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Leben für die entwicklungspolitische Publizistik

Artikel-Nr.: DE20131123-Art.42-2013

Leben für die entwicklungspolitische Publizistik

Zum Tod von Kai Friedrich Schade

Vorab im Web – Erhard Eppler hatte gerade zum ersten Mal am 16. Oktober 1968 als neu bestallter Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (damals noch ohne den Zusatz Entwicklung) auf der Regierungsbank im Bundestag Platz genommen, als BMZ-Staatssekretär Udo Hein mit einem weinroten Aktendeckel „geheim“ zu ihm eilte, in dem sich der Beschluss befand, Kai Schade zu entlassen. Ein Nachruf von Konrad Melchers.

Hein war dem Verlangen des Verfassungsschutzes gefolgt. Die Begründung: Schade habe mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) Kontakt gepflegt – auf Weisung der BMZ-Leitung. Denn die wollte mehr wissen über die Imperialismus-Kritik der APO, als ihr vom Verfassungsschutz geliefert wurde. So war die erste Amtshandlung von Eppler als Minister, Kai Schade wieder einzustellen. Denn Eppler wollte sich erst recht nicht administrativ-staatsgewaltig, sondern inhaltlich mit der Imperialismus-Kritik auseinandersetzen.

● Vom BMZ-Montagskreis …

Bald gründeten einige junge BMZ-Mitarbeiter, denen die Analyse von Karl Marx über die „ursprüngliche Akkumulation“ nicht unbekannt war, den „Montagskreis“. Einer der Gründer war Kai Schade. Zu den Taten dieses Kreises, der sich montags gegen 17 Uhr halb während der und halb nach der Arbeitszeit im BMZ traf, gehörte, die 10 Antworten des BMZ auf die Kritik der APO an der BMZ-Entwicklungspolitik zu formulieren. Spektakulärer war eine Veranstaltung mit dem PLO-Vertreter im großen Sitzungssaal des BMZ, die vom NDR gefilmt wurde. Die Intervention des israelischen Botschafters ließ nicht auf sich warten.

Einige Monate früher als Eppler seine erste Amtshandlung vollzog, tagte im Juli 1968 die 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Uppsala. Auf Wunsch vor allem der Kirchen im Süden rief die Versammlung die Mitgliedskirchen auf, geeignete Maßnahmen gegen die verzerrte Berichterstattung über die Dritte Welt und die Nord-Süd-Beziehungen zu ergreifen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschloss daraufhin, einen Informationsdienst Entwicklungspolitik zu gründen, der beim Evangelischen Pressedienst (epd) angesiedelt wurde. Kai Schade erkannte die Möglichkeit, mehr zu bewirken als im Öffentlichkeitsreferat des BMZ. Er wurde im Oktober 1970 Verantwortlicher Redakteur, der dem Ruf des ÖRK folgend den Beschluss der EKD in die Tat umsetzte.

… zu epd-Entwicklungspolitik

Über die Aufgaben der 14-täglichen Publikation gab es von Anfang an elementare Meinungsunterschiede. Die einen glaubten, mit „objektiven“ Nachrichten und auch nur mit „Nachrichten“ sei dem Problem der „Verzerrung“ in der Berichterstattung beizukommen. Kai Schade sah dagegen, dass das Problem nur ganzheitlich angegangen werden könne, das heißt mit einer Zeitschrift, die nicht nur Nachrichten verbreitet, sondern ein Diskursforum schafft für entwicklungspolitische Multiplikatoren in Zivilgesellschaft, Kirche, Wissenschaft, Politik, Staat und Wirtschaft, also für die großen gesellschaftlichen Stakeholder.

Auch thematisch steckte Kai Schade einen weiten politischen Raum ab, entlang der Schnittstellen zwischen Frieden, Gerechtigkeit und - sehr früh in einer Vorreiterrolle - der Bewahrung der Schöpfung. Während die anderen Publikationen im Themenspektrum der Entwicklungszusammenarbeit damals kaum mehr als Mitteilungsblätter ihrer jeweiligen Herausgeber waren, wurde epd-Entwicklungspolitik mehr und mehr die publizistische „Heimat“, das Forum und ein Sprachrohr des kritischen Diskurses sowie eines ganzheitlichen Verständnisses von entwicklungspolitischer Publizistik.

Das wirkte auch auf andere Publikationen. So mauserte sich die vom BMZ finanzierte Monatszeitschrift „Entwicklung + Zusammenarbeit“ von einer Hauspostille der Deutschen Stiftung für Internationale Zusammenarbeit (DSE) zu einem nicht unkritischen entwicklungspolitischen Fachmagazin. Auch das Mitteilungsblatt „der überblick“ von „Dienste in Übersee“ profilierte sich zu einem Magazin für die Weltbürger. Es ist deshalb angemessen, wenn die Unterzeichner eines Nachrufs auf Kai Schade, der am 22. November 2013 in der FAZ veröffentlich wurde, schreiben, dass Kai Schade der Begründer der entwicklungspolitischen Publizistik in Deutschland war.

● Dauerkonflikt um Profil und Form

Der Anzug, in den der Rat der EKD das Projekt steckte, passte allerdings nicht. Der epd bot zwar die Möglichkeit, dass die Zeitschrift als Teil der gesellschaftlichen Großinstitution Evangelische Kirche insbesondere von der Politik erkannt und dementsprechend ernst genommen wurde. Aber der epd war an einer gesellschaftlichen Diskurspublikation, wie sie Kai Schade entwickelte, nicht nur nicht interessiert. Er bekämpfte sie. Ein zermürbender Dauerkonflikt war die Folge. Als Kai Schade versuchte, Misereor als Förderer der Zeitschrift zu gewinnen, drohte ihm die Chefredaktion mit einer Abmahnung.

Am Schluss erreichte Kai Schade aber dennoch die Trennung vom epd und die Gründung eines starken Herausgeberkreises aus den großen kirchlichen Hilfswerken Brot für die Welt/EED, Misereor und deren Schwesterorganisationen in der Schweiz sowie Kindernothilfe und Christoffel Blindenmission. Bei der Fusion der Zeitschrift mit dem „überblick“ zu den „welt-sichten“ gingen zwar der Focus auf die Entwicklungspolitik, die Forumsrolle für den breiten Kreis von Multiplikatoren und die Fähigkeit, auf politische Prozesse einzuwirken, verloren, aber das Monatsmagazin ist weiter eine Publikation, die auf breiter thematischer Grundlage kritisch berichtet. Insofern wirkt auch dort das publizistische Werk Kai Schades weiter.

Für sein publizistisches Lebenswerk verlieh die Universität Leipzig Kai Schade 2008 den Ehrendoktor. Kai Friedrich Schade verstarb am 14. November 2013 im Alter von 73 Jahren.

Veröffentlicht: 24.11.2013

Empfohlene Zitierweise:
Konrad Melchers, Ein Leben für die entwicklungspolitische Publizistik. Zum Tod von Kai Friedrich Schade, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. November 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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