Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Lehren für die Süd-Süd-Kooperation

Artikel-Nr.: DE20150525-Art.12-2015

Lehren für die Süd-Süd-Kooperation

Lateinamerikas China-Boom

Vorab im Web - Für viele südamerikanische Politiker hätte der Besuch des chinesischen Premierministers Li Kequiang in der vorletzten Mai-Woche zu keinem besseren Zeitpunkt und aus keinem besseren Land kommen können. Die wirtschaftlichen Beziehungen Chinas und Lateinamerikas verliefen sehr stürmisch in den letzten Jahren, und China liegt inzwischen vor den USA als führende Exportdestination Südamerikas außerhalb der Region, schreibt Kevin P. Gallagher*).

Mehr noch – die Tinte unter großen Kreditabkommen mit Venezuela und Ekuador oder dem im Januar unterzeichneten Kooperationsplan zwischen China und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), nach dem der Handel um 500 Mrd. und die Investitionen um 250 Mrd. Dollar steigen sollen sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Technologie sowie Umweltschutz gestärkt werden sollen, ist noch kaum trocken. Da kamen schon Brasilien, Peru, Chile und Kolumbien an die Reihe – allesamt Ziele in Lis Reiseplanung. Es wurde erwartet, dass die Chinesen die Umsetzung des Kooperationsplans mit neuen Abkommen zu Wissenschaft, Handel und Währungsswaps beginnen.

● Der China-Boom ist vorbei

Die Erwartung beträchtlicher chinesischer Investitionen scheint gerechtfertigt angesichts der Tatsache, dass Peking mehr Kredite für lateinamerikanische Regierungen zur Verfügung stellt als die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank zusammengenommen – so die Erkenntnis der Global Economic Governance Initiative der Universität von Boston (s. Hinweis).

Nach dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wird erwartet, dass das lateinamerikanische Wachstum in diesem Jahr unter 1% fällt, nach enttäuschenden 1,4% in 2014. Das steht in deutlichem Kontrast zu dem „China-Boom“ der Region zwischen 2003 und 2013, als die Region vor allem dank der chinesischen Nachfrage nach lateinamerikanischen Rohstoffen und dem folgenden Preisanstieg, der mit Knappheit und Spekulation einher ging, um über 3% pro Jahr wuchs.

Anteil Chinas an den Exporten LAs und der Karibik


Doch diese Tage sind vorbei. Chinas Nachfrage hat sich mit der Rebalancierung seiner Ökonomie abgeschwächt und die Rohstoffpreise weltweit gedrückt. Mit dem rückläufigen Wachstum realisieren die Lateinamerikaner, dass ihre Regierungen nur geringe Erträge des China-Booms investiert haben. Die Bruttokapitalbildung in der Region belief sich nur auf schwache 19,6%, weit unter den 25%, die die Kommission für Wachstum und Entwicklung und andere Gremien für Entwicklungsländer empfohlen haben. Ekuador, Kolumbien und Peru lagen zwar über dem Durchschnitt, wenngleich sie niemals an die 25% herankamen, während die Investitionsraten in Argentinien, Brasilien und Venezuela blutleer waren.

● Nicht genutzte Windfall-Gewinne

Obwohl der China-bedingte Rohstoffboom der längste und lukrativste in der Geschichte der Region war, haben die meisten lateinamerikanischen Länder nach IWF-Untersuchungen weniger von diesen Windfall-Gewinnen gespart als in vergangenen Boom-Perioden. Der aktuelle Jahresbericht der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) fügt hinzu, dass die lateinamerikanischen Regierungen es auch nicht schafften, diesen Windfall-Gewinnen angemessene neue Steuereinnahmen zu generieren.

Es ist somit auch keine Überraschung, dass die Region wenig tat, um in die Exportwettbewerbsfähigkeit außerhalb des Rohstoffsektors zu investieren. Mehr als 78% der lateinamerikanischen verarbeiteten Exportgüter haben seit 2003 globale Marktanteile an ihre Konkurrenten verloren.

● Umweltdegradation

Mit dem China-Boom gingen darüber hinaus gravierende soziale und ökologische Kosten einher, die nicht vernünftig abgefedert wurden. Ein neuer Report mit dem Titel „China in Lateinamerika: Lehren für Süd-Süd-Kooperation und Nachhaltige Entwicklung“ (s. Hinweis) zeigt, wie die Ausbeutung von Primärrohstoffen, wie Erdöl, Kupfer, Eisenerz, Zinn, Sojabohnen u.ä., untrennbar mit Umweltzerstörung verknüpft ist.

Der jüngste China-Boom übte somit erhöhten Druck auf die Wassersysteme, die Wälder und andere Bereiche der Region aus, mit der entsprechenden Bedrohung der menschlichen Gesundheit, der Biodiversität, des Klimawandels und der lokalen Lebensgrundlagen. Dem erwähnten Report zufolge waren die lateinamerikanischen Exporte nach China – die am schnellsten wachsenden der letzten Dekade – nahezu doppelt so treibhausintensiv und zehnmal so schädlich für das Wasser wie die gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region.

● Infrastrukturlücke

Vor diesem Hintergrund sind Währungsswaps, Handelsverhandlungen, Wissenschafts- und Technologieabkommen und Finanzmittel für die Infrastruktur sehr willkommen. In der Tat sieht sich Lateinamerika einer Infrastrukturlücke von 6,2% des BIP gegenüber, und der IWF sagt, dass Infrastrukturinvestitionen den höchsten Multiplikatoreffekt auf den Rest der Ökonomie haben.

China und Lateinamerika täten ebenso gut daran sicherzustellen, dass die gleiche Aufmerksamkeit für die Risiken aufgebracht wird, die mit ihren Wirtschaftsbeziehungen einher gehen. Das bedeutet, die Erträge der Kooperation in Wettbewerbsfähigkeit ebenso wie in die soziale und ökologische Entwicklung zu investieren.

Wenn es die Lateinamerikaner nicht schaffen, ihre natürlichen Ressourcen vernünftig zu managen, wird die Quelle ihre komparativen Vorteile schwinden und sich in Verluste bei Wachstum und Wahlen übersetzen. Wenn auch China die negativen Konsequenzen seines Handels und seiner Investitionen in der Region nicht abmildert, wird es sein positives Image in einer Region, auf die es langfristige gesetzt hat, und obendrein eine Menge Geld verlieren.

© Financial Times

Hinweise:
* Rebecca Ray/Kevin Gallagher: China-Latin America Economic Bulletin, 22 pp, Boston, 2015 Edition. Bezug: über http://www.bu.edu/pardeeschool
* Rebecca Ray/Kevin P. Gallagher/Andres Lopez/Cynthia Sanborn: China in Latin America: Lessons for South-South Cooperation and Sustainable Development, 28 pp, Boston 2015. Bezug: über http://www.bu.edu/pardeeschool

Kevin P. Gallagher ist Professour für globale Entwicklungspolitik an der Universität Boston und Kodirektor der Global Economic Governance Initiative. Demnächst erscheint sein Buch The China Triangle: Latin America’s China Boom and the Fate of the Washington Consensus.

Posted: 25.5.2015

Empfohlene Zitierweise:
Kevin P. Gallagher, Lateinamerikas China-Boom: Lehren für die Süd-Süd-Kooperation, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. Mai 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.