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Neuorientierung globaler Investitionspolitik?

Artikel-Nr.: DE20120724-Art.37-2012

Neuorientierung globaler Investitionspolitik?

Die UNCTAD-Leitplanken für nachhaltige Entwicklung

Vorab im Web - Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hat Leitplanken für eine neue Investitionspolitik im Sinne nachhaltiger Entwicklung vorgestellt, ein „Investment Policy Framework for Sustainable Development” (IPFSD). Die Leitplanken bilden den Schwerpunkt des jüngsten Weltinvestitionsberichts (WIR 2012; s. Hinweis) und zielen auf eine „neue Generation“ internationaler Investitionspolitik. Eine Übersicht von Anna Lisa Brahms.

Das „Framework“ orientiert auf eine vorsichtige Abkehr von der derzeit vorherrschenden internationalen Investitionspolitik, die künftig stärker auf nachhaltige Entwicklung und inklusives Wachstum ausgerichtet werden soll, statt lediglich die Liberalisierung von Investitionen und ein „günstiges Investitionsklima“ zu fördern. Das vom UNCTAD-Sekretariat mit Unterstützung internationaler Experten ausgearbeitete Dokument beschreibt aktuelle Herausforderungen in der Investitionspolitik und formuliert auf dieser Grundlage acht Prinzipien, aus denen Leitlinien und Optionen für eine nachhaltigkeitsorientierte nationale und internationale Investitionspolitik abgeleitet werden.

* Probleme der aktuellen Investitionspolitik

Auf der nationalen Ebene stellt sich – den UNCTAD-AutorInnen zufolge – die Herausforderung, Investitionspolitik mit den Entwicklungsstrategien und Zielen in anderen Politikbereichen in Einklang zu bringen. Der Fokus sollte auf den qualitativen Aspekten ausländischer Direktinvestitionen liegen, Investitionen sollten also nicht nur rein quantitativ wachsen, sondern vor allem die Ziele der nachhaltigen Entwicklung und des inklusiven Wachstums unterstützen.

Auf internationaler Ebene wird nach dem Report mehr und mehr deutlich, dass nationale wirtschaftspolitische Spielräume durch die bestehenden internationalen Investitionsabkommen (IIAs) unangemessen eingeschränkt werden. Zudem zeigt sich, dass sich viele IIAs lediglich auf den Schutz von Investoren beschränken. Ein weiterer Grund für einen Wechsel in der Politik ist die wachsende Erkenntnis, dass der bestehende Gesetzesrahmen, besonders das auf Investitionen anwendbare internationale Recht, durch strukturelle Probleme gekennzeichnet ist. So gibt es Überschneidungen und Widersprüche im Inhalt der internationalen Abkommen. Letztlich wächst nach den Erhebungen der UNCTAD-Forscher trotz Unklarheiten bei der Interpretation der Verträge durch Schiedsgerichte und einer damit einhergehende Unvorhersehbarkeit der Schiedssprüche, die Zahl der Schiedsverfahren stetig.

* Nachhaltige Investitionsprinzipien

Das erste Prinzip, „Investitionen für nachhaltige Entwicklung“, setzt den Rahmen für das IPFSD. Die weiteren lassen sich unterteilen in allgemeine Prinzipien und investitionsspezifische Prinzipien. Sie beinhalten die Integration der Investitionspolitik in die allgemeine Entwicklungspolitik, die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Rechten und Pflichten von Investoren und Staaten, die Einbeziehung von Standards der unternehmerischen Sozialverantwortung (CSR) in die Investitionspolitik, das Recht des Staates zu regulieren, den Aufbau von offenen und stabilen Zugangsbedingungen für Investoren im Einklang mit der Entwicklungsstrategie des Landes und angemessenen Schutz von etablierten Investoren.

* Politikoptionen

Die Politikoptionen des IPFSD für nationale Investitionspolitik lassen sich in drei Kategorien unterteilen: strategisch sollen EntscheidungsträgerInnen Optionen angeboten werden, die Investitionspolitik in die Entwicklungspolitik einzubauen; normativ sollen die Optionen dazu beitragen, sozial verantwortliche Investitionen für nachhaltige Entwicklung zu fördern, und administrativ soll durch angemessene Umsetzung und institutionelle Mechanismen die Relevanz und Effektivität der Investitionspolitik gesteigert werden.

Das Kapitel zur internationalen Investitionspolitik beschäftigt sich mit verschiedenen Möglichkeiten bei der Formulierung von IIAs. Es wird kein „Modell-Vertrag“ vorgeschlagen, sondern vielmehr werden verschiedene Optionen aufgezeigt. Eine IPFSD-Tabelle stellt EntscheidungsträgerInnen Alternativen vor und verleiht einen praktisch handhabbaren Überblick über die Vielzahl von Möglichkeiten, damit diese auf einer informierten Grundlage Entscheidungen treffen können. Die Optionen werden unterstützt von Erklärungen, wie sich die jeweiligen Klauseln auf nachhaltige Entwicklung auswirken können. Die AutorInnen hoffen, dass EntscheidungsträgerInnen hieraus die für sie beste Option ableiten können.

* Beispiel Investor-State-Schiedsgerichte

Die Politikoptionen beinhalten etablierte Klauseln, die in vielen Abkommen enthalten sind, innovativere Bestimmungen, die von weniger Staaten genutzt werden und in einigen Fällen neue Vorschläge von UNCTAD. Der neue Weltinvestitionsbericht betont insbesondere, dass es notwendig ist, Aspekte der nachhaltigen Entwicklung in den IIAs zu stärken und ein Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Staaten und der Investoren herzustellen.

Besonders problematisch in diesem Zusammenhang ist die etablierte Investor-State-Schiedsgerichtsbarkeit, die Investoren das Recht einräumt, jeglichen Streitfall mit dem Gastland vor ein internationales Schiedsgericht zu bringen. Neben einer Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung des institutionellen und prozeduralen Rahmens sowie zur Vermeidung von Schiedsverfahren (z.B. die Bedingung der Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtsmittel, bevor ein Investor vor einem internationalen Schiedsgericht Klage einreichen kann) beinhaltet das IPFSD auch die Option, die Klausel zur Schiedsgerichtsbarkeit ganz wegzulassen. Anstatt dessen würden dann die nationalen Gerichte für die Lösung von Streitfällen genutzt.

Das IPFSD schlägt desweiteren vor, die Klausel zur fairen und gerechten Behandlung durch eine abgeschlossene Liste von Staatenpflichten genauer zu definieren, zwischen legitimer Regulierung und regulativen Enteignungen zu unterscheiden und Ausnahmetatbestände für den Schutz von Menschenrechten, Arbeitsstandards und der Umwelt in die Investitionsabkommen aufzunehmen.

* Das IPFSD im internationalen Kontext

UNCTAD publiziert das IPFSD zu einer Zeit, in der sich die internationale Investitionspolitik in einem Wandel befindet. Die USA und Kanada haben ihre Modellverträge nach vielen Klagen unter NAFTA immer weiter spezifiziert, lateinamerikanische Staaten verlassen das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), und nach einer Klage von Phillip Morris gegen ein neues Tabakgesetz hat Australien angekündigt, in zukünftigen Verträgen keine Investor-State-Schiedsgerichtsklausel einzubauen. In Deutschland wächst das Bewusstsein, dass diese Verträge auch gegen Regulierungen im eigenen Staat genutzt werden können, nachdem Vattenfall bei ICSID gegen den deutschen Atomausstieg Klage eingereicht hat.

Da keine „One-size-fits-all“-Lösung und kein Modell-Vertrag angeboten werden soll, werden alle Optionen mit einbezogen. Die Frage ist jedoch, ob nicht viele der bestehenden IIAs im Kontrast zu den neuen Prinzipien stehen. So ermöglichen sie den Investoren, die nationale Jurisdiktion zu umgehen und vor internationalen Schiedsgerichten zu klagen, und sehen auch keine Pflichten für Investoren vor.

Zudem ist fraglich, wie schnell sich das bestehende System aus mehr als 3.000 bestehenden IIAs verändern lässt. Letztendlich liegt der Wert des IPFSD nicht nur in seiner Substanz und in seinem Beitrag zur allgemeinen Diskussion, sondern vornehmlich in seiner Implementierung und Durchsetzung durch Regierungen.

UNCTAD sieht das IPFSD als ein „lebendes Dokument“, das sich neueren Entwicklungen anpassen und Anregungen von außen aufnehmen soll. Ein speziell für diesen Zweck eingerichtetes Online-Forum (ipfsd.unctad.org) bietet ein interaktives Forum, das öffentlich zugänglich ist und zum weiteren Austausch anregt.

Anna Lisa Brahms studiert Internationale Beziehungen in Berlin. Für Kommentare und Anregungen dankt sie Erika Arnold und Jonas von Braunmühl.

Hinweis:
* UNCTAD: World Investment Report 2012: Towards a New Generation of Investment Policies, 239 pp, United Nations (Sales No. E.12.II.D.3.): New York-Geneva 2012 (Bezug: über www.unctad.org)

Veröffentlicht: 24.7.2012

Empfohlene Zitierweise:
Anna Lisa Brahms, Neuorientierung internationaler Investitionspolitik? UNCTAD: Leitplanken für nachhaltige Entwicklung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. Juli 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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