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Strom für Entwicklung und Strukturwandel

Artikel-Nr.: DE20171122-Art.21-2017

Strom für Entwicklung und Strukturwandel

Neuer LDC-Report von UNCTAD

Vorab im Web - Die Sustainable Development Goals 2030 (SDGs) definieren die aktuellen Ziele der globalen Entwicklungspolitik. Der allgemeine Zugang zu moderner Energieversorgung gehört zu diesen Zielen. Was dies für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) bedeutet, analysiert der diesjährige Least Developed Countries Report der UNCTAD. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Energieversorgung den notwendigen Strukturwandel hin zu produktiven und arbeitsplatzintensiven Sektoren befördern kann. Obwohl es um die Probleme der LDC geht, diskutiert der Bericht auch zentrale entwicklungspolitische Fragen. Von Jörg Goldberg

Die 47 von den Vereinten Nationen als LDCs eingruppierten Länder (davon 33 in Afrika) mit etwa einer Milliarde Menschen sind heute noch sehr weit von der Erreichung des SDG-Ziels Nr. 7 entfernt – derzeit haben dort 62% der Menschen (580 Millionen) keinen Zugang zu modernen Energien. Die Energieversorgung der Haushalte basiert zu zwei Dritteln auf traditioneller Biomasse (Holz, Holzkohle usw.).

● Der Energie-Transformations-Nexus

Der Bericht der UNCTAD fühlt sich natürlich dem SDG-Ziel Nr. 7 verpflichtet, setzt den Akzent aber nicht auf die Grundversorgung der Haushalte, sondern auf die Verwendung von Energie zu produktiven Zwecken (S. 54). Daher liegt der Fokus auf der Elektrizität. Nach einer Zustandsbeschreibung im ersten Kapitel legt der Bericht im zweiten Kapitel den doppelten Zusammenhang zwischen der produktiven Verwendung von Elektrizität einerseits und der damit verbundenen Förderung des Energiesektors andererseits dar: Nur wenn im Zuge produktiver Nutzung die Nachfrage nach Elektrizität rasch ansteigt, kann es gelingen, die Kapazitäten des Stromsektors auszubauen. Denn bei der Erzeugung und Verteilung von Strom werden enorme Skaleneffekte erzielt. Diese können nicht genutzt werden, wenn die Nachfrage nach Strom nur langsam steigt. Daher kann die Basis-Versorgung der privaten Haushalte nicht das alleinige Ziel sein: „Die Nutzung von Strom in der Produktion befördert den strukturellen Wandel und schafft gleichzeitig jene Nachfrage nach Elektrizität, die Investitionen in die elektrische Infrastruktur erst rentabel macht.“ (54)

In diesem Kontext begrüßen die Autoren zwar einerseits den Ausbau heute technisch möglicher dezentraler Versorgungspunkte und kleiner lokaler Stromnetze, die vor allem im ländlichen Raum nützlich sind. Dort haben durchschnittlich 90% der Bevölkerung keinen Zugang zu Strom. Sie legen den Akzent aber trotzdem auf den Ausbau bestehender großer Netze (inklusive regionaler Verknüpfungen), was einen systemischen Ansatz erfordert. Perspektivisch müsse so geplant werden, dass dezentrale Versorgungen später in größere Lösungen integriert werden können. Dies beinhaltet – wie im dritten Kapitel erläutert wird – einen komplexen und flexiblen Planungsansatz, der die Nutzung der verschiedenen lokal verfügbaren Energieressourcen ebenso im Auge hat wie zukünftige Verbindungen zwischen kleinen Verteilernetzen (80).

● Öffentliche und/oder private Strom-Märkte und ihre Finanzierung

Es ist vor allem diese Komplexität, welche die Autoren dazu veranlasst, die Frage der Marktorganisation der Stromversorgung differenziert und pragmatisch anzugehen. In anderen Entwicklungsländern wurden oft – folgend der seit den 1980er und 1990er Jahren dominierenden neoliberalen Logik – private Lösungen bevorzugt, die durchaus gemischte Ergebnisse gebracht hätten. Die LDCs könnten heute aus diesen Erfahrungen lernen. „Die Tatsache, dass Strom eine Dienstleistung mit Monopolcharakter ist und gleichzeitig eine zentrale ökonomische und soziale Bedeutung hat, steht im Mittelpunkt der Regulierungsanforderungen in den LDCs.“ (102)

Ohne jene Lösungen zu kritisieren, bei denen Teile der Stromversorgung privaten Investoren überlassen werden, machen die Autoren doch darauf aufmerksam, dass solche gemischten Konzepte effiziente und durchsetzungsfähige zentrale Regulierungsbehörden erfordern. Da aber liegt eine große Schwäche vieler armer Länder, „die Fähigkeit zur Regulierung ist in vielen LDCs begrenzt“ (VII). Dies gilt natürlich nicht nur für LDCs. Letzten Endes geben die Autoren keine klare Empfehlung: „Stromsektoren können unterschiedliche Strukturen haben, ausgehend von existierenden Grundlagen und kürzlich gewählten Lösungen“, basierend auf den jeweiligen Besonderheiten des Landes (102).

Diese Überlegungen spielen auch für die Finanzierungsfrage eine Rolle, die im fünften Kapitel behandelt wird. Der Finanzbedarf ist beträchtlich: Soll Ziel 7 der SDGs, der allgemeine Zugang zu moderner Energie, in den LDCs bis 2030 erreicht werden, so werden Finanzmittel zwischen 12 und 40 Mrd. US-Dollar jährlich benötigt (128). Woher soll dieses Geld kommen? Die offizielle Priorität – wie u.a. in der Addis Ababa Action Agenda ausgedrückt – liegt auf der Mobilisierung von privaten Mitteln zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen, welche durch offizielle Entwicklungshilfe angeregt werden soll. Daran haben die Autoren – angesichts der langen und unsicheren Planungs- , Umsetzungs – und Rentabilisierungshorizonte im Strombereich – große Zweifel. Denn gerade in den LDCs gäbe es große Unsicherheiten und Risiken: „Zusammen mit den hohen Kosten privater Finanzierungen verweisen die Risiken auf die Notwendigkeit, öffentlichen Finanzierungen und offizieller Entwicklungshilfe weiterhin eine zentrale Rolle zuzuweisen.“ (128)

Hinzu kommt, dass die Finanzierung durch private Mittel über die Finanzmärkte, aber auch durch öffentliche Auslandskredite, hoch riskant ist. Neue Krisen an den Finanzmärkten, wie sie aktuell im Zuge eines allmählichen (und sehr ungleichmäßigen) Ausstiegs aus der Politik des leichten Geldes befürchtet werden, können sehr rasch zu einer Umkehrung der Finanzierungsströme zu Lasten der armen Länder führen. Da die meisten LDCs nur über geringe Devisenreserven verfügen, haben sie wenig Spielraum, um auf Veränderungen der externen Finanzierungsbedingungen zu reagieren: „Auf die Nachhaltigkeit von Schulden ist weiterhin zu achten, vor allem angesichts volatiler Finanzmärkte und schwankender Wechselkurse.“ (XI)

● Strukturwandel und Energieversorgung

Der Ansatz der UNCTAD, die den Akzent auf die produktiven Effekte der Stromversorgung – über den Zugang der Haushalte zu moderner Energie hinaus – legt, beinhaltet spezifische Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik, wie Kapitel 6 erklärt. Der Ausbau der Energieversorgung muss als Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik verstanden werden, die nicht nur verantwortlich ist für die Setzung von Rahmenbedingungen, sondern einen klaren industriepolitischen Fokus haben sollte.

Ein besonderes Problem stellt dabei der Zusammenhang zwischen Energieversorgung, wirtschaftlicher Diversifizierung und der Schaffung von Arbeitsplätzen dar: Es darf nicht übersehen werden, dass die derzeitige Energieversorgung mit traditioneller Biomasse sehr arbeitsintensiv ist, dass die Versorgung mit Feuerholz und die Produktion von Holzkohle viele Arbeitsplätze und Einkommen vor allem im ländlichen Raum sichert. Zwar ist der Ersatz dieser Energieformen durch moderne Energien sowohl aus umweltpolitischen Gründen als auch unter Gendergesichtspunkten (die Beschaffung von Feuerholz ist meist Frauensache) wünschenswert; andererseits müssen im Gleichschritt neue, produktivere Arbeitsplätze im Verarbeitungsbereich geschaffen werden.

Hinweis:
* United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): The Least Developed Countries Report 2017: Transformational energy access, 192 pp, United Nations: New York and Geneva 2017. Bezug: über unctad.org

Posted: 22.11.2017

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, Strom für Entwicklung und Strukturwandel. Neuer LDC-Report von UNCTAD, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. November 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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