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Strategische Partnerschaften im Nahrungsbereich

Artikel-Nr.: DE20130603-Art.25-2013

Strategische Partnerschaften im Nahrungsbereich

Der Beginn einer neuen Ära?

Vorab im Web - Partnerschaften mit der Wirtschaft sind en vogue. Sie markieren einen neuen Trend, nicht weil sie gänzlich neu sind, sondern weil Geldgeber Unternehmen zunehmend als strategische „Entwicklungspartner“ in den Fokus rücken. Dabei fließen öffentliche Gelder (noch) nicht im großen Umfang in „public-private partnerships“ (PPPs) mit Agrar- und Lebensmittelunternehmen. Entscheidend ist, dass ihr Geschäftsmodell als das „richtige“ Entwicklungsmodell deklariert und politisch unterstützt wird. Ein Beitrag von Marita Wiggerthale.

In der Debatte über den „Business Case Hungerbekämpfung“ (s. W&E 03-04/2013 und W&E 05/2013) geht es im Kern um eine Debatte über Entwicklungsansätze, über (nicht-)nachhaltige Geschäftsmodelle und Strukturen des Hungers. Grundlegende Defizite und zweifelhafte Win-Win-Situationen stellen die Entwicklungsorientierung von PPPs und ihre Wirksamkeit in Frage. Dass die Mehrheit der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen angesichts der existierenden und fortbestehenden Markt- und Machtungleichgewichte einerseits und der Ausgestaltung der PPPs andererseits profitiert, darf bezweifelt werden.

* In der alten Wachstumsfalle

Ohne Wachstum, keine Entwicklung. Ohne Unternehmen, kein Wachstum und folglich auch keine Entwicklung. Darin scheinen sich alle Geldgeber einig zu sein. Es wird zwar allgemein anerkannt, dass die Früchte des Wachstums geteilt werden müssen, d.h. dass auch Menschen in Armut vom Wachstum profitieren sollen („pro-poor growth“). Jedoch wird hier scheinbar immer noch auf den alten „trickle down“ – Effekt vertraut, denn Geldgeber unterstützen kaum Maßnahmen, die mittels Umverteilung zunehmende Ungleichheiten angehen. 1)

Ohnehin bleibt das den PPPs innenwohnende alte Wachstumsdenken offensichtlich unbeeinflusst von aktuellen wachstumskritischen Diskursen. Die Debatte über planetarische und soziale Grenzen und einem „sicheren und gerechten Ort für die Menschheit“ 2) hat in der Entwicklungspolitik kaum einen Niederschlag gefunden. Wachstumsgläubige und Grenzen ignorierende PPPs sind von gestern und nicht Teil einer modernen, zukunftsfähigen Entwicklungspolitik von morgen.

* Nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle

Oxfams Recherchen haben ergeben, dass die zehn größten Lebensmittelkonzerne – darunter Coca-Cola, Danone, Unilever, Kellogg’s, Mars, Nestlé, PepsiCo – weit davon entfernt sind, soziale und ökologische Standards bei der Produktion ihrer Lebensmittel zu erfüllen. Analysiert wurden die selbstgesteckten Ziele der Firmen in den Bereichen Arbeitsrecht, Rechte von Kleinbauern, Rechte von Frauen, Umgang mit Land und Wasser, Klimawandel und Transparenz.3) Es verwundert daher auch nicht, dass Menschenrechtsverletzungen am zweithäufigsten im Nahrungsmittelbereich dokumentiert sind. 4)

Auch auf der Umweltseite hapert es mit der Nachhaltigkeit. Die vom Agrobusiness vorangetriebene input-, energie- und ressourcenintensive industrielle Landwirtschaft hat negative Folgen für biologische Vielfalt, Böden, Wasser und Klima. 5) Eine Kooperation der Geldgeber mit der Wirtschaft basierend auf nicht-nachhaltigen Geschäftsmodellen leistet nicht nur keinen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Im Gegenteil! Sie schadet Menschen und Umwelt. PPPs sind nur dann entwicklungspolitisch sinnvoll, wenn Unternehmen bereit sind, ihr Geschäftsmodell grundsätzlich zu überdenken.

* Strukturen des Hungers

Riesige Agrobusiness-Konzerne bilden, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, globale Oligopole, kontrollieren Lieferketten und beherrschen Märkte. Supermarktketten sind zum „Gatekeeper“ im Lebensmittelhandel avanciert, zunehmend auch in Entwicklungsländern. Wenige hundert Konzerne – Händler, Hersteller, Supermarktketten – kontrollieren 70% des Handels von 15 Handelsgütern aus Landwirtschaft und Fischerei, die für die Biodiversität zentral sind. Sie haben eine enorme Macht über lebenswichtige Ressourcen wie Land, Wasser, Saatgut, Technologie und Infrastruktur. 6) Ihr Einfluss auf die Handels-, Investitions- und Agrarpolitik ist groß. Regierungen haben ihren Wirtschaftsinteressen immens Vorschub geleistet. Zugleich wurden die Bedürfnisse verarmter oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Frauen, vernachlässigt.

Die marginalisierten Gruppen bleiben bei den PPPs à la „New Alliance“ außen vor (z.B. kein verbesserter Zugang zu Land und Wasser oder menschenwürdigere Arbeitsbedingungen) und haben beste Aussichten, noch weiter an den Rand gedrängt zu werden. Geldgeber müssen sich bei PPPs der strukturellen Probleme bewusst sein und sicherstellen, dass Strukturen des Hungers nicht weiter verfestigt und positive Effekte für marginalisierte Gruppen erreicht werden.

* Zweifelhafte Win-Win-Situationen und grundlegende Defizite

Die Entstehung der „New Alliance for Food Security and Nutrition“ der G8 im Mai 2012 passt ins Bild einer wachsenden Anzahl von PPPs im letzten Jahrzehnt. 7) PPPs stellen jedoch eine zweifelhafte Win-Win-Situation dar, wie in Diskussionen mit Beteiligten deutlich wird. Geldgeber können weiter im Entwicklungsbereich aktiv sein, während sie die Entwicklungshilfe kürzen. Entwicklungsländer-Regierungen können leichter Politikprozesse umgehen, die sie weniger interessieren. Unternehmen eröffnen PPPs Business-Chancen und neue Marktzugänge. Ohnehin fördern viele Geldgeber ihre eigenen Unternehmen, aber fast alle auch den Privatsektor in Entwicklungsländern (z.B. „capacity building“, Finanzdienstleistungen für kleine und mittlere Unternehmen).

Offensichtlich behagen den Unternehmen nicht die „vielfältigen“ Armutsreduzierungsziele, die sie mitunterzeichnen (müssen). Dabei werden die Entwicklungserfordernisse im Großen und Ganzen bereits sehr vage formuliert. Die meisten Geldgeber legen erst gar keine umfassenden, konkreten Ergebnisse fest, die im Rahmen der PPPs erreicht werden sollen. Öffentlich zugängliche Evaluierungen und Monitoring sind in den meisten Fällen überhaupt nicht vorgesehen. 8)

Die Bewertung wird auch dadurch erschwert, dass der Terminus Partnerschaft für eine Vielzahl unterschiedlicher Kooperationen verwandt wird. Auch liegen wenige Informationen zum Umfang der gemeinsamen Investitionen sowie zur genauen Ausgestaltung und Umsetzung der Partnerschaft vor. Dazu passt, dass die Frage der Wirksamkeit der Entwicklungshilfe im Kontext von PPPs bislang kaum erörtert wird.

Wie wenig die Interessen von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen im Mittelpunkt stehen, wird daran deutlich, dass sie erst gar nicht an der Entwicklung von Partnerschaften beteiligt oder als Experten einbezogen werden (wie zum Beispiel bei der „New Alliance“ oder „Growing Business with Smallholders“ von BMZ und GIZ). Partizipation und Mitsprache bleiben wohlfeile Worte, die in der Realpolitik der Entwicklungshilfe kaum eine Rolle spielen.

* PPPs gehören auf den Prüfstand

Public-Private-Partnerships sind derzeit so stark im Wachsen begriffen, weil sie politisch opportun sind. Geldgeber unterstützen (einheimische) Unternehmen und betreiben damit eigeninteressegeleitete Außenpolitik im Namen der Entwicklungspolitik. Frieden, Gerechtigkeit, Menschenrechte und Solidarität drohen als Leitbilder der Entwicklungspolitik zu erodieren. Die Entwicklungspolitik verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie die Unterstützung ihrer Wirtschaftselite vorbehaltlos als Mittel zum Kampf gegen den Hunger umetikettiert.

Die grundlegenden Defizite und die begründete Kritik an PPPs machen deutlich, wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit PPPs und eine strategische Auswahl von PPPs mit detaillierten Auswahlkriterien und konkret festgelegten Entwicklungsergebnissen sind. An erster Stelle sollte stehen, was entwicklungspolitisch sinnvoll ist und nicht, in welchen Bereichen Unternehmen willig sind, mit dem BMZ zu kooperieren. Nur eine staatliche Entwicklungshilfe, die auf die Bedürfnisse der marginalisierten Gruppen zugeschnitten ist, wird den Hunger umfassend und effektiv bekämpfen.

Marita Wiggerthale ist Referentin für Ernährungsfragen bei Oxfam Deutschland. Die bisherigen Beiträge zu dieser Debatte sind zusammen mit diesem Die Peltzer- Luig-Kontroverse verfügbar.

Hinweise:
1 Kindornay, Shannon, Reilly-King, Fraser (2013): Investing in the Business of Development. Bilateral Donor Approaches to Engaging the Private Sector. Ottawa.
2 Oxfam (2012): A safe and just space for humanity. Oxford.
3 Oxfam (2013): Unternehmen handeln verantwortungslos. Pressemitteilung vom 26.2.2013.
http://www.oxfam.de/presse/130226-unternehmen-handeln-verantwortungslos.
4 Commission on Human Rights (2006): Promotion and Protection of Human Rights. Interim report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises. E/CN.4/2006/97. 22 February 2006. http://www1.umn.edu/humanrts/business/RuggieReport2006.html.
5 Vgl. UNEP (2011): Agriculture. Investing in natural capital. Nairobi.
6 Oxfam (2011): Aufbruch in ein neues Zeitalter. Wie trotz knapper Ressourcen alle satt werden können. Berlin.
7 Die G8, afrikanische Länder und globale Unternehmen haben sich gemeinsam verpflichtet, in den nächsten zehn Jahren, das Wachstum in der Landwirtschaft zu fördern, um 50 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien.
8 Siehe Hinweis 1.

Veröffentlicht: 3.6.2013

Empfohlene Zitierweise:
Marita Wiggerthale, Strategische Partnerschaften im Nahrungsbereich, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 3. Juni 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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