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Schwächelnder Aufschwung oder erneute Rezession?

Artikel-Nr.: DE20091230-Art.01-2010

Schwächelnder Aufschwung oder erneute Rezession?

Globale Wirtschaftsaussichten für 2010

Vorab im Web – Nach einem scharfen und synchronisierten Abschwung sind die Hoffnungen erneut auf eine Erholung der Weltwirtschaft gerichtet. Die meisten Prognosen schwanken zwischen einem schwachen Aufschwung mit vor sich hin dümpelndem Wachstum und einem Rückfall in die Rezession. Die UNO rechnet mit einem weltwirtschaftlichen Wachstum von durchschnittlich 2,4%, aber nur, wenn die massiven staatlichen Konjunkturprogramme fortgeführt werden, die den Absturz im letzten Jahr gestoppt haben. Von Rainer Falk.

Der Rückgang der Industrieproduktion, der die weltweite Rezession anfänglich kennzeichnete, konnte zwar gestoppt werden. Doch die Erholung bleibt zerbrechlich; die Unternehmen haben vornehmlich mit der Wiederauffüllung ihrer Lager begonnen; eine wieder erstarkte Nachfrage nach Konsum- oder Investitionsgütern ist noch kaum in Sicht. In ihrem Anfang 2010 erscheinenden Bericht „World Economic Situation and Prospects 2010“ (WESP) konstatieren die Vereinten Nationen für zahlreiche Volkswirtschaften positives Wachstum im zweiten Quartal 2009 und einen anhaltenden konjunkturellen Schwung auch im dritten Quartal. Wegen des tiefen Einbruchs am Anfang des Jahres rechnen sie jedoch – über das ganze Jahr 2009 gerechnet – mit einem rückläufigen Wachstum von -2,9%.

* Ein zerbrechlicher Aufschwung

Bei der WESP-Prognose von +2,4% für 2010 handelt es sich um ein Basis-Szenario, in dem davon ausgegangen wird, dass die weltwirtschaftliche Aktivität immer noch 7% unter dem Stand liegt, der bei ungebrochener Fortsetzung des Vorkrisenwachstums erreicht worden wäre. Vorausgesetzt wird auch, dass die aktive Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Politik anhält.

Die UN-Ökonomen verweisen darauf, dass die weltwirtschaftliche Situation seit dem zweiten Quartal 2009 wieder auf dem Wege der Besserung ist. Die globalen Aktienmärkte wiesen wieder nach oben, und die Risikoaufschläge auf Kredite sind wieder gefallen. Der internationale Handel und die globale Industrieproduktion haben sich ebenfalls bemerkenswert erholt; bei einer wachsenden Zahl von Ländern liegt das BIP-Quartalswachstum wieder im positiven Bereich (s. Grafik 1 und 2).

Grafik 1: Globales Wachstum, 2004-10


Grafik 2: Welthandel und Industrieproduktion


Doch die wirtschaftliche Wiederbelebung basiert zum erheblichen Teil auf den Effekten der massiven politischen Anreize, die seit Ende 2008 weltweit gegeben wurden. Diese Konjunkturprogramme bewirkten eine entscheidende Wende nach dem freien Fall des Welthandels, der Industrieproduktion, der Aktienpreise und der Verfügbarkeit von Krediten, die die Weltwirtschaft Anfang 2009 nahe an den Abgrund eine neuen Großen Depression gebracht hatten.

Regional betrachtet gestaltet sich die Erholung allerdings noch ungleich, und die Bedingungen für anhaltendes Wachstum bleiben zerbrechlich, warnen viele Ökonomen. Insgesamt lässt sich davon ausgehen, dass die globale wirtschaftliche Erholung schleppend verläuft, die Arbeitslosigkeit hoch bleibt bzw. sogar noch wächst und die Inflation niedrig bleibt. Die UN-Ökonomen empfehlen daher, die Konjunkturprogramme mindestens so lange in Kraft zu lassen, bis es deutlichere Signale für eine wirklich robuste Erholung beim Beschäftigungswachstum und bei der Nachfrage im privaten Sektor gibt.

* Erholung im Süden, aber unterhalb der Erfordernisse

Die globale Erholung wird von den Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem in Asien, angeführt, die 2010 die höchsten Wachstumsraten aufweisen dürften. In den Entwicklungsländern wird der Output im nächsten Jahr voraussichtlich um durchschnittlich 5,3% wachsen, verglichen mit nur 1,9% in 2009. Damit wird das Wachstum allerdings deutlich unter dem Vorkrisentempo von über 7% bleiben. Für China und Indien wird ein Wachstum von 8,8 bzw. 6,5% erwartet. Auch das bleibe aber unter den Möglichkeiten, so der WESP. Russland wird 2010 mit 1,5% Wachstum an der Spitze der Transformationsländer stehen, allerdings nach einem drastischen Rückgang von 7% in 2009.

Auch für die Industrieländer ist eine Wende in der wirtschaftlichen Entwicklung erkennbar, allerdings weniger ausgeprägt. Die Wirtschaft der USA dürfte 2010 um 2,1% wachsen, im Vergleich zu einem geschätzten Rückgang von 2,1% in 2009. Noch schwächer dürfte die Erholung in der EU und in Japan mit einem BIP-Wachstum von 0,6 bzw. 0,9% verlaufen. Angesichts dieses geringen Tempos kann von den wichtigsten Industrieländern in absehbarer Zeit kein wesentlicher Impuls für die Weltwirtschaft erwartet werden.

Grafik 3: Wachstum in LDCs


Auch viele der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) können in den nächsten Jahren keine Rückkehr zu dem robusten Wachstum der Zeit vor der Krise erwarten (s. Grafik 3). Im Jahre 2009 erführen rund 60 Entwicklungsländer ein rückläufiges Pro-Kopf-Einkommen. Dank der Erholung dürfte diese Zahl 2010 auf zehn schrumpfen, aber zugleich wird erwartet, dass nur 21 Entwicklungsländer Wachstumsraten von über 3% erzielen, was als Mindestmaß gilt, um substantielle Erfolge in der Armutsbekämpfung zu erreichen. Deshalb sind 2009/2010 deutliche Rückschläge im Kampf gegen die Armut so gut wie sicher.

* Doppeltes Risiko: Vorschnelle Exitstrategien und harte Landung des Dollars

Nach Schätzungen der UN-Ökonomen haben die Regierungen 2009 und 2010 weltweit etwa 2,6 Billionen Dollar für Konjunkturpakete – bzw. über 4% des Weltsozialprodukts – mobilisiert, während – vor allem in den Industrieländern – mehr als 20 Billionen Dollar an Steuergeldern für Rettungsprogramme im Finanzsektor bereit gestellt wurden. Diese Maßnahmen waren entscheidend, um die Weltwirtschaft vor einer Großen Depression zu bewahren. Aber sie waren möglicherweise nicht umfangreich genug, um einen robusten Wiederaufschwung anzustoßen.

Die Erholung der globalen Nachfrage dürfte schwach bleiben, und die strukturelle Instabilität des internationalen Finanzsystems besteht fort – die Dubai-Krise war das jüngste deutliche Warnzeichen. Hinzu kommt, dass viele Entwicklungsländer nicht in der Lage waren, selbst antizyklische Maßnahmen in ausreichender Weise zu treffen. Wie notwendig derartige Maßnahmen in der Krise auch sein mögen, muss man sehen, dass mit ihnen auch Risiken des Finanzsektors in andere Wirtschaftssektoren umverteilt und Schulden vom privaten auf den öffentlichen Sektors übertragen wurden. Im Endeffekt ging alles dies mit einer substantiellen Beanspruchung der Bilanzen der Zentralbanken und einer beträchtlichen Verschlechterung der Haushaltssituation der Regierungen auf der ganzen Welt einher. Der aktuelle Fall Griechenlands, das jetzt öffentlich an den Pranger gestellt wird, ist hier nur die Spitze eines Eisbergs.

Die WESP-Autoren weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Weltwirtschaft vor allem dann in eine Rezession zurückfallen könnte, wenn zwei Risiken nicht beachtet werden. Das erste Risiko besteht im verfrühten Ausstieg auf den Konjunkturprogrammen, das zweite in einer erneuten Verschärfung der globalen Ungleichgewichte, insbesondere des Defizits und der steigenden Auslandsverschuldung der USA, was zu einer harten Landung des Dollar führen und eine neue Welle finanzieller Instabilität auslösen könnte.

* Abbau oder Verschärfung der globalen Ungleichgewichte?

Die Politik steht vor einem nur schwer zu lösenden Dilemma: Einerseits würde die Aufrechterhaltung der Konjunkturpakete zu einer erneuten Vertiefung der globalen Ungleichgewichte (s. Grafik 4) führen, wobei das Leistungsbilanzdefizit der USA von 4,1% des BIP in 2009 auf 6,4% ansteigen würde. Andererseits würde dies zu einer unweigerlichen, weiteren Schwächung des Dollars führen und neue Unruhen auf den Finanz- und Rohstoffmärkten auslösen.

Grafik 4: Globale Ungleichgewichte


Um eine Rückkehr zu einem nicht-nachhaltigen Wachstumsmuster, das zu globalen Krise führte, zu vermeiden, schlägt der UN-Report eine dreiteiligen Strategie zur Überwindung der globalen Ungleichgewichte („Rebalancing“) vor: Bei aller kurzfristigen Notwendigkeit haushaltspolitischer Anreize müsse erstens das Wachstum der privaten Nachfrage so gestärkt werden, dass es wieder an die Stelle der öffentlichen Ausgabensteigerungen treten könne. Dazu solle zweitens sichergestellt werden, dass deutlich mehr Konjunkturmaßnahmen auf langfristige Investitionen ausgerichtet werden, um künftiges Produktivitätswachstum zu unterstützen und vor allem um solche Investitionen zu initiieren, die zur Bewältigung des Klimawandels gebraucht werden. Drittens müsse die Nachfrage innerhalb der Länder neu ausbalanciert werden, was ein Umsteuern auf externe Nachfrage (Nettoexporte) in den wichtigsten Defizitländern wie den USA und auf Binnennachfrage in den Hauptüberschussländern, vor allem in Asien, bedeutet.

Für diese dreigliedrige Strategie braucht es eine intensive internationale Koordination der Wirtschaftspolitik. Der von der G20 auf dem Pittsburgh-Gipfel im September 2009 beschlossene „Rahmen für starkes, anhaltendes und ausgeglichenes Wachstum“ ist hier vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Sein Erfolg wird jedoch stärkere Mechanismen der internationalen politischen Koordination erfordern, die darüber hinaus einen partizipativeren und besser legitimierten Charakter aufweisen müssten als die derzeitigen Ad-hoc-Prozesse. Entscheidend wird auch der Fortgang der Reform der internationalen Finanzarchitektur sein, wozu eine Reform des globalen Währungs- und Reservesystem, vor allem eine Ablösung der Dollarhegemonie, gehört.

* Anhaltende globale Jobkrise

Der aufsteigende Stern am Firmanent der Financial-Times-Kommentatoren, Gillian Tett, schrieb kürzlich, eine der maßgeblichen Ursachen für die jüngste Finanzkrise sei der Tunnelblick der Finanzmarktakteure. Ein solcher Tunnelblick des Kapitals bestimmt auch die Perspektive, wenn die Konjunkturentwicklung ausschließlich oder vornehmlich unter dem Aspekt der reinen Wachstumsraten gesehen wird. So frohlocken die Analysten bereits, wenn die Wachstumsraten in Europa wieder in den positiven Bereich springen, wie die ökonomische Wetterkarte für 2009/2010 ausweist (s. Grafik 5).

Grafik 5: Europäische Wirtschaftswetterkarte


Wie die Grafik jedoch auch zeigt, steigen trotz der verbesserten Wachstumsaussichten fast überall in Europa auch die Raten der Arbeitslosigkeit. Insofern ist der begonnene Aufschwung – zumindest in der Anfangsphase – erneut ein „Aufschwung ohne Arbeitsplätze“. Der jüngste „World of Work Report“ (s. Hinweis) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) warnt sogar davor, dass weltweit weitere 40 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, wenn nicht adäquat gegengesteuert wird.

Insgesamt rechnen die ILO-Forscher damit, dass in den Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen die Beschäftigung nicht vor 2013 das Vorkrisenniveau erreichen wird, wenn keine gezielte Beschäftigungsförderung erfolgt. In den Schwellen- und Entwicklungsländern könnte bereits im nächsten Jahr eine Erholung auf dem Arbeitsmarkt einsetzen. Vor 2011 dürfte das Beschäftigungsniveau von vor der Krise jedoch auch dort nicht wieder erreicht werden.

Trotz erster Wiederbelebungstendenzen ist die Krise also keineswegs vorbei. Vieles spricht indessen dafür, dass sich ihre sozialen Begleiterscheinungen und Konsequenzen im Jahr 2010 erst noch deutlicher artikulieren werden, bevor wirkliche Besserung in den Blick kommen wird.

Hinweise:
* ILO, World of Work Report 2009: The Global Jobs Crisis and Beyond, ILO: Geneva 2009. Bezug über: www.ilo.org
* UN-DESA, World Economic Situation and Prospects 2010. Global Outlook (pre-release), United Nations: New York 2009. Bezug über: www.un.org/esa/policy/wess/wesp.html

Veröffentlicht: 30.12.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Schwächelnder Aufschwung oder erneute Rezession, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 30. Dezember 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).