Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Präludium für G20: Die Kollision der Ökonomien

Artikel-Nr.: DE20101018-Art.51_2010

Präludium für G20: Die Kollision der Ökonomien

Die Weltwirtschaft im Herbst 2010

Es gäbe beileibe genug unerledigte Aufgaben, derer sich die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) annehmen könnte, wenn sie vom 11.-13. November in Seoul/Südkorea zusammentrifft. Doch jetzt droht eine Kollision der Ökonomien– gespeist von einem Streit über Wechselkurse, globale Ungleichgewichte und die Eindämmung neuer spekulativer Blasen in den Schwellenländern, schreibt Rainer Falk.

Ginge es nach den Erwartungen der Wohlmeinenden, einschließlich der südkoreanischen Gastgeber, dann würde der G20-Gipfel in Seoul nach dem verunglückten Toronto-Gipfel (s. W&E 06/2010) die immer noch offenen Regulierungslücken auf den Finanzmärkten identifizieren und schließen, die neuen Kapitalstandards des Baseler Bankenausschusses absegnen und möglichst verbessern und einen neuen entwicklungspolitischen Konsens verabschieden, der die Lehren aus dem rasanten Aufstieg der Schwellenländer für den Rest der Entwicklungswelt ziehen könnte. Doch das überragende Thema dürfte die Auseinandersetzung über den neuen Währungskrieg werden, von dem seit kurzem die Rede ist.

* China-Bashing auf dem Höhepunkt
Die Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank Anfang Oktober in Washington gab einen Vorgeschmack darauf, wie dieser Streit auch in Seoul in einem „clash of economies“ (Financial Times) enden könnte. Verzweifelt war die IWF-Spitze in Washington bemüht, die Wogen zu glätten. Faktisch besitzt der Fonds aber nur geringe Möglichkeiten, die Höhe der Wechselkurse zu beeinflussen. Bereits vor der großen Finanzkrise war eine sog. multilaterale Surveillance-Initiative faktisch im Sande verlaufen. Durch die vergleichende Analyse der Makropolitik der Länder mit den größten außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten sollte der IWF Hinweise zu deren Abbau geben. Im Endeffekt führte dies jedoch lediglich dazu, die US-Position zu verstärken, die China zu einer deutlicheren Aufwertung des Yuan auffordert, um die eigene Konkurrenzposition zu verbessern.

In Washington wurde jetzt ein neues Instrument aus der Taufe gehoben, mit dem der IWF einen Beitrag zum „Rebalancing“ der Weltwirtschaft leisten soll, sog. Spillover-Analysen, die untersuchen sollen, wie sich wirtschaftspolitische Maßnahmen des einen Landes, beispielsweise Chinas, auf andere Länder, z.B. die USA, auswirken. Ob dabei mehr herauskommt als eine neuerliche Verstärkung des China-Bashings, bleibt abzuwarten.

In der Tat erreichte dieses „Draufhauen auf China“ auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Positionen stehen sich dabei ziemlich unvereinbar gegenüber. Die USA behaupten, die globalen Ungleichgewichte (hier Überschussländer wie China, Japan und Deutschland – dort Defizitländer wie die USA) seien das Resultat künstlich beeinflusster Wechselkurse. Ende September hat das US-Repräsentantenhaus in einem Beschluss sogar festgestellt, die Unterbewertung des Yuan sei das Ergebnis von „Währungsmanipulation“ und rechtfertige somit Strafzölle gegen chinesische Importe (s. nachfolgenden Beitrag von Martin Khor). Nur wenige betonen, dass dies eine sehr einseitige Sicht ist und die Veränderung der Wechselkurse keine Wunderwaffe darstellt, um die Probleme der US-Ökonomie zu beheben. So wies der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz am Rande der Jahrestagung darauf hin, dass sich die Ungleichgewichte seit 2005 verstärkt haben, obwohl die Chinesen ihre Währung seither um 20% aufgewertet haben.

* Replik aus Peking

Die Chinesen ihrerseits weisen eine abrupte Aufwertung des Yuan mit dem Argument zurück, dass dies ihren Exportsektor beschädigen und damit Abertausende arbeitslos in die ländlichen Regionen zurücksenden würde, die Gefahr sozialer Unruhen eingeschlossen. Im Übrigen stellen das starke chinesische Wachstum und das umfangreiche binnenwirtschaftliche Konjunkturprogramm, das Peking in der Krise aufgelegt hat, für sich genommen einen außerordentlichen Beitrag zur weltwirtschaftlichen Erholung dar.

In Washington zogen die Chinesen darüber hinaus noch ein weiteres Argument aus dem Hut, das sie in eine Frontlinie mit weiteren Schwellenländern bringt: Es sind die USA, die durch neue Runden des „Quantitative Easing“ (im Klartext: geldpolitische Lockerung durch Gelddrucken) und historische Niedrigstzinsen die Welt mit anlagesuchendem Kapital überschwemmen. Vor allem in den Schwellenländern, in denen die Renditen durchweg höher sind als in den Industrieländern, kann dies zum Entstehen neuer spekulativer Blasen führen und den Aufwertungsdruck verstärken.

In der Tat werden wir derzeit Zeugen eines neuen Kapitalbooms in den aufstrebenden Märkten von China über Südostasien bis nach Lateinamerika (s. auch W&E 08/2010). Nach Angaben des Institute for International Finance in Washington werden sich die Nettokapitalzuflüsse in die Schwellenländer 2010 und 2011 jeweils auf über 800 Mrd. US-Dollar belaufen. In Abwesenheit eines funktionierenden internationalen Währungsmanagements sehen sich immer mehr Länder dazu veranlasst, dieser Kapitalflut mit regulierenden Interventionen in den Markt entgegenzutreten. Auch wenn eingefleischte Neoliberale den Wert solche Maßnahmen bezweifeln, können diese Länder von Glück reden, dass Kapitalverkehrskontrollen inzwischen wieder allgemein als legitimes Instrument der Wirtschaftspolitik akzeptiert werden.

* Das Gespenst der Großen Depression ist zurück

Dennoch ist die jetzt entstandene Konstellation alles andere als unproblematisch. Wie die Ökonomen der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (DESA) in ihren jüngsten Monatsbriefing hervorheben, birgt sie das Risiko eines konkurrenzgeleiteten Abwertungswettlaufs – eines race to the bottom, mit negativen Auswirkungen auf den internationalen Handel und neuen Turbulenzen auf den Währungsmärkten. Mitten im stockenden Aufschwung der Weltkonjunktur (dazu demnächst: W&E-Hintergrund Oktober 2010) scheint sie wieder zurück im internationalen Diskurs: die Analogie zur Großen Depression. „Die Furcht besteht jetzt darin“, schreiben Barry Eichengreen (University of California) und Douglas Irwin (Dartmouth College), „dass ein Währungskrieg, der zu Zöllen und Vergeltungsmaßnahmen führt, Unterbrechungen im internationalen Handelssystem auslösen könnte, die so ernst sind wie die der 1930er Jahre.“

Was also tun? Die Herausforderung, vor der die G20 angesichts des beschriebenen Szenariums steht, könnte kaum größer sein. Der bloße Aufruf zu mehr Kooperation und Koordination wird da nicht genügen, zumal der Impetus dazu in Zeiten der wirtschaftlichen Erholung ohnehin nachlässt. Hinzu kommt: Wenn die Konzepte und Positionen in der Kollision der Ökonomien so gegensätzlich sind wie gegenwärtig, gibt es wenig, das koordiniert werden könnte. In der Praxis werden die Staaten also versuchen, ihre Probleme zunächst durch unilaterale Maßnahmen zu lösen. Aus der Sicht der US-Position durchaus zielführend ist beispielsweise die derzeitige Abwärtsreise des US-Dollars. Das mag die US-Exporte zwar verbilligen, freilich aber nur so lange, bis sich andere an die neue Situation angepasst haben.

Erfolgversprechender ist da schon der Ansatz Frankreichs für die kommende G20-Agenda nach dem Seouler Gipfel. In seinem Mittelpunkt stehen ein neuer Anlauf zu einer Reform der internationalen Währungspolitik, neue Initiativen zur Stabilisierung der Rohstoffpreise, darunter der Nahrungsmittelpreise, eine Reform der G20-Governance und ebenfalls (wie bei den Südkoreanern) eine neue Entwicklungsagenda. Das Konzept, das auch einen Neustart der Debatte um eine Finanztransaktionsabgabe einschließt, zielt auf zwei herausragende Faktoren der Instabilität des internationalen Systems, die Volatilität der Währungs- und der Rohstoffpreise. Wie aus Paris verlautet, ist es als offener Diskurs angelegt und nicht als Präsentation vorgefertigter Modelle – vielleicht nicht der schlechteste Weg, um die gegenwärtigen Blockaden aufzubrechen.

Mehr im Blog Baustellen der Globalisierung

Veröffentlicht: 18.10.2010

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Präludium für G20: Die Kollision der Ökonomien, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 10/Oktober 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).