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Neuer privater Kapitalboom in den Schwellenländern

Artikel-Nr.: DE20100815-Art.41-2010

Neuer privater Kapitalboom in den Schwellenländern

Zeit für koordinierte Kapitalverkehrskontrollen

Vorab im Web - Nach dem Einbruch von 2008 sind die privaten Kapitalzuflüsse in die Entwicklungs- und Schwellenländer wieder auf dem aufsteigenden Ast. Angesichts der überschüssigen Liquidität und der niedrigen Zinsraten in den Industrieländern dürfte dieser Trend auch noch einige Zeit anhalten. Mit dem Boom kommt erneut das Thema Kapitalverkehrskontrollen (KVKs) auf die Agenda zurück. Eine Übersicht von Rainer Falk.

Nach Schätzungen des International Institute of Finance in Washington dürften die privaten Kapitalzuflüsse in die aufstrebenden Ökonomien dieses Jahr 708 Mrd. Dollar erreichen. Das ist mehr als im letzten Jahr, als 531 Mrd. Dollar flossen, allerdings immer noch weniger als im Rekordjahr 2007, vor der globalen Finanzkrise, als 1277 Mrd. Dollar Privatkapital in die Schwellenländer strömten. Es sind Länder wie die Türkei und Indonesien, Brasilien und Indien, die von dem neuen Kapitalsegen profitieren, aber dieser Vorteil hat auch seine Kehrseiten.

* Heißes Geld statt langfristige Investitionen

Wie in früheren Phasen scheint viel „hot money“ in den Immobiliensektor und in den Konsum zu fließen statt in langfristige und produktive Investitionen. In einigen Schwellenländern gibt es bereits deutliche Hinweise auf neue Blasen in den heimischen Märkten, so im Immobiliensektor Chinas. Hinzu kommt, dass die internationalen Kapitalflüsse im Allgemeinen und insbesondere in die Entwicklungsländer in den letzten Jahrzehnten einen ausgeprägten Boom-und-Bust-Verlauf aufwiesen, d.h. in Zeiten der Expansion anstiegen, in Phasen des wirtschaftlichen Abschwungs aber fielen (s. Grafik).

Volatilität: Kapitalstrom in die Schwellenländer


Die Volatilität und Prozyklität der Kapitalflüsse, insbesondere der kurzfristigen, spielte in fast allen Krisen der Entwicklungsländer seit Anfang der 1980er Jahre eine Rolle. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwartungen, dass die Liberalisierung des Kapitalverkehrs die langfristigen Investitionen in den Entwicklungsländern befördern würde, führte das Gros der Zuflüsse zur Aufblähung von Finanzblasen, die regelmäßig platzten, wenn sich das Kapital infolge geänderter Erwartungen der Investoren wieder zurückzog.

* Einschränkung wirtschaftspolitischen Spielraums

Die Volatilität der Kapitalflüsse beeinträchtigt auch die Effektivität traditioneller wirtschaftspolitischer Instrumente. Im Allgemeinen erhöhen die Regierungen bei einer Verlangsamung des Wirtschaftstempos die Ausgaben und senken die Zinssätze. Offene Kapitalmärkte machen die Umsetzung dieser Politik aber schwieriger. Die Zentralbanken können sich in der Krise gezwungen sehen, die Zinsen zu erhöhen, um den Kapitalabfluss zu stoppen, was wiederum zu einem Anstieg der fiskalischen Defizite führen kann, weil die Kreditkosten steigen.

Eine ähnliche Dynamik lässt sich in Boom-Perioden beobachten, wie wir derzeit in einigen Schwellenländern sehen. Mit zunehmendem Kapitalzufluss fallen die Zinssätze und wird das Geldangebot inflationiert. Wenn die Zentralbanken darauf mit steigenden Zinssätzen reagieren, um eine Überhitzung abzuwehren, riskieren sie, sogar noch mehr kurzfristiges spekulatives Kapital anzulocken; das Geldangebot steigt so noch mehr, und der Versuch, Luft aus der finanziellen Blase zu nehmen, scheitert. Darüber hinaus setzen die Kapitalzuflüsse die Wechselkurse unter Aufwärtsdruck und beeinträchtigen so die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte.

Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen ist ein Weg, der Volatilität der Finanzmärkte zu begegnen. (Ein anderer ist die Anhäufung ausländischer Währungsreserven – allerdings ist dies auf Dauer recht kostspielig und mit dem Entstehen globaler Ungleichgewichte verbunden.) Es gibt verschiedene Typen der Kapitalverkehrsregulierung. Zu den direkten Kapitalverkehrskontrollen gehört die mengenmäßige und preisgestützte, administrative Regulierung, die sowohl auf Zuflüsse als auch auf Abflüsse angewendet werden kann. Einige Länder verwenden indirekte Regulierungen, wie Aufsichtsregeln für Finanzinstitute oder Regeln für Pensionsfonds, die Kapitalflüsse betreffen.

* Typen von Kapitalverkehrsregulierung

Traditionelle mengengestützte Kapitalverkehrsrestriktionen (administrative Maßnahmen und Kontrollen) sind unter Entwicklungsländern immer noch weit verbreitet, auch in zentralen Ländern wie China und Indien und trotz der allmählichen Liberalisierung ihres Kapitalverkehrs. Alternativ dazu können Regierungen quantitative Begrenzungen der Derivate-Märkte einführen, wie Südkorea im Juni 2010, als es die Höhe von Währungsswaps und Währungsfutures der Banken beschränkte. Andere Länder wie Chile und Kolumbien griffen zu preisgestützten Interventionen, was in etwa einer Besteuerung von Zuflüssen entspricht. Solche Maßnahmen dienen dazu, in Boom-Perioden Kapitalzuflüsse zu entmutigen, indem man ihre Kosten erhöht.

Der adäquate Mix solcher Mechanismen hängt im Einzelfall von dem zur Verfügung stehenden Regulationsrahmen, der administrativen Kapazität und dem Entwicklungsstand der heimischen Märkte ab. Die Erfahrungen mehrerer Länder mit mittlerem Einkommen legen nahe, dass eine Bandbreite von Instrumenten, in Abhängigkeit von den Bedingungen, unter denen sie angewendet werden, positive Wirkungen haben können. China, Indien und Malaysia wählten quantitative Kapitalverkehrsrestriktionen, um bestimmte makroökonomische Ziele zu erreichen, etwa die Anziehung langfristiger Formen von Auslandsinvestitionen und den Schutz vor Ansteckungseffekten der Finanzkrisen anderer, was zur Erhöhung der wirtschaftspolitischen Autonomie führte.

Chile und Kolumbien besteuerten die Kapitalzuflüsse, um sie in der Boom-Phase zu verlangsamen. Es gilt als belegt, dass diese Regulierung das Fälligkeitsprofil verbesserte und die Entwicklung von Anlageblasen begrenzte. Kolumbien hat diese Steuern in der Finanzkrise 2007/2008 wieder in Kraft gesetzt, während Chiles Fähigkeit zur Nutzung von Kapitalverkehrsregulierungen durch die Bedingungen seines bilateralen Handelsabkommen mit den USA begrenzt wird.

Zu den indirekten Kapitalverkehrsregulierungen gehören auch bestimmte Aufsichtsregeln für den Bankensektor. Zahlreichen Länder verbieten den Banken, Verbindlichkeiten in ausländischer Währung in ihren Bilanzen zu halten, oder begrenzen diese strikt. Solche Bestimmungen können auch über den Bankensektor hinausgehen und auch anderen Firmen die Haltung von Verbindlichkeiten in fremder Währung verbieten.

Für viele Länder ist es einfacher, direkte Kapitalverkehrskontrollen administrativ zu bewältigen als indirekte Regulierungen. Ein Beispiel sind die Beschränkungen, die Indonesien 2010 für ausländische Investitionen in lokaler Währung einführte. In Ländern mit starken administrativen Fähigkeiten und einem Derivate-Markt kann gleichwohl eine Kombination aus direkten und indirekten Maßnahmen erfolgreich sein, wenn Kapitalflüsse begrenzt oder die Umgehung einschlägiger Bestimmungen verhindert werden sollen.

* Internationales Handlungsdefizit

Es gibt inzwischen zwar einen Konsens über die Notwendigkeit, internationale Kapitalbewegungen zu reregulieren. Zahlreiche Experten beklagen aber die mangelnde Handlungsbereitschaft auf internationaler Ebene. Dies lässt vor allem Entwicklungsländer bei der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen oft zögern, vor allem weil eine Stigmatisierung durch „die Märkte“ befürchtet wird. Die Autoren des World Economic and Social Survey der Vereinten Nationen (s. auch W&E-Hintergrund Juli 2010) haben deshalb vorgeschlagen, die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen regional und multilateral zu koordinieren. Nicht zuletzt dem Internationalen Währungsfonds (IWF) könnte hier ausnahmsweise einmal eine positive Rolle zufallen. Würde der Fonds solchen Maßnahmen ein positives „Gütesiegel“ verleihen, könnte es auch den Märkten leichter fallen, direkte Kontrollen zu akzeptieren. Dies wäre die logische Konsequenz daraus, dass der Fonds seine Gegnerschaft gegen KVKs inzwischen zumindest auf der prinzipiellen Ebene aufgegeben hat.

Veröffentlicht: 15.8.2010

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Neuer privater Kapitalboom in den Schwellenländer. Zeit für koordinierte Kapitalverkehrskontrollen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 08/August 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).