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Transnationale Unternehmen in der Landwirtschaft

Artikel-Nr.: DE20090930-Art.41-2009

Transnationale Unternehmen in der Landwirtschaft

Übung in Verharmlosung

Vorab im Web – Welchen Beitrag leisten TNCs zur Entwicklung der Landwirtschaft in Ländern des Südens, insbesondere zu den drängenden Fragen, wie die Ernährungskrise bewältigt und das Millenniums-Entwicklungsziel, bis 2015 den Anteil der Hungernden zu halbieren, erreicht werden kann? Der diesjährige „World Investment Report“ der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) versucht, diese Fragen zu beantworten. Ein kritischer Bericht von Uwe Hoering.

Nachdem zunächst die internationale Entwicklungspolitik die Landwirtschaft wieder entdeckt hat, wächst inzwischen auch das Interesse ausländischer Investoren. Das weckt angesichts klammer Staatshaushalte und unzureichender offizieller Entwicklungsgelder bei der Politik Hoffnungen, dass diese zumindest einen Teil der Finanzmittel aufbringen könnten, die notwendig sind, um die Produktion zu steigern, die Versorgungssituation mit Nahrungsmitteln zu verbessern, und die Millenniumsziele, deren Einlösung durch die jüngsten spekulativen Preissteigerungen in weite Ferne gerückt ist, doch noch zu erreichen.

* Neues Interesse an Direktinvestitionen im Agrarsektor

Die Faktoren, die das Interesse eines sehr unterschiedlichen Spektrums von Investoren geweckt haben, sind unter anderem das Wirtschaftswachstum und der wachsende Wohlstand in einer Reihe großer Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien und Südkorea, die klimapolitischen Initiativen, Agrartreibstoffe zu fördern, der Anstieg der Nahrungsmittelpreise und reine Spekulation, nachdem die Immobilienblase geplatzt ist. Außerdem hat die horizontale und vertikale Integration und Konzentration im Agrarsektor in den vergangenen Jahrzehnten stark zu genommen. Damit werden direkte Investitionen in die Landwirtschaft eingebettet in oligopolistische Strukturen der Zulieferindustrie, der globalen Handelskonzerne und neuer Akteure wie Supermarktketten.

Gleichzeitig liberalisieren zahlreiche Regierungen des Südens, für die die Landwirtschaft unter dem Stichwort der nationalen Ernährungssicherheit bislang eher ein geschützter Raum war, die politischen Rahmenbedingungen und die Gesetzgebung, etwa über Landnutzungsrechte, um ausländische Beteiligung in allen Agrarsektoren zuzulassen und zu fördern.

Allerdings ist die öffentliche Reputation von TNCs in der Landwirtschaft nicht sehr gut: Bananenplantagen, Abholzung im Amazonasgebiet für großflächigen Sojaanbau, Arbeitsbedingungen auf Blumenfarmen oder die Expansion von Palmölgewinnung in Indonesien und Malaysia sind nur einige der Skandale, die ihre bisherige wirtschaftliche, soziale und ökologische Bilanz prägen. Zudem ist die Öffnung der Landwirtschaft für ausländische Investoren innenpolitisch ein sensitives Thema, wie der Bericht zu Recht hervorhebt.

* Bestandsaufnahme im Ungefähren

Die Bestandsaufnahme des Entwicklungsbeitrags ausländischer Konzerne in den vergangenen Jahrzehnten bleibt allerdings im Ungefähren: Theoretisch können positive Auswirkungen darin bestehen, Kapital und Technologie bereit zu stellen, durch Vertragslandwirtschaft Bauern mit Kapital, modernem Saatgut und Absatzmöglichkeiten unter die Arme zu greifen, Produktion und Produktivität zu steigern, Beschäftigung zu schaffen und Exportmärkte zu erschließen. „TNCs können Entwicklungsländern helfen, ihre komparativen Vorteile zu nutzen, Zugang zu Auslandsmärkten zu eröffnen und Agrarexporte auszuweiten“ (162).

Andererseits sind in vielen Fällen die erwarteten positiven Wirkungen ausgeblieben: Ob Regierungen zum Beispiel durch ausländische Investitionen höhere Staatseinnahmen haben, ist aus „Mangel an Beweisen“ fraglich, Handels- und Zahlungsbilanzen können durch höheren Importbedarf von Auslandsinvestitionen sogar negativ werden und damit die Verschuldung hoch treiben. Insgesamt sei der Beitrag von TNCs als Investitionsquelle gering. Auch gebe es weitere negative Auswirkungen wie die Verdrängung einheimischer Investoren, die Vertreibung von Kleinbauern, die Entstehung von Marktmacht, die die Verhandlungsposition einheimischer Produzenten schwächt, und eine unfaire Verteilung wirtschaftlicher Gewinne. „Positive Auswirkungen wurden vor allem bei kommerziellen Produkten mit hoher Wertschöpfung beobachtet, weniger bei herkömmlichen Cash Crops, und noch weniger bei Grundnahrungsmitteln. Insgesamt ist es nach wie vor unklar, inwieweit Entwicklungsländer durch eine Beteiligung von TNCs in die Lage versetzt wurden, die Produktion von Grundnahrungsmitteln und die Ernährungssicherheit zu verbessern“ (163).

Angesichts oftmals schwacher Regierungen, die der geballten Lobby- und Marktmacht der TNCs wenig entgegen zu setzen haben, „ist die Schlussfolgerung berechtigt, dass das empfindliche Gleichgewicht zwischen positiven und negativen Auswirkungen zugunsten der letzteren verschoben werden könnte“ (159).

Die günstigsten Auswirkungen sieht der Bericht noch in der Vertragslandwirtschaft, die auch von ausländischen Investoren zunehmend bevorzugt wird. So stellt sie z.B. in Brasilien 75 % der Geflügel- und 35 % der Sojaproduktion, überwiegend kontrolliert von TNCs. Voraussetzung dafür, dass die beteiligten Bauern davon auch wirklich profitieren und die Verhandlungsasymmetrie zu ihren Gunsten verschoben wird, sei allerdings, dass sie gut organisiert sind und durch Politik und Institutionen unterstützt werden. Andere Alternativen, etwa die gezielte Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, werden dagegen im Bericht gar nicht erst erwähnt.

Bei aller Ausgewogenheit in der Bilanzierung wird deutlich, dass TNCs aufgrund ihrer Interessen und Profitorientierung kaum die geeigneten Partner sein können, um die lokale Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu verbessern und zu sichern. Das gilt auch für die aktuellen, kontroversen Investitionen in „Offshore-farming“ durch Golfstaaten, China, Indien oder Südkorea, die nicht vorrangig der Versorgung der Anbauländer - oft selbst Nahrungsmittelimporteure - dienen dürften.

* Überraschende Empfehlungen

Angesichts dieser „durchwachsenen historischen Bilanz“ (129) überrascht es, dass der Bericht den Regierungen sehr explizit empfiehlt, Investitionen von TNCs stärker als bislang zu fördern. Zwar sollten sie darauf achten, dabei die potentiellen Vorteile zu vergrößern und die potenziell nachteiligen Auswirkungen zu minimieren. Aber die Autoren vertrauen darauf, dass Regierungen in der Lage sind, ihre Politik entsprechend zu gestalten, einschließlich der Schaffung von Bedingungen, unter denen die Ernährungssicherheit verbessert wird.

So „sollten“ ausländische Direktinvestitionen für die landwirtschaftliche Entwicklung etwa sicherstellen, dass die Produktion nicht ausschließlich exportiert wird, Verträge sollten den Nutzen für die Gastländer und die einheimischen Bauern verstärken, soziale und ökologische Auswirkungen „sorgfältig geprüft“ werden und Prinzipien und Maßnahmen geschaffen werden, die die Einhaltung der Menschenrechte sicher stellen. Weitere wichtige Maßnahmen, die dafür entscheidend seien, dass eine Beteiligung von TNCs Entwicklung fördert, sieht der Bericht im Ausbau der Infrastruktur, in der Handelspolitik und in öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) in der Agrarforschung.

Ebenso setzt der Bericht Hoffnungen in Freihandelsabkommen, in denen Regierungen den Zugang und die Aktivitäten von TNCs durch Beschränkungen steuern könnten. Nach einer Umfrage der UNCTAD haben bislang 70% aller befragten Regierungen keine besonderen Zugangsrestriktionen für TNCs, die in die Landwirtschaft investieren wollen. Schließlich sollten Richtlinien und Prinzipien, wie sie gegenwärtig beispielsweise von der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) erarbeitet werden, international vereinbart werden und dazu beitragen, dass die Beteiligung ausländischer TNCs in der Landwirtschaft zu einer „win-win-Situation“ wird.

Hinweis:
* UNCTAD, World Investment Report 2009: Transnational Corporations, Agricultural Production and Development, 274 pp, United Nations: New York-Geneva 2009. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 30.9.2009

Empfohlene Zitierweise: Uwe Hoering, Transnationale Unternehmen in der Landwirtschaft. Übung in Verharmlosung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 29.9.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).