Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Statt G20 ein Globaler Wirtschaftsrat?

Artikel-Nr.: DE20120924-Art.48-2012

Statt G20 ein Globaler Wirtschaftsrat?

Schritte zu einem neuen Multilateralismus

Vorab im Web - Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) war eine bemerkenswerte Erweiterung der Repräsentation von Ländern am Tisch der globalen wirtschaftlichen Governance. Doch ihre Zeit ist abgelaufen; sie sollte durch einen repräsentativen Globalen Wirtschaftsrat ersetzt werden, meinen Robert Wade und Jakob Vestergaard und machen einen Vorschlag, wie er funktionieren sollte.

Im Gefolge der Asienkrise wählten das US- und das deutsche Finanzministerium 12 Staaten aus, die sich der existierenden G7 anschließen und sie so zu einen neuen G20 aus „systemisch wichtigen“ Ländern machen sollten, um Abkommen über globale wirtschaftliche Fragen zu entwerfen. Ansonsten, so kalkulierten die G7-Staaten, wären sie wie der Kapitän eines Schiffes, der das Steuerrad von rechts nach links und zurück dreht, wohl wissend, dass das Steuer nicht mit dem Ruder verbunden ist.

* Zeit für eine Zwischenbilanz

Von den Newcomern waren elf Entwicklungsländer, so dass die Bildung der G20 eine deutliche Erweiterung der Länder-Vertretung in der obersten Etage der globalen ökonomischen Governance darstellte. 2008 versammelte US-Präsident George Bush unter dem Eindruck des Großen Krachs einen Gipfel der Regierungschefs derselben G20-Staaten, um Vereinbarungen über den Umgang mit der Krise zu schließen. Seit dem Treffen in Washington haben sich die G20-Führer sechsmal getroffen (in London, Pittsburgh, Toronto, Seoul, Cannes und zuletzt im Juni 2012 in Los Cabos/Mexiko). Dies in der Hoffnung, eine globale makroökonomische und finanzielle Koordination zu institutionalisieren.

Die G20 hat inzwischen genug Belege geliefert, um ihre Leistungsfähigkeit zu beurteilen. Über die anfängliche Koordination eines keynesianischen Konjunkturstimulus hinaus hat sie bemerkenswert wenig erreicht, sei es im Bereich der Reform des internationalen Währungssystems (z.B. um die hohen, spekulationsgetriebenen Wechselkursschwankungen zu mildern), sei es im Bereich der Reform des internationalen Finanzsystems (Martin Wolf von der Financial Times bezeichnete das Basel-III-Abkommen über Kapitalrücklagen als „eine Maus“) oder sei es in Bezug auf die Stimmrechtsreform der Bretton-Woods-Institutionen. Die meisten der großen Mitgliedsstaaten sind inzwischen sehr zurückhaltend, was die anhaltende Nützlichkeit der G20 betrifft. Eine Schlagzeile der Financial Times über den Gipfel in Seoul lautete, die G20 hätten demonstriert, „wie man die Welt nicht regieren sollte“.

* Mangelnde Input- und Output-Legitimität

Doch das Problem betrifft nicht nur die „Output“-Seite. Der Gruppe fehlt es auch an Legitimität auf der „Input“-Seite, und zwar in dem Sinne, dass die Mitgliedschaft nicht aufgrund irgendeiner Formel „systemischer Bedeutung“ zusammengesetzt wurde, oder um es allgemeiner zu sagen: Die Mitgliedschaft weist keine weithin akzeptierten Kriterien der Repräsentation auf. Es ist beispielsweise nicht klar, aufgrund welches Kriteriums Argentinien oder Australien als „systemisch wichtig“ eingestuft wurden.

Indem 172 Länder permanent von der Teilnahme am „ersten Forum unserer internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ (so die G20 über sich selbst) ausgeschlossen werden, verstärkt die G20 einen Trend zum „Multilateralismus der Großen“ und beraubt die große Mehrheit der Nationen einer Stimme in Fragen, die sie unmittelbar betreffen. Die G20 hat versucht, ihre Exklusivität zu relativieren, indem sie die Europäische Union als eines der 20 Mitglieder einbezog. Sie hat die Afrikanische Union und ASEAN zur Teilnahme eingeladen. Aber die Vertreter dieser Regionalorganisationen nehmen mehr als Beobachter denn als Entscheider teil.

Dass explizite Kriterien für die Mitgliedschaft nicht vorhanden sind, delegitimiert nicht nur die derzeitigen Mitglieder, es unterminiert auch die Fähigkeit der G20, in einer sich wandelnden globalen Ökonomie relevant zu bleiben. Hinzu kommt, dass die G20 das vorhandene, gut etablierte System der multilateralen Zusammenarbeit in Organisationen wie dem IWF, der Weltbank und den Vereinten Nationen unterminiert. Die Vertreter der G20-Länder, die auf führenden Positionen in diesen Gremien sitzen, können sich taub stellen (und sie tun das auch), wenn Vertreter von Nicht-G20-Ländern sprechen, denn sie wissen, dass diese nicht zählen.

* Struktur eine Globalen Wirtschaftsrats

Wir argumentieren, dass die G20 durch einen Globalen Wirtschaftsrat (GEC: Global Economic Council) ersetzt werden sollen, der auf einem delegierten Abstimmungssystem basiert. Insbesondere sollte der GEC auf einer reformierten Version des Vertretungssystems („constituencies“) der Bretton-Woods-Organisation (IWF und Weltbank) beruhen. Das könnte wie folgt aussehen.

Erstens wären alle Mitgliedsländer der Bretton-Woods-Organisationen auch Mitglieder des GEC und in 25 Ländergruppen („constituencies“) gruppiert. Jede Gruppe hat einen Sitz im obersten Entscheidungsgremium, aber anders als beim gegenwärtigen Bretton-Woods-Vertretungssystem haben alle constituencies mehrere Mitgliedsländer.

Zweitens sollten sich die Regierungschefs jeder constituency mindestens zweimal im Jahr treffen, nach vorheriger Konsultationen in ihrer constituency, ebenso die Finanz- und Außenminister sowie andere Sektorminister.

Drittens hätten die Staaten ein Gewicht in Abstimmungen, das ihrem Anteil am weltweiten BIP entspricht, anstelle der gegenwärtigen Bretton-Woods-Praxis, die bei der Zuteilung von Stimmrechten mit Ad-hoc-Kriterien jenseits des BIP arbeitet, teilweise mit dem verdeckten Ziel der überrepräsentierten Staaten, den Verlust von Stimmrechten abzuwehren. So bewerkstelligten es bei der Stimmrechtsreform der Weltbank 2010 einige Staaten, den bestehenden Stimmanteil zu erhalten, indem sie auf neuen Kriterien insistierten, etwa das Versprechen künftiger Finanzbeiträge zur Soft-loan-Filiale der Weltbank.

Viertens wären von den 25 Sitzen 16 gleich unter den vier Hauptregionen der Welt verteilt (Afrika, Americas, Australasien, Asien und Europa). Die verbleibenden neun Sitze würden den Regionen entsprechend ihrem Anteil am Welt-BIP zugeteilt. Das gäbe derzeit allen Regionen außer Afrika drei weitere Sitze. Insgesamt hätte Afrika vier Sitze und die anderen Regionen jeweils sieben.

Fünftens wären innerhalb der Regionen die Sitze nach Vertretungsgruppen zugeteilt, entsprechend von Verhandlungen, in denen das Stimmrecht der Länder dem jeweiligen BIP entspricht. Keine Vertretungsgruppe wäre kleiner als drei Länder. Jede Vertretungsgruppe hätte einen Exekutivdirektor und zwei Stellvertreter und würde intern entscheiden, ob auf beiden Ebenen oder nur auf der Stellvertreter-Ebene rotiert würde. Solcherlei Flexibilität bei der Rotation würde Schwergewichten wie den USA oder China gestatten, ihren Sitz im obersten Entscheidungsgremium zu behalten, während die Rotation und Konsultation über die Stellvertreter sichergestellt würde.

Sechstens müssten die Vertretungsgruppen bei IWF und Weltbank mit denen des GEC in Übereinstimmung gebracht werden.

* Der G20 überlegen

Dieses System der globalen ökonomischen Governance hätte auf der „Input“-Seite mehrere Vorteile. Es befördert die Repräsentation der 172 Staaten, die in der gegenwärtigen G20 nicht oder kaum vertreten sind. Es stärkt die Organisation auf regionaler Ebene. Und es gewährleistet eine langfristige Beständigkeit globaler ökonomischer Governance, indem es den Auf- und Abstieg von Nationen und Regionen durch ein transparentes, automatisch aktualisiertes System der gewogenen Stimmrechte auf BIP-Basis berücksichtigt.

Was das Mandat des GEC betrifft (die „Output“-Seite), so sollte er die Führung gegenüber den Bretton-Woods-Organisationen ausüben, einschließlich der Ernennung ihrer Spitzenfunktionäre, und so das geheimniskrämerische Non-System ersetzen, das von den USA und der Europäischen Union dominiert wird. Entsprechend sollte es auch die Spitzenpositionen aller Organisationen der UN-Familie ernennen. Mit solchen Befugnissen würden die Mitglieder ihre Verantwortung mit Sicherheit ernst nehmen – ganz im Gegenteil zu heute.

Robert H. Wade ist Professor für Politische Ökonomie an der London School of Economics, Jakob Vestergaard forscht am Danish Institute of International Studies (DIIS). Ihr Beitrag erschien zuerst auf www.triplecrisis.com.

Veröffentlicht: 24.9.2012

Empfohlene Zitierweise:
Robert Wade/Jakob Vestergaard, Statt G20 ein Globaler Wirtschaftsrat?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. September 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.