stärker in den Vordergrund, wie auch die internationale Klimapolitik zeigt. Die Instrumente des Kyoto-Protokolls spielen seit der gescheiterten Konferenz 2009 in Kopenhagen keine Rolle mehr; sie zeitigten nur sehr bedingt oder sogar negative Wirkungen.

Also musste sich die UN-Klimagovernance neu erfinden. Wie Phönix stieg sie 2015 aus der Asche. Nach dem Klimaabkommen von Paris hat jedes Land größtmöglichen Handlungsspielraum, um etwas zum Schutz des Klimas beizutragen. Auch abwarten und nicht- oder noch-nicht-handeln fällt darunter. Die letzten Zweifel, ob diese Lesart des Abkommens falsch sein könnte, wurden bei der Klimakonferenz in Bonn 2017 beseitigt. Die Sammlung von Megapapieren und Entwürfen für Regelwerke, die erst in der Zukunft ihre Wirkung entfalten sollen, ist alles andere als Ausdruck eines starken Multilateralismus. Das Bonner Ergebnis dokumentiert die widersprüchliche Vielfalt an Sichtweisen, die mit Klimapolitik einhergehen können.

● Symbolpolitik und Widerstand

In dieser stark von nationalen Interessen geprägten, zweiten Transformationsphase zeigt sich, dass internationale Umweltpolitik ein Politikfeld darstellt, das ausgeprägte Züge von Symbolpolitik in sich trägt, weil sie von zentralen Ursachen der ökologischen Krise ebenso wie von nationalen Widerständen ablenkt. Dafür muss nicht nach Polen, Australien, Indien, Russland oder die OPEC geschaut werden, für die fossile Energieträger wichtige Exportgüter darstellen oder in erheblichem Umfang der Stromerzeugung dienen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich die gesellschaftliche Umkämpftheit der Energiewende, wie zuletzt bei den (misslungenen) Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition. Klimaschutz und Kohleausstieg waren Reizworte, die phasenweise tabuisiert wurden, um nicht die ganzen Verhandlungen zu gefährden.

Dem globalen Klimaschutz stehen folglich erheblich nationale lock in-Effekte und Pfadabhängigkeiten der fossilen Energieversorgung gegenüber. Wo auf nationaler Handlungsebene der Interessensausgleich nicht gelingt, kann dieser auch durch Umwelt- und Klima-Multilateralismus nicht hergestellt werden. Das Energieregime, das die Extraktion und den Zugriff auf die fossilen Ressourcen ebenso beinhaltet wie deren Transport und Vermarktung, den Handel mit paper oil an den internationalen Börsen und die auf fossilen Energien basierenden Industriebranchen wie die Automobil- oder Zementindustrie, darf durch die UN-Umweltgovernance nicht gestört werden.

Werte- und Interessenkonflikte um konkurrierende Transformationsmodelle hin zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit, also eine Vision für eine dritte Transformationsphase, werden in der UN in den Diskursen mit der Zivilgesellschaft, der kritischen Wissenschaft oder auch der Berichterstattung in Medien durchaus angesprochen. Aber auch die (unwahren) Geschichten über die Atomkraft, die für den Klimaschutz unnötig ist und darüber hinaus eine Risikotechnologie darstellt, oder über Geoengineering, das die globale Atmosphäre vor den Treibhausgasten schützen könne, werden hier erzählt. In dem Maße, wie die Substanz der eigentlichen UN-Verhandlungen sinkt, werden die Konferenzhallen immer mehr zum Markt der Möglichkeiten. Daher haben UN-Konferenzen vielleicht eine positive Breitenwirkung auf das Konsum- oder Mobilitätsverhalten in der Bevölkerung oder gar auf die globale Entwicklung der Emissionen. Das müsste aber erst noch belegt werden. Die Verhandlungen aber sind die Kristallisationspunkte der vorherrschenden weltpolitischen Machtkonstellationen, die vom Kooperationsimperativ der 1990er Jahre mit all den UN-Weltkonferenzen weit entfernt sind. Die Folgen des Klimawandels sind heute noch augenscheinlicher und katastrophaler als damals, daran bestehen keine Zweifel. Politisches Handeln auf internationaler wie auf nationalstaatlicher Ebene bleibt jedoch weit dahinter zurück.

Hinweis:
* Achim Brunnengräber: Die Vereinten Nationen in der Post-Governance-Ära. Internationale Umweltpolitik, neue Welt(un)ordnung und multiple Krisen, in: Karl-Werner Brand (Hg.): Die sozial-ökologische Transformation der Welt. Ein Handbuch, Campus: Frankfurt-New York 2018, S. 299-320

Posted: 23.11.2017

Empfohlene Zitierweise:
Achim Brunnengräber, Klimapolitik in der Post-Governance-Ära. Kaum Anlass zum Feiern, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. November 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.