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Noch eine Streitschrift gegen Entwicklungshilfe

Artikel-Nr.: DE20090718-Art.29-2009

Noch eine Streitschrift gegen Entwicklungshilfe

Die deutsche Variante der Debatte

Vorab im Web – Volker Seitz, langjähriger Botschafter in afrikanischen Ländern, stößt mit seinem Buch „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann“ (s. Hinweis) stößt in das gleiche Horn wie Dambisa Moyo (W&E 06/2009): Die Entwicklungsarbeit der letzten Jahre ist als „Business der Barmherzigkeit“ gescheitert und hat nur der Bereicherung kleptokratischer Eliten gedient. Mit seinem Gewährsmann Rupert Neudeck will der Autor das Steuer herumreißen und landet im Straßengraben

Als Sachs-Easterly-Debatte wird die Diskussion um die Sinnhaftigkeit der globalen Entwicklungshilfearchitektur seit einigen Jahren geführt. Auf der einen Seite stehen mit Jeffrey Sachs die Befürworter einer Erhöhung der Hilfsgelder, besonders für Afrika. Auf der anderen Seite fordern neben William Easterly und Dambisa Moyo auch eine Reihe afrikanischer Publizisten ein Ende jeglicher Hilfszahlungen, da diese jede Form selbstverantworteter Entwicklung in den Ländern des Südens behinderten. In Deutschland sind es die Vertreter des „Bonner Aufrufs“, zu denen auch Seitz und Neudeck gehören, die eine radikale Abkehr von der aktuellen Entwicklungspolitik fordern.

* Nichts Neues

Volker Seitz hat eine Streitschrift vorgelegt, in der er umfassend vom Kolonialismus bis zur Entschuldungsinitiative, von Migration über Umweltverschmutzung bis hin zum Fußball den derzeitigen Stand des Kontinents beschreibt. Leitmotiv ist seine Behauptung, dass der Fluss an Hilfsgeldern der letzten Dekaden nur die Dekadenz der afrikanischen Eliten gefördert und jede Eigeninitiative der Regierungen verhindert habe (37). Zu Recht sieht er die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer Staaten primär bei den Führungsschichten der Staaten Afrikas selber. Neu ist diese Erkenntnis natürlich nicht. Der Oxforder Ökonom Paul Collier hat mehrfach auf den Zusammenhang guter und demokratisch legitimierter Regierungsführung und positiver wirtschaftlicher Entwicklung hingewiesen. Exogene Entwicklungshemmnisse kommen im Duktus des Bonner Aufrufs und somit auch bei Seitz nur am Rande vor. Vielmehr macht er sich ein Sprichwort der Kameruner Bamileke-Frauen zu eigen „Wahrer Reichtum ist die Frucht eines persönlichen Einsatzes“ (31). Der „klassischen linken Erklärung“: „Sie sind arm, weil wir reich sind“ wird damit eine klare Absage erteilt (45).

* Kontrolle und Transparenz

Wo Transparenz und Kontrolle, wie etwa die Schaffung einer unabhängige Kontrollinstanz im Bundestag oder Rechnungshof gefordert werden (170), ist Seitz eigentlich voll auf der Linie der Bemühungen der Erklärung von Paris und der Agenda von Accra zur Erhöhung der Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit. Diese jüngste Neuausrichtung der internationalen Gebergemeinschaft wird jedoch nirgends erwähnt.

Bei aller richtigen Betonung der Eigenverantwortung der afrikanischen Eliten werden exogene Entwicklungshemmnisse aber zu wenig berücksichtigt.

* Fehleinschätzung des kolonialen Erbes

Die größte Schwäche des Buches ist der Versuch, die Folgen des Kolonialismus rund 50 Jahre nach dessen Ende für irrelevant für gegenwärtige Probleme zu betrachten (41). Die weit verbreitete Korruption etwa lässt sich nicht durch die kurze Zeit der Unabhängigkeit rechtfertigen, jedoch erklären. Vor allem aber die strukturellen Defizite der internationalen Arbeitsteilung, die afrikanischen Staaten in eine weltwirtschaftliche Sonderrolle als Rohstoffbeschaffer drängten, verhindern noch heute eine breite Diversifizierung der afrikanischen Ökonomien. Zudem ist die von den Kolonialmächten entschiedene Landfrage immer wieder Grund für kriegerische Auseinandersetzungen, welche realiter nur geringfügig in einem „ethnischen Misstrauen“ begründet sind (142).

Schließlich sind viele Ethnien selber erst Konstrukt westlicher Forscher und ihrer Typisierung der Afrikaner. Auch die Entwicklungsprobleme Äthiopiens können nicht ohne die Besatzung Eritreas durch Italien verstanden werden, wobei Äthiopien neben Sierra-Leone und Liberia für Seitz Beweise der selbstverschuldeten Unterentwicklung sind (147). Neu sollte auch nicht die Erkenntnis sein, dass die über Nacht etablierten Verfassungsstrukturen in den meisten Ländern viel schwieriger zu ändern und demokratisieren sind, als dies in westlichen Ländern mit einer langen, hart errungenen demokratischen Tradition der Fall ist.

* Falsche Daten zu Hilfsleistungen

In einer großen Polemik sollen die Bemühungen von Jeffrey Sachs („Menschenfeind“) und seinen Millenniumsdörfern, mehr noch aber die des Aktivisten und Spendensammlers Bono diskreditiert werden. Schlicht falsch ist die Behauptung, dass die Afrikaner bis 2006 sechsmal mehr an Hilfe erhielten als die Europäer durch den Marshallplan (65). Bei Kaufkraftparität erhielt ein Europäer damals durchschnittlich 85 US-Dollar. Das ist auch die Größenordnung des bisher nicht eingelösten Versprechens der G8 für Afrika. Wenn Jeffrey Sachs vorgeworfen wird, er verharmlose die Korruption zugunsten einer Erhöhung der Entwicklungshilfegelder (64), dann muss Seitz vorgehalten werden, dass er mit seinem Beitrag eine absolute Reduzierung der Hilfsgelder provoziert, ohne in den Zielländer nachhaltige Veränderungen der Regierungsführung garantieren zu können.

* Verkennung der Machtasymmetrien

Regierungen sind die ersten Adressaten, die in die Pflicht zu nehmen sind, um positive Veränderungen in Afrika anzustoßen. Ihnen aber die alleinige Verantwortung zuzumuten, ist vor dem Hintergrund schwacher und fragiler Staatlichkeit in vielen Staaten Afrikas nicht hilfreich. Die Schuld wird allein den korrupten Regimen zugeschrieben, wenn Transnationale Unternehmen in Afrika Giftmüll auf ungesicherten Deponien entsorgen können (132) oder wenn durch Bestechung ausländische Firmen Aufträge erhalten, die sie schlecht oder gar nicht ausführen (92). Dass sich viele Regierungen im internationalen Wettkampf als Investitionsstandorte mit einem „race to the bottom“ konfrontiert sehen, bleibt hier vollkommen außer Acht.

Solange international justitiable Normen der Arbeits-, Sozial- und Umweltschutzes über ein Minimum hinaus fehlen, versuchen auch afrikanische Länder von den in Krisenzeit weniger werdenden Auslandsinvestitionen zumindest einen kleinen Teil abzubekommen. Seitz weist zu Recht auf die Bedeutung privaten Kapitals für die Entwicklung Afrikas hin (66). Seine Hoffnung auf die Privatwirtschaft wirkt jedoch einseitig übertrieben. Gelobt wird die riesige Blumenindustrie Kenias (112), die Folgen des Einsatzes ätzender Chemikalien für die Arbeiterinnen bleiben unerwähnt. Mikrofinanzinstitutionen wie die ProCredit Bank leisten gute Arbeit und führen viele Kongolesen aus der Armut (180), aber sie erreichen nach eigenen Angaben nicht die Ärmsten der Armen.

Im Ganzen macht es sich Volker Seitz trotz seines großen Wissens um den afrikanischen Kontinent zu einfach. Neben hervorragenden Analysen der Führungsprobleme afrikanischer Staaten (75ff) werden die drängenden Probleme des handelsverzerrenden Agrarsubventionen des Westens (177) und der verwehrte Marktzutritt in Sachen Baumwolle (154) nur am Rande erwähnt. Gefährlich wird Seitz‘ Beitrag, wenn er von dem „vermeintlichen Recht auf Entwicklungshilfe“ spricht. Hilfe, nicht nur als Nothilfe, ist aber eine absolute Pflicht der reichen Länder und somit ein Recht der Afrikaner. Über die Modalitäten und Effizienz dieser Hilfe muss hingegen in der Tat weiter gerungen werden.

Markus Demele ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.

Hinweis:
* Volker Seitz, Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann, dtv: München 2009. Bezug: Buchhandel

Veröffentlicht: 19.7.2009

Empfohlene Zitierweise: Markus Demele, Noch eine Streitschrift gegen Entwicklungshilfe, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 07-08/2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).